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"Der Leuchtturm" und der Blick über den Rand des Wahnsinns

Ein Beitrag von Matthias Pfeiffer

Das Jahr in 7 Filmen #4: In diesem Jahr wagten sich einige Filme ins Grenzgebiet von Wahn und Realitätsverlust. Robert Eggers‘ „Der Leuchtturm“ überstrahlt dabei alles.

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Filmstill zu Der Leuchturm (2019)
Der Leuchturm (2019) von Robert Eggers

Zwei Männer allein im Niemandsland — diese Kombination verspricht keine Harmonie. Der abgehärtete Seebär Tom Wake (Willem Defoe) und sein neuer Gehilfe Ephraim Winslow (Robert Pattinson) heuern an der ostkanadischen Küste zu einer vierwöchigen Schicht als Leuchtturmwärter an. Tom macht die Verhältnisse schnell klar: Während er sich mit der Linse einschließt und mit ihr eine objektophile Beziehung eingeht, ist Ephraim für die Drecksarbeit zuständig. Erniedrigung, Entbehrung — und nicht zu vergessen die unaufhörlich kreischenden Möwen — sägen immer mehr am Nervenkostüm des ehemaligen Waldarbeiters.

So etwas wie Der Leuchtturm hat man im Kino schon lange nicht mehr gesehen. Alles in diesem Film ist zutiefst lebensfeindlich: Die steinige Küste, die man nur noch als Naturruine beschreiben kann, die Schwarz-weiß-Bilder, deren Tristesse förmlich aus der Leinwand sickert, eine Geräuschkulisse aus Möwengeschrei und maschinellem Gedröne. Stilistisch schöpft Robert Eggers hier aus dem Vollen. So kann auch die Annährung der beiden Männer nicht über den kommenden Untergang hinweg täuschen. Die große Hiobsbotschaft steht nämlich noch ins Haus. Nicht nur können sie aufgrund eines Unwetters nicht pünktlich abgeholt werden, es kann auch sein, dass sie über mehrere Wochen in ihrem Loch bleiben müssen.

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Ab hier überschlagen sich sexuelle Fieberträume, Alkohol und immer deutlicher auftretende Aggression. Nach und nach tritt auch ein düsteres Geheimnis Ephraims zu Tage, das die Stimmung noch mehr vergiftet. Und irgendwann ist es nicht einmal mehr sicher, wer hier eigentlich wer ist. Ephraim sieht jedenfalls das allmächtige Licht der Linse als einzige Rettung für sich. Auch wenn Tom seinen Schatz nicht so einfach teilen will.

Der Leuchtturm ist eine existenzialistische Schlacht. Zwei Menschen sind auf der Suche oder Flucht vor etwas, das sie selbst nicht benennen können, gefangen in einer Welt, die nichts für sie übrig hat. Am Ende bleibt nur der Realitätsverlust. Auf eine ästhetisch ganz andere Weise erzählt auch Burning des südkorenischen Regisseurs Lee Chang-dong davon. Während Eggers‘ Film das Publikum als tiefschwarze Lawine überrollt, zeichnet Burning Strich für Strich ein immer dichter werdendes Bild der Wirrniss.

Im Zentrum steht der schüchterne Jong-su (Yoo Ah-in), der ein Dasein als ideenloser Schriftsteller fristet. Mit Hae-mi (Jeon Jongseo), einer ehemaligen Schulkameradin kommt doch noch etwas Abwechslung in sein Leben. Kurz bevor diese nach Afrika fliegt, kommt es zu einem intimen Nachmittag, ausgehend von seinem Versprechen auf Wohnung und Katze aufzupassen. Und so wird es langsam skurril. Dauernd klingelt das Telefon, an dessen anderem Ende jedoch nur Schweigen rauscht. Das Haustier hinterlässt leere Näpfe und volle Katzenklos, tritt jedoch nicht selbst in Erscheinung. Der größte Schock erwartet Jong-su jedoch bei Hae-mis Rückkehr. Da hat sie nämlich einen neuen Freund mit im Gepäck, den Yuppie Ben (Steven Yeun). Anfangs ein nervender Konkurrent, wird Ben zum gefährlichen Mysterium. Nicht nur wegen seinen pyromanischen Neigungen, sondern auch weil er etwas mit dem plötzlichen Verschwinden von Hae-mi zu tun hat — so muss es zumindest sein.

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Still aus „Burning“ © Capelight Pictures

Bis zum Schluss wird nicht geklärt, ob die tatsächliche Realität auf der Leinwand zu sehen ist, oder die Imagination von Jong-su. Zusehends verdichten sich die Merkwürdigkeiten, ohne dass ein erkennbarer Sinn daraus entstehen würde. Was jedoch entsteht, ist schleichende Paranoia, die sich von der Hauptfigur immer mehr auf das Publikum überträgt.

Wenn es um den Wahnsinn im Film geht, kommt man in diesem Jahr wohl kaum an Todd Phillips‘ Joker vorbei. Die Vorgeschichte des Batman-Bösewichts ist natürlich deutlich konventioneller erzählt als Der Leuchtturm oder Burning. Von Anfang an ist klar, dass Arthur (Joaquin Phoenix) psychisch krank ist. Die Gründe dafür liegen im wahrsten Sinne des Wortes auf der Straße: Gewalt, Armut, die psychische Abhängigkeit von seiner Mutter. Somit ist bei aller Hollywood-Ästhetik — wenn auch mit Dreck beworfen — hier eine nachvollziehbare Form des Wahnsinns zugegen. Als Arthur schließlich die Gelegenheit erhält, die Gewalt in die eigenen Hände zu nehmen, wendet sich das Blatt. Er hat sein Ventil gefunden.

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Still aus „Joker“  © Warner Bros. Entertainment

Bei aller Intensität, die nicht zuletzt durch die schauspielerische Leistung Phoenix‘ entsteht, bleibt alles recht einseitig. Die Obrigkeit ist an allem Schuld, dargestellt durch Thomas Wayne, den Vater des späteren Batman. Arthur hat im Endeffekt das Recht auf seine Eskalation, schließlich ist er jemand, der endlich mal was macht. Die ganze Komplexität wird auf den Kampf reduziert. Sicher fiebert man mit, macht es genau das schwierig. Mit der Politik ist es eben wie mit der menschlichen Psyche: Einfache Antworten gibt es nicht. Und das Ungeklärte langsam zu erforschen ist doch so viel interessanter.

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