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Im Fokus: Christian Petzold

Ein Beitrag von Katrin Doerksen

Im Juli beglückt uns der Streamingservice Mubi mit gleich fünf Filmen von Christian Petzold. Für uns Grund genug die Filmografie des deutschen Regisseurs noch einmal in den Blick zu nehmen.

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Undine / Jerichow / Phoenix
Undine / Jerichow / Phoenix

1960 im nordrhein-westfälischen Hilden geboren, studierte Petzold in den 1980er Jahren zunächst Theaterwissenschaften und Germanistik in Berlin und hing anschließend ein Regiestudium an der DFFB dran, wo er auf den einflussreichen Essayfilmer und damaligen Dozenten Harun Farocki traf. Von einem engen Lehrer-Schüler-Verhältnis entwickelten sich die beiden zu Freunden und oftmaligen Co-Autoren.

Martin Kraft - CC BY-SA 3.0
Martin Kraft — CC BY-SA 3.0

Der „beste deutsche Geisterfilmer“ wurde Christian Petzold einmal genannt, und obwohl er zur Berliner Schule gezählt wird, die man allgemein mit alltäglichen Geschichten, mit Nicht-Orten und einer gewissen Kargheit verbindet, sind Geister in seinen Filmen tatsächlich allgegenwärtig. Sie befassen sich mit dem Zwischenraum zwischen Leben und Tod, mit dem Übernatürlichen, mit Schwebezuständen, mit dem melodramatischen Potential des Alltags, und greifen dabei zumeist auf die deutsche Historie und Kulturgeschichte zurück. Petzolds Filme spielen in der DDR und im unmittelbaren Nachkriegsdeutschland, auf der Durchreise zwischen Ost und West, gelegentlich sind sie zeitlich auch überhaupt nicht zuzuordnen. Dann bleiben uns immerhin die Pophymnen der 1980er Jahre zum Festhalten, die Petzold am liebsten als fulminante Schlusspunkte in seine Abspänne fügt.

Im Übrigen gehört Christian Petzold zu den wenigen deutschen Filmemachern, die regelmäßig auch international wahrgenommen werden und sogar in die Kinos kommen. 2013 waren einige seiner Werke etwa in einer Retrospektive zur Berliner Schule im New Yorker MoMA zu sehen.

 

Die Filme von Christian Petzold:

 

Die innere Sicherheit (2000)

Eigentlich sollte Die innere Sicherheit zuerst den Titel Gespenster tragen. Gepasst hätte das auch. Denn die Familie kann nicht anders als Gespenster zu sehen. Eine zufällige Häufung dunkler Autos auf einer Kreuzung wird zum vermeintlichen SEK-Kommando und die eigene Tochter (Julia Hummer) darf nicht einmal in die Schule gehen. Hans (Richy Müller) und Clara (Barbara Auer) sind ehemalige RAF-Terroristen, im Untergrund in Portugal lebend, Aussicht auf einen Neuanfang in Brasilien. Aber die Tochter entzieht sich immer mehr der elterlichen Kontrolle. Christian Petzold interessiert in Die innere Sicherheit nicht wie in so vielen RAF-Filmen die Zeit der 1970er Jahre, die Motive der Terroristen, nicht einmal die Taten, die sie in den Untergrund getrieben haben. Es geht um das Hier und Jetzt, ihren gegenwärtigen Zustand, die Konsequenzen vergangener Taten, das Leben in einem Zwischenstadium nach ereignisreicher Vergangenheit und ungewisser Zukunft.

Verfügbar auf: Mubi ab dem 10. Juli

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Wolfsburg (2003)

In Wolfsburg spielt Benno Fürmann einen Autohändler, der nach dem Zusammenstoß mit einem Jungen auf einem Fahrrad Fahrerflucht begeht. Er versucht sein Leben weiterzuführen, doch das schlechte Gewissen treibt ihn immer wieder in die Nähe der trauernden Mutter (Nina Hoss), die verzweifelt nach dem Täter sucht. Mit seinen frühen Filmen, seinen konzentrierten Beobachtungen und einer minimalistischen Erzählweise — Wolfsburg feierte seine Premiere im Berlinale Panorama — etablierte sich Christian Petzold schnell als Kritikerliebling. Ekkehard Knörer etwa schrieb damals: „Christian Petzold ist ein Regisseur, dessen ungeheure filmische Intelligenz in den Bildern steckt, in den Figuren, im kunstvollen Einsatz unscheinbarer Motive – und in der Erzählstruktur.“

Verfügbar auf: MagentaTV und im ZDF-select-Channel auf Amazon Prime Video; Zum Leihen und Kaufen auf Amazon

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Gespenster (2005)

Nina (Julia Hummer) ist eine Außenseiterin. Im Heim aufgewachsen, in sich gekehrt vertraut die 16-Jährige ihre Gedanken nur einem Tagebuch an. Da trifft sie auf die etwas ältere und ungleich draufgängerischere Toni (Sabine Timoteo), die sie völlig überrumpelt und zur Komplizin ihrer kleinen Diebstähle macht. Gespenster ist ein episodischer Film, bei der die Handlung hinter dem Skizzenhaften zurücktritt, hinter dem Heraufbeschwören eines Gefühls, eines Schwebezustands, beinahe wie im Traum. Es fällt schwer sich der bestrickenden Melancholie von Gespenster zu erwehren. Trotzdem gehört er zu den etwas schwächeren Filmen von Christian Petzold. Gelegentlich droht die Distanz der Filmsprache das Gefühl zu überwältigen, das zerbrechliche Gefüge auseinanderzufallen.

Verfügbar auf: Mubi ab dem 16. Juli

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Yella (2007)

Noch ein Film über die Leerstelle zwischen Leben und Tod. Nach Die innere Sicherheit und Gespenster schloss Yella 2007 Petzolds zunächst unbewusst begonnene Gespenster-Trilogie ab. In der Hauptrolle einmal mehr Nina Hoss als eine Frau, die ihr altes Leben in Brandenburg und eine unglückliche Ehe hinter sich lässt. Ein neuer Job in Hannover wartet und ein neuer Mann (Devid Striesow) ist schnell gefunden. Doch was zunächst als nüchternes Beziehungsdrama beginnt, entpuppt sich durch einen Kunstgriff in der Narration bald darauf als Mysterythriller. Ist Yella womöglich von Anfang an tot, ihr Neuanfang nur eine verzweifelte Rettungsvision? In Yella treffen sich — und die Kombination dieser beiden Einflüsse klingt zunächst gar unmöglich — dokumentarische Form und Horrorfilm und verbinden sich zu gespenstischer Schönheit.

Verfügbar auf: Mubi ab dem 24. Juli

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Jerichow (2008)

Ein unehrenhaft entlassener Soldat (Benno Fürmann) kehrt aus Afghanistan zurück und lässt sich im Haus seiner verstorbenen Mutter in Nordostdeutschland nieder. Dort trifft er auf den türkischen Imbiskettenbesitzer Ali (Hilmi Sözer) und dessen blonde Frau Laura (Nina Hoss). Es entwickelt sich eine merkwürdige Dreiecksbeziehung, bei der nie klar ist, was aus Kalkül und was aus echten Gefühlen heraus entsteht. Jerichow ist eine lose Adaption des Kriminalromans Wenn der Postmann zweimal klingelt und dabei im Grunde genommen ein Heimatfilm der etwas anderen Art. Komplett in Ostdeutschland gedreht entwickelt er einen Heimatbegriff, der unterschwellig immer auch von Ausgrenzung, Vorurteilen und Rassismus erzählt.

Verfügbar auf: Mubi ab dem 31. Juli

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Barbara (2012)

Nina Hoss spielt in Barbara eine Ärztin, die prophylaktisch von Berlin in ein Provinzkrankenhaus versetzt wird, nachdem sie einen Ausreiseantrag gestellt hat. Von der viel beschworenen ‚Ostalgie‘ einschlägiger Komödien könnte das nicht weiter entfernt sein. Petzold beobachtet den Umgang von Individuen in einem alles zersetzenden System, das nun einmal ist wie es ist. Barbara ist ein Melodrama. Eines, in dem das Rauschen des Windes sich über den Realismus erhebt, die gesättigt leuchtenden Farben lebhaft auf dem 35mm-Material erstrahlen. Und über allem schwebt der Soul der 1970er Jahre: „At last, I am free — I can hardly see in front of me!“ Dafür gab es den Silbernen Bären für die Beste Regie 2012.

Verfügbar auf: Im Abo von Filmingo; Zum Leihen und Kaufen auf Amazon, iTunes, GooglePlay, Pantaflix und Alleskino

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Phoenix (2014)

Für seinen Neo-Trümmerfilm arbeitete Petzold ein sechstes Mal mit Nina Hose zusammen: Hier verkörpert sie Nelly, die nach Kriegsende schwer verletzt und bis zur Unkenntlichkeit entstellt nach Berlin zurückkehrt. Nach einer erfolgreichen Gesichtsoperation macht sie sich auf die Suche nach ihrem Ehemann (Ronald Zehrfeld), den sie zwar findet, der sie allerdings nicht erkennt. Fatalerweise schlägt er Nelly vor seine totgeglaubte Ehefrau zu spielen — sie wird zur Doppelgängerin ihrer selbst. Einmal mehr verpackt Christian Petzold in Phoenix deutsche Verdrängungsgeschichte in ein hochgradig artifizielles, perfekt inszeniertes Melodrama, das auch aus den Tiefen der Genregeschichte schöpft: der Plot erinnert an Alfred Hitchcocks Vertigo, die Figur der Nelly ist eine veritable Untote.

Verfügbar auf: Im Abo von Amazon Prime Video und Filmingo; Zum Leihen und Kaufen auf Amazon, iTunes, GooglePlay, Pantaflix und Alleskino

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Transit (2018)

2018 verfilmte Christian Petzold den gleichnamigen, im Exil verfassten Roman von Anna Seghers über den jungen Deutschen Georg (großartig: Franz Rogowski), der zur Zeit des Zweiten Weltkriegs die Identität eines verstorbenen Schriftstellers annimmt, um über Marseille nach Mexiko auszureisen. Die Zeit drängt, denn die deutschen Truppen rücken der von Ausreisewilligen gefluteten Stadt immer näher. Der Twist dabei: in Transit sehen wir das Frankreich von heute. Elektroautos, arabische Schriftzeichen über den Läden und die Dampfer, die die Hoffnung auf Exil in einem möglichst weit entfernten Land aufrecht erhalten, sind moderne Kreuzfahrtschiffe. Natürlich schwingt dabei stets der Diskurs um Flüchtlinge mit — eine klare politische Botschaft steht trotzdem nicht im Mittelpunkt des Films. Ganz im Gegenteil: Er stiftet absichtlich Irritation, erhebt die Zeit selbst zum Transitraum.

Verfügbar auf: Zum Leihen und Kaufen auf Amazon, iTunes, Rakuten TV, MagentaTV, Sony und Alleskino

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Undine (2020)

Im jüngsten Film von Christian Petzold ist Paula Beers Undine eine Historikerin, die Museumsführungen veranstaltet und dabei vor detailgetreuen Modellen über die Berliner Stadtentwicklung und Brüche in der Architektur vor und nach der Wende referiert. Der Industrietaucher Christoph (Franz Rogowski) kann überhaupt nicht genug bekommen. Undine ist der erste Teil einer geplanten Trilogie über Figuren der deutschen Romantik und so hängt in dieser filmischen Liebeserklärung an die Hauptstadt ständig etwas Übernatürliches in der Luft: Ist Undine wirklich ein uralter Wassergeist? Petzold inszeniert Paula Beer auf eine Art, bei der man ihrem angespannten Kiefer in jedem Moment nicht nur die scharfsichtige Historikerin abnimmt, sondern auch in keinem Augenblick ihre halbgöttlichen Fähigkeiten einer Sagengestalt anzweifelt.

Verfügbar auf: Mubi ab dem 3. Juli

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