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Mut zur Lücke: Halloween - Die Nacht des Grauens

Ein Beitrag von Christian Neffe

Eigentlich sollte man alles gesehen haben, am besten die gesamte Filmgeschichte. Hat man aber nicht. Autorinnen und Autoren erzählen in dieser Reihe über eben jene ungesehenen Filme, über die man gerne schweigt. Diesmal: „Halloween“ von John Carpenter.

Meinungen
Mut zur Lücke

Vor dem Film

Filmischer Horror ist wie eine Droge: Je mehr man davon konsumiert, und je härter der Stoff ist, desto geringer wird künftig die Wirkung ausfallen. Ich hatte meinen großen, bis heute anhaltenden Moment der Abhärtung mit etwa 14 Jahren, als ich zum ersten Mal Alien von Ridley Scott sah. Der bedient ja bekanntlich alle nur erdenklichen Urängste und brachte mich so weit an die Grenzen des nervlich Aushaltbaren, dass ich kurz vor Schluss pausieren musste und mich per Wikipedia selbst spoilerte: Das Vieh hockt doch bestimmt gleich in der Rettungskapsel, in die Sigourney Weaver steigt, oder?! Das brachte für den Moment zumindest ein wenig Entlastung fürs Gemüt, doch seitdem schockt mich im Filmbereich wenig bis nichts mehr.

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Okay, stimmt nicht ganz, expliziter Body-Horror bringt mich manchmal noch an die Schmerzgrenze. Das Finale von Titane etwa oder Martyrs — Filme, die wortwörtlich unter die Haut gehen oder in denen selbige abgestreift wird. Oder auch die Vorstellung, von einem parasitären Lebewesen befallen und zur wandelnden Mahlzeit zu werden: Auslöschung und eben Alien lassen grüßen. Aber wirklicher Grusel, echte Angst, ein fundamentales inneres Unwohlsein – diese urtümlichen, grundlegenden Kerndisziplinen des Horrorkinos also? Da kriegen mich andere Medien längst viel leichter als Filme.

Ich habe jedenfalls so einiges in diesem Bereich gesehen – aber freilich sind da trotzdem noch ein paar Lücken. Vor allem das Slasher-Kino der 70er und 80er. Ikonische Figuren wie Freddy Krüger (Nightmare on Elm Street) und Jason Vorhees (Freitag der 13.) sind mir zwar bekannt, die ersten Ableger ihrer jeweiligen Reihen reichten mir jedoch. Aber da ist ja noch ein anderer, viel größerer Klassiker: John Carpenters Halloween. Natürlich kenne ich Michael Meyers mit seiner ausdruckslosen Maske, weiß um seine Grausamkeit und seine vermeintliche Unsterblichkeit, habe sogar den Reboot/die Fortsetzung von 2018 (war okay) und dessen Sequel Halloween Kills (ganz furchtbar) von 2021 gesehen.

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Sicher, Meyers soll diese seelenlose, ungreifbare, überlebensgroße Figur sein, die sich von nichts stoppen lässt, die für das undefinierbare Böse in uns allen steht. Vielleicht fehlt mir entsprechendes Vorwissen, aber trotzdem: Warum bitte schaffen es zehn Leute, die ihn in Halloween Kills auf der Straße umzingeln und mit Schlag- und Stichwaffen bearbeiten, nicht, diesen Kerl dingfest zu machen? Das hat ja offensichtlich schon mal geklappt, ansonsten hätte er nicht so eine lange Zeit im Knast verbracht. Aber nein, er entkommt wieder und wieder, mordet weiter und weiter irgendwelche Teenies, die sich dabei derart dämlich anstellen, als wären sie aktiv darum bemüht, sich für den Darwin-Award zu qualifizieren. Das Klischee vom/von der Gejagten, der/die sich im Angesicht des Todes ziemlich dümmlich verhält, mag irgendwie zum Genre dazugehören – wenn es aber zu offensichtlich wird (Hallo, Maxine aus X!) und das Drehbuch allein durch diese Dummheiten funktioniert, bin ich raus.

Kann ein 44 Jahre alter Klassiker daran etwas ändern? Stellt er sich vielleicht sogar klüger an? Oder war er der Grundstein für all das? Ich werde es sehen. Schließlich haben wir hier bei Kino-Zeit immer Mut zur Lücke.

Nach dem Film

Zuvor musste ich meiner besseren (und reichlich horror-empfindlichen) Hälfte versprechen, dass wir uns Halloween „nicht ernst“ ansehen, sondern mit flapsigen Sprüchen und Kommentaren, um die mutmaßlich aufkommende Angst zu mildern. Daraus wurde aber wenig: Der Film gab uns schlichtweg nicht genug Anlässe dafür.

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Gemach, gemach – das klingt vielleicht so, als wäre Halloween nur mittelmäßig, sowohl allgemein als Film als auch als speziell in seinem Genre. Das stimmt natürlich nicht, und doch bewahrheitete sich der anfangs angesprochene Drogeneffekt: Ich bin mittlerweile einfach härteres Zeug gewohnt. Gerade deshalb ist es jedoch auffällig, wie viel Zeit sich Halloween für einen gelungenen Spannungsaufbau nimmt. Es dauert fast 60 der 90 Minuten, bis das Töten beginnt. Zuvor agiert der Killer als gruseliger Stalker, festgehalten in langen, ruhigen, geduldigen Einstellungen. Meyers ist hier keine unaufhaltsame Macht, wie ich ihn in den neuen Filmen kennenlernte, sondern ein Schatten im Dunkel, dessen Superfähigkeit darin besteht, sich stets unbemerkt in den Rücken seines nächsten Opfers zu teleportieren. Was Angst erzeugt, ist nicht, dass sich der nächste Mord anbahnt. Vielmehr, dass man einfach nur weiß, dass er irgendwo da draußen lauert. Und muss man überhaupt noch Worte dazu verlieren, wie viel der kongeniale, enervierend-beunruhigende Soundtrack dazu beiträgt?

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Der steht für mich stellvertretend für starke Reduktion so vieler Elemente dieses Films: die eindimensional, aber eben genau ausreichend gezeichneten Figuren; das geringe Ausmaß von Zeit und Ort; seine Twist-Losigkeit; seine kleinen Jumpscares, die ohne großes Geschrei auskommen. Ganz und gar puristischer, bodenständiger Slasher-Horror, der seinerzeit ebenso innovativ wie wirksam war. Und heute? Ist er Letzteres immer noch, wenn auch auf nicht mehr auf diese absolut erschreckende Weise. Dafür bleibt er auf ewig diese wunderbar kurzweilige Genre-Blaupause mit präziser Inszenierung und ohne jeden „Ich habe so ein cleveres Drehbuch“-Fallstrick.

Die Lücke ist nun also gefüllt. Hätte sie unter allen Umständen geschlossen werden müssen? Nay. Hat es sich dennoch gelohnt? Yay!

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