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Deutschland, deine Verlorenen: "Der goldene Handschuh"

Ein Beitrag von Matthias Pfeiffer

Das Jahr in 7 Filmen #2: Fatih Akins „Der goldene Handschuh“ zeigt dem Publikum eine dreckige, hoffnungslose und brutale Welt — eben die Realität seines Protagonisten Fritz Honka.

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Filmstill zu Der Goldene Handschuh (2019)
Der Goldene Handschuh (2019) von Fatih Akin

Heute prangt das Schild „Honka-Stube“ am Goldenen Handschuh. Der Namensgeber Fritz Honka ermordete in den Siebzigern vier Frauen, zersägte ihre Leichen und bunkerte die Teile in seiner Wohnung. Auf den aufkommenden Gestank angesprochen, beschuldigte er die griechischen Nachbarn und deren eigenwillige Küche. Erst durch einen Brand wurden die Körperteile zufällig gefunden. Angesichts dieses Hintergrunds wirkt die „Honka-Stube“ mehr als zynisch. Kann man dem realen Schrecken nur verharmlosend Herr werden?

Heinz Strunk wählte mit Der Goldene Handschuh einen anderen Weg. In seinem 2016 erschienenen Roman schilderte er den Mörder und sein Milieu mit einem Realismus der nur noch weh tut. Honka ist kein mysteriöser oder charismatischer Serienkiller, sondern einer von ganz unten, ein hässlicher, gewaltbereiter Alkoholiker. Aber auch jemand der nach Liebe und einem Ausweg aus dem Unrat sucht. Aber immer wieder bleibt ihm nur seine Stammkneipe Der Goldene Handschuh. Hier ist er nicht nur in Gesellschaft anderer gescheiterter Existenzen, sondern findet auch seine Opfer, heimatlose, alkoholkranke Frauen, nach denen niemand suchen wird.

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Fatih Akins Verfilmung von Der Goldene Handschuh steht seiner Vorlage in nichts nach. Der Film bewegt sich weitab von gemütlicher Unterhaltung. Korn und Schlager sind die einzigen Heilmittel für Fritz Honka. Daneben bleibt ihm nur die Demütigung und Misshandlung der Frauen, die er im verrauchten Kneipendunst aufliest. Doch das alles hilft nichts gegen die Aggression, die in ihm hochkommt und für seine Besucherinnen zum Verhängnis wird.

Dabei verzichtet der Film weitgehend auf platten Voyeurismus. Einige der grausamen Szenen finden nur im Kopf des Zuschauers statt, das gegenwärtige Blutvergießen geschieht außerhalb seines Blickfeldes. Wenn die Kamera dann doch draufhält, wird es in einem Maße ungenießbar, dass die Blicklust versiegt. Ankreiden kann man Akins Film jedoch, dass er im Gegensatz zur Buchvorlage weitgehend auf einen Einblick in Honkas Innenwelt und seine Biografie verzichtet. Das hat weniger mit Verständnis für das Unverständliche zu tun, sondern mehr mit der Aufklärung, welcher Mensch sich hinter dem „Monster“ verbirgt. Der Goldene Handschuh bleibt so ein Blick von außen. Dafür bleibt er trotzdem eine unangenehme und manchmal groteske Fahrt in ein hoffnungsloses Milieu, das sich der Zuschauer so nur schwer vorstellen kann. Und auch fünfzig Jahre später ist es kein Relikt der Vergangenheit.

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Still aus „Wintermärchen“ / © Heimatfilm

Ein anderer deutscher Film wagte sich ebenfalls ins Dunkel. In Wintermärchen zeigt Jan Bonny den Alltag einer rechtsextremen Terrorzelle, die sich im Untergrund auf ihre „Mission“ vorbereitet. Zwar ist klar, dass es sich hier um die Mordserie des NSU handelt, was schon durch die Konstellation aus zwei Männern und einer Frau deutlich wird. Aber Bonny fiktionalisiert die Geschehenisse, es kommt ihm nicht darauf an, einen Faktenbericht abzuliefern oder die Greuel minutiös nachzubilden. Ähnlich wie beim Goldenen Handschuh, stellt er die Frage, welche Menschen dahinter stecken. Und genau wie im Hamburg der Siebziger blickt man hier auf Existenzen, die sich nur noch in Sex, Gewalt und Rausch flüchten können. Anderes Jahrzehnt, andere Umstände, selbe Abgründe.

Der Blick auf die Wirklichkeit tut weh, anders geht es auch nicht. 2019 gab der deutsche Film einige Beispiele dafür. Darunter auch Nur eine Frau, mit dem Sherry Hormann einen Ehrenmord-Fall aus dem Jahr 2005 verarbeitet oder — um das Gebiet Kriminalität zu verlassen — Nora Fingscheidts Systemsprenger, der den schwierigen Umgang mit einem hyperaktiven, aggressiven Mädchen zeigt. Einzelne Beispiele, die jedoch gesamtgesellschaftliche Probleme spiegeln. All diese Filme zeigen das Bittere vor unserer Haustür — ohne Zuckerguss und den doppelten Boden der Fiktion.

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