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Gestreamt: Guy Maddin

Ein Beitrag von Katrin Doerksen

Wir brauchen momentan alle ein bisschen mehr Guy Maddin in unseren Leben. Viele seiner Filme sind im Stream verfügbar und reißen ihre Zuschauer in Minutenschnelle aus dem Alltagstrott. Garantiert.

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My Winnipeg / The Green Fog / The Forbidden Room
My Winnipeg / The Green Fog / The Forbidden Room

Mehr denn seit langem brauchen wir im Augenblick Filme, die uns aus dem Alltag herausreißen. Aber ich spreche nicht von bloßem Eskapismus (obwohl der auch seine Berechtigung hat). Eher von Filmen, die unsere Rezeptoren kitzeln und gern auch ein bisschen reizen. Guy Maddin ist dafür genau der Richtige.

Maddin, 1956 im kanadischen Winnipeg geboren, studierte zunächst Wirtschaft und nahm eine ganze Reiher normaler Jobs an, darunter Bankangestellter, Maler und Fotoarchivar. Erst später begann er Filmseminare an der University of Manitoba zu belegen, traf dort spätere Kollaborateure und war vor allem von Low-Budget-Avantgardefilmen beeindruckt, darunter David Lynchs Eraserhead oder Luis Buñuels L’âge d’or. Sie vermittelten ihm erstmals den Eindruck, dass das Filmemachen ohne ein riesiges Startkapital und große Studios im Rücken möglich war. Zur selben Zeit wurde er Mitglied in der Winnipeg Film Group, einer Künstlervereinigung, die unter anderem unabhängige Nachwuchsfilmemacher unterstützt und versucht mit den eigenen Arbeiten die Grenzen des Mediums Film auszutesten.

Eli Christman - CC BY-SA 4.0
Eli Christman — CC BY-SA 4.0

Den Gattungen und Techniken, die Guy Maddin von Anfang an fasziniert hatten, blieb er treu, als er schließlich in den 1980er Jahren begann seine eigenen Kurz- und Langfilme zu drehen. Seine Werke erinnern an Stummfilme, speziell jene der Surrealisten, sie sind bis heute häufig auf Filmmaterial gedreht und arbeiten nicht selten mit Found-Footage-Material, das Maddin in einem veränderten Kontext neu zusammensetzt. Auch Autobiografisches, Erinnerungen, Träume, die Beziehung zu seiner Heimatstadt Winnipeg fließen immer wieder ein, lassen vollends die Ebenen zwischen Spielfilm, Dokumentarischem und experimenteller Kunst verschwimmen.

Damit hat sich Guy Maddin über die Jahre hinweg einen gewissermaßen schizophrenen Status erarbeitet. Sehr gut möglich, dass ein Großteil der heutigen Mainstreamkinogänger seinen Namen noch nie im Leben gehört hat. In cinephilen Kreisen hingegen ist er ein Star, mehrfach ausgezeichnet (unter anderem mit dem Order of Canada), dessen Filme regelmäßig auch Gegenstand akademischer Arbeiten sind.

 

Guy Maddins Filme im Stream:

 

Waiting for Twilight (1997)

Der perfekte Film für den Einstieg in das Universum des Guy Maddin. Waiting for Twilight findet sich ursprünglich im Bonusmaterial der DVD seines vierten Spielfilms Twilight of the Ice Nymphs und dokumentiert dessen Entstehung, beinhaltet Aufnahmen vom Set ebenso wie Interviews mit Maddin und seinen Weggefährten. Doch der Film ist mehr als ein bloßes Making-of. Er ist eher ein filmisches Porträt, das sich vor allem auf die Zwänge konzentriert, denen ein Künstler ausgesetzt ist. Die ständigen Machtkämpfe und Einmischungen seiner Produzenten belasten Maddin, beinahe gibt er das Filmemachen auf und dreht in den folgenden Jahren tatsächlich in erster Linie Musikvideos, Werbeclips, Kurzfilme. Im Interview sagt er: „Just close the mausoleum lid on me“.

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Mein Papa ist 100 Jahre alt (2005)

Nachdem Guy Maddin in seinem Spielfilm The Saddest Music In The World mit Isabella Rossellini zusammengearbeitet hatte, kollaborierte er noch mehrfach mit der Schauspielerin. Unter anderem für einen Film zum 100. Geburtstag ihres Vaters, des italienischen Regisseurs und Mitbegründers des Neorealismus Roberto Rossellini. Isabella spielt selbst sämtliche Rollen in diesem geradezu kindlichen Tribut, auch die ihrer verblüffend ähnlich sehenden Mutter Ingrid Bergman. Aber sie lässt ihren Vater darin auch auf andere Granden treffen, darunter Hitchcock, Chaplin, Fellini, David O. Selznick, die sich darüber austauschen was das Kino sein sollte.

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My Winnipeg (2007)

Statt eines gewöhnlichen Dokumentarfilms über seine Heimatstadt drehte Guy Maddin mit My Winnipeg eine sogenannte Dokumentarfantasie. Dafür mischt er tatsächliche biografische Fakten — er lässt Schauspieler seine Familie und eine Version seiner selbst darstellen — mit Anekdoten aus der Stadtgeschichte, aber auch mit Legenden und urbanen Mythen, überhöht so Winnipeg zu einem sagenumwobenen Ort. Man meint zwar am Ende nicht die Straßenkarte exakt vor seinem geistigen Auge zu sehen. Sehr wohl aber stellt sich ein poetisch intuitives, gewissermaßen ein erträumtes Gefühl für die Stadt ein.

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Night Mayor (2009)

Der Kurzfilm Night Mayor spielt im Winnipeg des Jahres 1939: Der bosnische Einwanderer und Erfinder Nihad Ademi lernt darin die Kraft der Aurora borealis zu nutzen, um Bilder und Nachrichten von einer kanadischen Küste zur anderen zu senden. Guy Maddin filmt das Ganze im Stil einer Mockumentary, also einer Pseudo-Dokumentation, und imitiert dafür den Look historischen Materials. Deutlicher als in vielen seiner Langfilme formuliert Night Mayor dabei auch eine Botschaft und übt Kritik an der kanadischen Einwanderungspolitik.

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Send Me To The Lectric Chair (2009)

Im Jahr 2009 arbeitete Guy Maddin einmal mehr mit Isabella Rossellini zusammen und setzte diese für seinen Kurzfilm Send Me To The Lectric Chair sieben Minuten lang auf einen hölzernen elektrischen Stuhl. Nach und nach schraubt er die Energie in die Höhe und wir können dabei zusehen, wie die Schauspielerin immer ekstatischer wird und Bilder aus ihrem Gedächtnis heraufbeschworen werden. Der elektrische Stuhl ist hier alles andere als ein Hinrichtungsinstrument.

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The Forbidden Room (2015)

The Forbidden Room mutet an wie aus Filmmaterialien aus der Übergangszeit zur Tonfilmära zusammengesetzt, ist aber nur von einem verschollenen Stummfilm inspiriert und besteht - wenn man es auch nicht glauben mag — aus eigens neu gedrehten Aufnahmen. Im Kern erzählt das Fantasydrama die Geschichte einer U-Boot-Crew, die eine mysteriöse Substanz transportiert. Sie droht sofort zu explodieren, wenn das Schiff an die Wasseroberfläche kommt. Aber Guy Maddin dreht nicht einfach einen Film mit linearem Plot. Im Gegenteil, The Forbidden Room ist wie eine Matrjoschka aufgebaut, bei der jede Sequenz den Film auf eine neue Ebene führt. Im Cast verstecken sich dabei Größen wie Charlotte Rampling, Udo Kier, Geraldine Chaplin oder die Mitglieder der Band Sparks, deren Musikvideo zu The Final Derriere eine eigene Sequenz des Films bildet.

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The Green Fog (2018)

Eine Neuinterpretation von Alfred Hitchcocks 1958er Klassiker Vertigo: Von Guy Maddin zur Musik des Kronos Quartet aus bereits existierenden Ausschnitten montiert, aus im Laufe des vergangenen Jahrhunderts in San Francisco gedrehten Film- und Fernsehschnipseln. Verfolgungsjagden aus einem schwarzweißen Film noir folgen auf Science-Fiction der 1970er Jahre folgen auf seifenopernhafte Dinnerparties. So formt Maddin nicht nur ein visuelles Archiv, eine Raum und Zeit abbildende Karte der Bay Area. Er dokumentiert auch die Magie des Kinos selbst, die sich nicht nur über Dialogzeilen vermittelt: Oft schneidet er die Dialoge aus den Szenen, so dass nur die Sprechpausen der Figuren übrig bleiben, ihr Räuspern, Atmen, Kussgeräusche. Der resultierende Effekt ist komödiantisch, aber auch erstaunlich, denn trotz der fehlenden Worte lassen sich die grundlegenden emotionalen Register der Gespräche problemlos nachvollziehen.

Verfügbar auf: Zum Leihen und Kaufen auf Amazon

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