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Die Unvollendeten: Über Stanley Kubricks "Napoleon"

Ein Beitrag von Redaktion

Zahlreiche Kinoklassiker finden sich in Stanley Kubricks Filmografie. Eines seiner Herzensprojekte konnte er allerdings nie verwirklichen: Ein Biopic über Napoleon Bonaparte. Das Drehbuch stellte Kubrick bereits vor 50 Jahren fertig. Doch aufgrund zahlreich widriger Umstände wurde ihm eine Umsetzung verwehrt.

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Kubricks Napoleon
Locations-Scouts suchten 1968 an Originalschauplätzen nach Drehorten für Stanley Kubricks Napoleon-Film.

Wieviele Filmemacher auf dieser Welt haben schon die Chuzpe, sich für ihren Kriegsfilm einfach waschechte Soldaten bei einem Staat auszuleihen? Eine komplette, real existierende Armee mit mehreren Tausend Mann? Es wird wahrscheinlich kaum jemanden überraschen, dass Stanley Kubrick die Nerven dazu hatte. Schon für seinen frühen Kriegsfilm Wege zum Ruhm hatte er rund 800 deutsche Polizeioffiziere als Filmsoldaten verpflichtet und sein neues Projekt sollte von wesentlich größerem Umfang sein: 50.000 Soldaten, exakte Nachstellungen historischer Schlachten an Originalschauplätzen. Stanley Kubricks Napoleon gehört zu den wohl spektakulärsten Filmen, die nie realisiert wurden.

Im Jahr 1968 stand Stanley Kubrick auf dem Zenit seiner Karriere. Schon mit seinen früheren Filmen hatte er Erfolge gefeiert, sich einen Namen gemacht. Doch 2001: Odyssee im Weltraum setzte all dem die Krone auf. Der Science-Fiction-Film war ein kommerzieller Erfolg, von der Kritik hochgelobt und fuhr fünf Oscarnominierungen ein — darunter auch für die Beste Regie. Dieses Momentum nutzte Kubrick, um grünes Licht für sein nächstes Herzensprojekt bei seinem damaligen Studio MGM anzuleiern: Ein Film über das Leben des französischen Kaisers Napoleon Bonaparte.

Kustümstudien für "Napoleon". (c) Taschen-Verlag
Kostüm-Studien für „Napoleon“ aus dem Buch „Stanley Kubricks Napoleon“. (c) Taschen-Verlag

50.000 Statisten und Hunderte Karteikarten

 

Seit der Geburt des Kinos hatte es immer wieder Filme über Napoleon gegeben — der bekannteste unter ihnen wahrscheinlich das Monumentalepos von Abel Gance, das Kubrick nebenbei bemerkt scheußlich fand. Sein eigener Film sollte alles bisher Dagewesene übertreffen. Und so heuerte der Regisseur zuerst den Historiker Felix Markham an und sicherte sich die Rechte an dessen Napoleon-Biografie. 20 Markhams bester Studenten wurden mit der Aufgabe betraut, ein umfassendes Personenregister anzulegen, in dem mithilfe von Karteikarten die 50 wichtigsten Personen in Napoleons Leben sowie alle wichtigen Ereignisse verzeichnet waren. Das bedeutete jedoch noch lange nicht, dass Kubrick die Recherchen für Napoleon auslagerte. Schließlich war er ein Perfektionist bis hin zur Obsession.

“I’d take that with a pinch of Bolivian marching powder.”

Das ist die Antwort des langjährigen Kubrick-Assistenten Tony Frewin, befragt nach einer der populärsten kursierenden Kubrick-Anekdoten. Malcolm McDowell erzählte sie besonders gern. Er habe Stanley Kubrick während des Drehs zu Uhrwerk Orange sein Steak und das Dessert gleichzeitig vertilgen gesehen. Darauf Kubrick: “Was ist der Unterschied? Das ist alles Nahrung. So hat Napoleon auch gegessen.”

Andere Anekdoten aus der Prä-Produktionsphase von Napoleon sind weniger umstritten. Die heute so einfache öffentliche Verfügbarkeit all des angehäuften Materials ist vor allem einem umfangreichen Band aus dem Hause Taschen zu verdanken: In Stanley Kubricks Napoleon finden sich der Drehbuchentwurf und unzählige Notizen, Fotos der Location Scouts, Kostümstudien — eine schier endlose Fundgrube.

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Cover von „Stanley Kubricks Napoleon“. (c) Taschen-Verlag

So erfährt man darin unter anderem, dass Kubrick 50.000 Statisten als Soldaten aufmarschieren lassen wollte. Die Suche nach geeigneten Locations stellte sich daher als besonders schwierig heraus. Denn zum einen musste die nötige Infrastruktur bestehen, um eine derartige Menge an Männern in der Nähe der Drehorte zu beherbergen. Zum anderen entpuppten sich Napoleons einstige Schlachtfelfer als inzwischen bebaut — mit Fabrikanlagen oder anderen modernen Gebäuden. So nahm Kubrick vor Ort immerhin Bodenproben, um anderswo Locations zu finden, die der Erde ähneln würden, auf der einst der Feldherr stand. Fündig wurde das Filmteam im ehemaligen Jugoslawien. Rumänien erklärte sich bereit, Kubrick seine Armee zu einem günstigen Preis auszuleihen - und weil Jugoslawien von der Vorstellung rumänischer Truppen im eigenen Land nicht gerade angetan war, unterbot es den Konkurrenten sogar noch. Beinahe sah es so aus, als könnte jeden Moment die erste Klappe zu Napoleon fallen.

 

Stanley Kubricks Waterloo

 

Im September 1969 hatte Stanley Kubrick vorerst genug recherchiert und reichte sein fertiges Drehbuch bei MGM ein. Doch im Studio hatte sich der Wind gedreht. Zum einen lag das am neuen Boss Kirk Kerkorian, der sich einen Namen als Hotelier gemacht hatte und nun die finanziell angeschlagene MGM mehr in Richtung Fernsehen bewegen wollte. Außerdem waren inzwischen mehrere Napoleonfilme in Produktion. Alle drei — inklusive John Hustons Waterloo — stellten sich am Box Office als Flops heraus, die es nicht einmal vermochten ihr eigenes Budget wieder einzuspielen. Somit war auch die Finanzierung für Kubricks Napoleon endgültig gestorben und der Filmemacher wechselte zum Studio Warner Bros.

Dort erhielt er zunächst das Geld um den Roman Uhrwerk Orange zu verfilmen — und noch in der entsprechenden Pressemitteilung gab er bekannt, dass er sich nach Fertigstellung des Films wieder Napoleon zuwenden würde. Und das versuchte er auch — nur hatten seine ursprünglich anvisierten Hauptdarsteller inzwischen kein Bedürfnis mehr die Uniformen überzustreifen. Jack Nicholson hatte schlicht keine Lust mehr auf die Rolle und Ian Holm hatte mittlerweile für ein anderes Napoleon-Projekt zugesagt: die BBC-Fernsehproduktion Napoleon and Love.

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Kubricks Notizen zum Ablauf der Dreharbeiten, die jedoch nie begannen. Quelle: „Stanley Kubricks Napoleon“ (c) Taschen-Verlag

Das vorzeitige Ende seines Herzensprojekts dürfte Stanley Kubrick schwer getroffen haben. Aber immerhin waren nicht alle Recherchen vergeblich. So hatte der Regisseur etwa hochempfindliche Kameraobjektive ausfindig gemacht, mit denen er die ausschließlich kerzenbeleuchteten Sexszenen zwischen Napoleon und Josephine hatte filmen wollen. Diese Linsen kamen stattdessen wenig später in Barry Lyndon zum Einsatz. Der Film gilt bis heute als eindrückliches Beispiel für die fast ausschließliche Verwendung natürlichen Lichts.

 

Der lange Weg zur Serien-Adaption

 

Stanley Kubrick starb 1999 — doch die Hoffnung auf eine filmische Adaption seines Napoleon-Drehbuchs bleibt bis heute bestehen. Viele Jahre stand dabei Steven Spielberg im Fokus: Der Regisseur von Schindlers Liste und Jurassic Park hatte bereits eines von Kubricks Projekten übernommen, eine zeitgenössische Interpretation von Pinocchio im digitalen Zeitalter. Daraus wurde schließlich A.I. — Künstliche Intelligenz, dem man seine Kubrick’schen Wurzeln jedoch kaum anmerkte.

Ein neuerliches Lebenszeichen des nie verwirklichten Historienfilms gab es 2013: Spielberg berichtete in einem Interview davon, Napoleon für den Pay-TV-Sender HBO als Mini-Serie umsetzen zu wollen. Gerüchte besagten damals, dass Tom Hanks oder Daniel Day-Lewis in der Hauptrolle zu sehen sein sollten. Einige Jahre später — 2016 um genau zu sein — hieß es schließlich, Cary Fukunaga (True Detective Season 1, Beasts of no Nation) werde diese Umsetzung übernehmen. Als Produzenten mit an Bord: Spielberg sowie Kubricks langjähriger Wegbegleiter Jan Harlan. Im September 2018 bekräftigte Fukunaga in einem Interview nochmals, dass die Arbeiten weiterhin laufen: 

“We want to carry the torch in a way that embodies the spirit of what he was trying to achieve.”

Weniger bekannt ist, dass es inzwischen tatsächlich eine Adaption von Kubricks Script gibt — für die Bühne. Im August 2018 feierte Napoleon by Stanley Kubrick in New York seine Premiere. Der französische Opernsänger David Serero übernahm die Hauptrolle. Gleichwohl mussten die Zuschauer auf einen Großteil von Kubricks historischer Akkuratesse verzichten: Bei dem Stück handelte es sich lediglich um eine Leseinszenierung, auf Kostüme und Kulissen wurde verzichtet.

Einen Eindruck über die umfangreichen Recherchen des legendären Regisseurs konnten sich zudem Besucher des London Desgin Museums von August bis September 2019 verschaffen. Die dortige Ausstellung über die Kubricks Lebenswerk beinhaltete auch Exponate zu Napoleon, unter anderem Fotografien, Skizzen, schriftliche Dokumente, Biografien und einen Brief Audrey Hepburns, in dem sie die Rolle von Josephine ablehnte.

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Alle Bilder stammen aus dem Buch „Stanley Kubricks Napoleon“ — mit freundlicher Genehmigung des Taschen-Verlags. Autorin: Alison Castle; VÖ: 31. Januar 2018; Hardcover, 832 Seiten; Taschen-Verlag; ISBN: 9783836570671, ca. 50 Euro.

von Katrin Doerksen und Christian Neffe

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