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Gestreamt: J.C. Chandor

Ein Beitrag von Christian Neffe

Vier Spielfilme sind bisher unter der Regie von J.C. Chandor entstanden. Sie setzen sich allesamt mit einem klassischen US-amerikanischen Narrativ auseinander: dem Streben nach Erfolg. Und werfen allesamt die Schattenseiten dieses Strebens auf.

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Filme von J.C. Chandor: Triple Frontier / A Most Violent Year / All is Lost
Filme von J.C. Chandor: Triple Frontier / A Most Violent Year / All is Lost

Es gibt nicht viele Regisseur*innen, bei denen jedes neue Werk ein Treffer ist. Eine dieser Ausnahmen ist Jeffrey C. Chandor, zumeist mit J.C. Chandor abgekürzt, dessen Spielfilmkarriere 2011 begann und die sich seitdem eher durch Quali- denn durch Quantität auszeichnet. Dennoch (oder gerade deswegen) greifen wir Chandors Werkbiografie diese Woche in unserer Reihe „Gestreamt“ auf.

Chandor kam 1973 in Morristown, New Jersey zur Welt, wuchs in New York und London auf, studierte Filmwissenschaft in Ohio und Filmproduktion in New York. Vielmehr ist über seinen Werdegang nicht bekannt, Chandor hält sich in der Öffentlichkeit mit Angaben über sein Privatleben vornehm zurück. Seine Karriere begann jedoch bereits Ende der 90er ganz klassisch als Werbefilmer. 2004 erschien der Kurzfilm Despacito, der in den Weiten des Netzes jedoch verschollen ist.

2011 begann Chandor schließlich seine Arbeit als Spielfilmregisseur, 2019 wurde sein bislang letztes Werk veröffentlicht. Vier Filme, für die er auch die Drehbücher verfasste, die allesamt von getriebenen Männern handeln und klassische US-amerikanische Narrative bedienen. Sie drehen sich ums große Geld, um moralische Abgründe, um Männer, deren gewohnter Alltag allmählich oder ganz plötzlich aus den Fugen gerät. Sie legen die Schattenseiten einer wirtschaftsliberalen Gesellschaft offen. Lediglich sein zweiter Film fällt dabei ein wenig aus dem Muster.

J.C. Chandors Filme im Stream:

 

Der große Crash — Margin Call (2011)

Bereits mit seinem Debüt legte Chandor eine Erfolgslandung hin. Eine Nominierung für den Goldenen Bären, eine Oscar-Nominierung fürs Drehbuch, bestes Erstlingswerk bei den New York Film Critics Circle Awards und diverse weitere Auszeichnungen: Der große Crash — Margin Call konnte bei der Kritik sowohl mit seiner nüchternen Inszenierung als auch seinem cleveren Drehbuch punkten. Erzählt wird von den Geschehnissen in einer großen Bank am Vorabend der Finanzkrise 2007 und der nächtlichen Krisensitzung, bei der auch das letzte bisschen Moral aus dem Fenster geworfen wird, um das Geschäft noch irgendwie zu retten.

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Durch seinen Vater, einen Bankangestellten, hatte Chandor schon länger einen persönlichen Zugang zu diesem Thema respektive Milieu vorzuweisen und verzichtete deshalb auch darauf, die Protagonisten des Finanzsystems — etwa wie Oliver Stone in Wall Street — als das absolut Böse in Szene zu setzen. Es handelt sich stattdessen um Menschen, die in einer Ausnahmesituation zum Nötigsten gedrängt werden und dabei gar nicht merken, welchen Schaden sie für alle anderen und sich selbst anrichten. Diese Ambivalenz gewährt einen interessanten Einblick in eine Maschinerie, die viel zu komplex scheint, um selbst von den Menschen begriffen zu werden, die sie am Laufen halten. Die (zwischen-)menschlichen Tragödien sind unvermeidbar.

Verfügbar in der Flat von Amazon Prime Video und zur Leihe bei allen gängigen VoD-Anbietern.

 

All is Lost (2013)

Dem dialogreichen Margin Call folgte 2013 der Wechsel in die Stille. All is Lost ist ein Quasi-Kammerspiel auf dem Meer: Ein Segler (Robert Redford) erleidet Schiffbruch, als sein Boot einen im Wasser treibenden Container rammt. Dann zieht auch noch ein Sturm auf, der das Boot endgültig untergehen lässt. Für den Segler beginnt ein stummer, einsamer Überlebenskampf.

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Es ist eine simple Prämisse, aus der Chandor einen eindrucksvollen Film kreiert, der allem voran durch die Präsenz seines wortlosen Hauptdarstellers getragen wird. Viel erfährt man über den namenlosen Segler nicht — seine Vorgeschichte, seine Vorlieben, sein Charakter bleiben weitestgehend im Dunklen. Er ist die Verkörperung einer größeren Idee: dem Willen zum Überleben. Wie aussichtsreich dieser Kampf ist — diese Bewertung überlässt Chandor seinem Publikum.

Verfügbar bei Netflix und zur Leihe bei allen gängigen VoD-Anbietern.

 

A Most Violent Year (2014)

Weg vom Wasser, hin zu einer anderen Flüssigkeit: Öl. Der Thriller A Most Violent Year schildert den Werdegang des Öl-Spediteurs Abel Morales (Oscar Isaac), seine Konflikte mit seinen Konkurrenten, einer Klage durch die Staatsanwaltschaft und einer Bande von Unbekannten, die immer wieder seine Lastwagen überfällt und stiehlt. Morales Kampf gilt dabei vor allem dem Erhalt seiner moralischen Integrität — das gibt bereits sein Name vor.

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In ruhigen, stilsicheren Bildern inszeniert Chandor diesen Film als große amerikanische Geschichte um die Schattenseiten des kapitalistischen Erfolgsversprechens und -strebens und stellt die Frage, ob nur skrupellose Menschen daraus als Sieger*innen hervorgehen können. Dabei bedient er sich auch Stilelementen des film noirs, etwa in der Femme-fatale-esken Figur von Jessica Chastain, in den düsteren Gängen von Morales‘ seelenlosem Neubaushaus und nicht zuletzt in der erdrückenden Kulisse New Yorks zu Zeiten der 80er. Öl bildet den Aufhänger dieser Geschichte, Blut ihr Ende.

Verfügbar zur Leihe bei allen gängigen VoD-Anbietern.

 

Triple Frontier (2019)

Chandors vierter und bislang letzter Film verzichtet völlig auf weibliche Figuren und stellt stattdessen fünf Männer in den Mittelpunkt. Ehemalige Soldaten, die von der Army und ihrem Land im Stich gelassen wurden, sich in ihrem Veteranen-Dasein mit Gelgenheitsjobs über Wasser halten. Der nach wie vor als Söldner agierende Santiago „Pope“ Garcia (Oscar Isaac) wittert jedoch die Gelegenheit für einen großen Coup: Gemeinsam mit vier seiner alten Kameraden (Ben Affleck, Pedro Pascal, Charlie Hunnam und Garrett Hedlund) will er einen südamerikanischen Drogenlord ausrauben.

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Anfangs ein Heist-Movie entwickelt sich Triple Frontier in der zweiten Hälfte zu einer Apocalypse-Now-esken Reise in das Herz der moralischen Finsternis. Das Geld zu beschaffen, ist kein Problem. Es außer Landes zu schaffen, hingegen schon. Wie viele Opfer — zivile und persönliche — nimmt das Quintett dafür in Kauf? Wie sehr wiegt der Wert des Geldes den ihrer eigenen Leben auf? Und wie kann es der Gruppe gelingen, trotz aller aufkeimenden Konflikte gemeinsam an einem Strang zu ziehen? Triple Frontier mag Chandors schwächster Film sein, sehenswert ist die Netflix-Produktion aber allein aufgrund ihrer beklemmenden Atmosphäre und der Dilemmas, die das Drehbuch entspinnt.

Exklusiv verfügbar bei Netflix.

 

Was noch kommt

Als Regisseur ist J.C. Chandor derzeit in zwei Projekte involviert. Zum ersten in die Serie The Connection, über die bislang kaum etwas bekannt ist — außer dass sie laut imdb die „French side of the French Connection“ sein soll. Zum zweiten wird Chandor für Sony einen Film um den Spider-Man-Antagonisten Kraven, The Hunter inszenieren, nachdem diese Aufgabe zunächst Antoine Fuqua zuteil kommen sollte. Auch hier liegen noch keine weiteren Informationen vor, nicht einmal ein Startjahr ist bekannt. Chandor ist damit Teil eines immer größeren Trendes: Autorenfilmer*innen, die für Superhelden- und andere Blockbuster engagiert werden. Ob das gutgeht?

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