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Im Fokus: Fatih Akin

Ein Beitrag von Katrin Doerksen

Im Dezember beginnt bei Mubi eine Reihe zu Fatih Akin, die die ganze Bandbreite des Hamburger Regisseurs zeigt. Sie beginnt mit Soul Kitchen, Müll im Garten Eden und The Cut.

Meinungen
Gegen die Wand / Soul Kitchen / Der Goldene Handschuh
Gegen die Wand / Soul Kitchen / Der Goldene Handschuh

„Zwar suche ich als Filmemacher Themen und Momente, die man so noch nicht auf der Leinwand gesehen hat, dennoch bedienen sich fiktive Geschichten immer aus der Realität. Denn wer ist kreativer als die Realität?“ (Fatih Akin im Interview mit Zeit, November 2017)

Fatih Akin, der wohl zärtlichste Rebell des deutschen Kinos, ist seit fast 30 Jahren im Geschäft und fordert seit dem das Publikum mit seinen Filmen immer wieder heraus. Er überschreitet gerne kulturelle und geografische Grenzen. Mit seinen Geschichten, die in Deutschland und der Türkei spielen, ist der Autorenfilmer international bekannt geworden. Seine Filme porträtieren oft ein Milieu, das nahe „an der Straße“ liegt. Street credibility nennt sich das im Fachjargon. Bereits in seinem ersten, von der Kritik gefeierten, Langspielfilm Kurz und Schmerzlos zeichnete Akin 1998 einen Kriminalfilm voller Schmerz und Härte, deutlich vom Gangsterkino seines Vorbilds Martin Scorsese beeinflusst.

(c) Paul Katzenberger, CC BY-SA 4.0

Ein zentraler Ort seiner Filme ist wiederkehrend die Stadt Hamburg, dort wuchs er als Sohn türkischer Einwanderer auf. Die Verbundenheit zu seiner Heimatstadt und ihrer lebhaften, ursprünglichen Atmosphäre ist in vielen seiner Filme zu spüren. Wenn er ein Drehbuch mit Szenen in Deutschland schreibt, dann spielen sie immer in der Hansestadt. Dabei interessiert ihn eher das Hamburg, wo die Szenekneipe und der türkische Kulturverein nicht weit auseinander liegen. So sind auch die Lebenswege von Migrant*innen in Deutschland seit Beginn seines Schaffens ein immer wieder zentraler Gegenstand der Geschichten. Migration ist ein internationales Thema, weswegen seine Filme schon immer außerhalb den Grenzen Deutschlands großen Anklang fanden. Bereits Kurz und schmerzlos erhielt mehrere Auszeichnungen u.a. den Adolf-Grimme-Preis und den Spezialpreis für das beste Darstellerensemble auf dem Filmfestival von Locarno. Auch nachfolgende Filme wie Gegen die Wand (2004) und Soul Kitchen (2009) waren große Publikumserfolge und wurden mit hochkarätigen Preisen auf den Filmfestivals in Venedig und Berlin ausgezeichnet. Fatih Akin legt mit seinen Filmen den Finger in die Wunde und beweist ein besonderes Gespür dafür zu haben, auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen und damit Teil des Bewusstseins zu werden.

 

Die Filme von Fatih Akin:

 

Im Juli (2000)

Mit Im Juli inszenierte Fatih Akin im Jahr 2000 nicht nur ein abenteuerliches Roadmovie, sondern auch ein modernes Märchen, ausgelöst durch die hypnotisierend-traumwandlerische Kraft der Sonnenfinsternis von 1999. Bayern, Österreich, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und schließlich die Türkei sind die Stationen dieser Reise mit Moritz Bleibtreu, Mehmet Kurtulus und Christiane Paul, die wie selbstverständlich zwischen Action, Klamauk und Liebesdrama schwankt. Außerdem gibt es in einem kurzen Cameoauftritt Fatih Akin selbst als rumänischen Grenzbeamten zu entdecken: „No Pasaport, no Romania!“

Verfügbar auf: Mubi, Disney+ und zahlreichen anderen Streamingplattformen zum Leihen und Kaufen

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Wir haben vergessen zurückzukehren (2001)

Im Rahmen der Fernsehfilmreihe Denk ich an Deutschland… erzählte Akin 2001 in Wir haben vergessen zurückzukehren die Einwanderergeschichte seiner Eltern — allerdings rückwärts. Angefangen in Hamburg-Altona über Istanbul bis in das türkische Dorf, aus dem seine Familie stammte. 1965 waren die Akins dem deutschen Ruf nach „Gastarbeitern“ gefolgt, aus einem geplanten zweijährigen Aufenthalt wurden 35 Jahre: „Wir haben einfach vergessen, zurückzukehren“, kommentiert sein Vater verwundert. Anhand dieser Spurensuche, zahlreicher Interviews und familiärer Anekdoten erzählt Fatih Akin so eine sehr persönliche Geschichte aus Sicht der zweiten Einwanderergeneration, die aber auch durchaus exemplarisch zu verstehen ist.

Verfügbar auf: YouTube

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Gegen die Wand (2004)

Der große Klassiker und Goldene-Bären-Gewinner von Fatih Akin erzählt von zwei verzweifelten Menschen, die eine Scheinehe eingehen, um den Zwängen ihres Lebens zu entkommen. Cahit (Birol Ünel) ist mit voller Wucht gegen eine Wand gefahren und Sibel (Sibel Kekilli) hat ebenfalls einen Suizidversuch hinter sich, weil sie sich von ihrem strengen Vater und ihrem dominanten Bruder gegängelt fühlt. Im Krankenhaus lernen sie sich kennen und schließen einen Pakt, dessen Folgen sie nicht absehen können. Ein wuchtiges Drama, das gekonnt eine Brücke schlägt zwischen individuellen Schicksalen sowie sozialen und kulturellen Problemen.

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Soul Kitchen (2009)

Auf eine gewisse Weise ist Soul Kitchen ein Heimatfilm. Aber nicht so, wie man sich das vorstellt. Die mit dem Spezialpreis der Jury von Venedig ausgezeichnete Komödie erzählt von einem Hamburger Gastronom mit Rückenleiden (Adam Bousdoukos), der versucht sein Schnitzel- und Frikadellenrestaurant zu retten. Inspiriert von den meisterhaften Komödien von Billy Wilder strickt Akin eine wendungsreiche Story über einen Ort, der in einer zunehmend unübersichtlichen Welt für die Figuren einen schützenswerten Hafen darstellt. Mit dabei sind viele seiner Lieblingsdarsteller, darunter Birol Ünel, Moritz Bleibtreu oder Monica Bleibtreu in ihrer letzten großen Rolle.

Verfügbar auf: Mubi ab dem 2. Dezember 2021

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Müll im Garten Eden (2012)

Für eine seiner wenigen dokumentarischen Arbeiten kehrt Fatih Akin zurück in das türkische Bergdorf, aus dem seine Großeltern stammen. Der Anlass ist jedoch ein Trauriger: In unmittelbarer Nähe zu Çamburnu hat der türkische Staat eine Mülldeponie errichten lassen. Dabei werden gesetzliche Bestimmungen zu Bausicherheit und Umweltschutz mit Füßen getreten, selbst Proteste und ein engagierter Bürgermeister können nichts ausrichten. Müll im Garten Eden sympathisiert offen mit den Bewohners Çamburnus und zeigt die ganzen absurden Ausmaße dieses Skandals.

Verfügbar auf: Mubi ab dem 11. Dezember 2021

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The Cut (2014)

Fatih Akins bisher aufwändigster Film, der zugleich auch den Abschluss seiner Trilogie Liebe, Tod und Teufel bildet, beschäftigt sich in epischer Breite mit dem Völkermord an den Armeniern. Im Mittelpunkt: Tahar Rahim als armenischer Christ, Schmied und Familienvater Nazareth Manoogian der wie durch ein Wunder die Massaker von 1915 überlebt und anschließend durch die halbe Welt reist. The Cut nimmt dabei für sein Thema erstaunlich viel Abstand zur Politik und strebt eher nach überlebensgroßen Bildern wie aus dem Goldenen Hollywoodkino à la Vom Winde Verweht.

Verfügbar auf: Mubi ab dem 18. Dezember 2021

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Tschick (2016)

Tschick ist bekanntlich die Adaption des gleichnamigen 2010er Jugendromans von Wolfgang Herrndorf. Im Mittelpunkt steht der Hellersdorfer Außenseiter Maik (Tristan Göbel), dessen dröger Alltag erst vom neuen Schüler Andrej Tschichatschow, genannt Tschick (Anand Batbileg) aufgemischt wird. Gemeinsam wollen die beiden mit einem geklauten Lada Niva in die Walachei zu Tschicks Großvater aufbrechen. Unterwegs machen die beiden kuriose Begegnungen im ostdeutschen Nirgendwo — unter anderem auch mit der ausgefuchsten Isa (Nicole Mercedes Müller). In Tschick konzentriert sich Fatih Akin schon sehr deutlich auf die Feelgood-Momente seines Coming-of-Age-Roadtrips. Dafür spart er sich allerdings auch lästige Pädagogik, appelliert vielmehr an die Lust am Abenteuer des Jugendlichen in jedem von uns.

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Aus dem Nichts (2017)

In seinem Drama Aus dem Nichts verarbeitete Fatih Akin 2017 die Mordserie des NSU. Diane Kruger, die für ihre Leistung in Cannes als beste Schauspielerin geehrt wurde, verkörpert darin eine junge Mutter, die bei einem Bombenanschlag Ehemann und Sohn verliert. Als die beiden Angeklagten — ein Paar mit Verbindungen in die Neonaziszene — freigesprochen werden, nimmt sie ihr Verlangen nach Gerechtigkeit selbst in die Hand. Glücklicherweise ist Fatih Akin keiner, der seine Filme unter ihren Botschaften erstarren lässt. Aus dem Nichts ist — bei aller politischen Relevanz — auch brachiales Genrekino, das die Distanz der Nachrichtenzuschauer und Zeitungsleser versucht durch seinen individuellen Zugang aufzubrechen.

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Der Goldene Handschuh (2019)

Fatih Akin legt bei der Verfilmung der Geschichte des Hamburger Serienmörders Fritz Honka glücklicherweise weniger Wert auf Sägen-Action als darauf, tief in den von Schlagermusik und Korn dauerbenebelten Morast der BRD der 1970er Jahre hinabzusteigen. Zu Leuten, die sich so sehr an ihre eigene Verwahrlosung gewöhnt haben, dass kaum der basalste Selbsterhaltungstrieb übrig geblieben ist. Das Kunststück dabei ist, dass Akin auf dieses Milieu keineswegs mit Abscheu schaut. Wärme, Empathie liegt in seinem Blick und auch in dem Gehör, das er den Figuren schenkt. In ihren kurzen Sätzen, in ihrem Hamburger Schnack blitzen ganze verkorkste Leben auf, in denen sich bundesdeutsche Geschichte spiegelt.

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