zurück zur Übersicht
Specials

Couchperle: Filmtipps mit Folgen

Man meint es gut, empfiehlt einen Film und erntet – verstörte Reaktionen. Oft geschieht’s aus eigener Unwissenheit, oder weil man das Gegenüber falsch einschätzt, und schon wird man bei der gemeinsamen Sichtung selbst zum Leidtragenden. Die Redaktion präsentiert ihre größten Fehlgriffe in Sachen Filmauswahl.

Meinungen
Filmtipps_Fatal
Mother! / Visitor Q / Blue Velvet

Über Geschmack zu streiten sei, wie zu einem Bauplan zu tanzen. Das stimmt insofern, als man sich auch mit gut gemeinten Tipps ganz schön in den falschen Takt bringen kann. Wer hat es schonmal erlebt? Da bringt man seinen Lieblingsfilm zu einem Videoabend mit und niemand ist begeistert. Man hat ein schönes Date, kuratiert mit bestem Gewissen das Rahmenprogramm und schon sind alle romantischen Vibes verflogen. Gut, wer will es Mathis Raabe erklären, dass Takashi Miike eine fragwürdige Wahl ist? Und mit den Eltern Blue Velvet zu schauen, ist auch keine gute Idee. Es folgt eine Auswahl von Filmtipps, getarnt als unterhaltsame Anekdoten aus dem Leben.

Blue Velvet“ mit den Eltern

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen ein externes Video von YouTube präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen

Ich bin meinen Eltern unendlich dankbar, dass ich sehr früh Zugang zu allerlei Filmen hatte, die andere in meinem Alter nicht hätten sehen dürfen.  Mit 14 hatte ich eine ganz massive David-Lynch-Phase, die damit begann, dass meine Eltern ausgegangen sind. Wie immer durfte ich mir einen Film aus der Videothek ausleihen. Ohne zu wissen, was ich mir da in den Videorekorder stecken würde, griff ich zu Lost Highway und es war um mich geschehen. Alles von David Lynch musste her, aber schnell. Wenig später besorgte mir Cousin Blue Velvet. Erneut hatte ich keine Ahnung, was mich erwarten würde. Diese dunkle Reise ins Herz der Finsternis, irgendwo zwischen verstörender Unterwerfung, toxischer Männlichkeit und dunkler Romantik packte mich in meinem Innersten. Allein der titelgebende Song von Bobby Vinton ließ das Blut kochen: hörte dieser sich an, als könne er all den Wahnsinn allein aus sich heraus gebären. Die Kamerafahrt in das abgetrennte Ohr war der Strudel in eine verbotene Zone der Welt, die man aus sicherer Distanz betrachten durfte. Und natürlich war da diese Szene mit Dennis Hopper und Isabella Rossellini, die mich verstörte und gleichzeitig beschäftigte: Was zum Teufel war das?

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen ein externes Video von YouTube präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen

Der wahnsinnige Gangster Frank kommt in die Wohnung der Nachtclub-Sängerin Dorothy Vallens. Er hat ihren Sohn entführt, um sie sexuell gefügig zu machen und sitzt bizarres Gas röchelnd vor ihr: Sie soll sich auf einen Stuhl setzen und die Beine spreizen, befiehlt der Mann, während er zu ihrem Kind wird. Zurück zur Mutter, hineinkriechen wollen, nur um dann doch in aller Jämmerlichkeit der eigenen Kreatürlichkeit zu unterliegen. Die Gewalt des Mannes oszilliert zwischen brachialer Wut und lächerlichem Selbsthass.

Wie ich aber ausgerechnet auf die Idee kam, Blue Velvet meinen Eltern zu zeigen? Ich habe keine Ahnung. Möglicherweise, ja vielleicht wollte ich insgeheim die Grenzen verschieben, eine Revolte des Sehens anzetteln: Rebellion durch Kino. Hört sich eigentlich ganz schick an. Wahrscheinlich habe ich mir aber damals gar nicht viel gedacht. Ich wollte den Film einfach teilen, jedem zeigen. Die Dunkelheit hat mich schon immer mehr angezogen, als es das Licht je vermocht hat. Bis zu jener Rossellini-Hopper-Szene lief eigentlich ganz gut. Dann, aber dann: Völlig empört sprang meine Mutter auf, öffnete mich einer ruppigen Geste die Tür und zischte halb wütend, halb entsetzt: „Mein Sohn ist ein Perverser.“ Bang! Das hat gesessen. Mein Vater und ich schauten den Film zu Ende. Die Stimmung aber war dahin. Meiner Liebe zum Film hat dieser Vorfall nicht geschadet. Ob meine Mutter allerdings den Film jemals ganz gesehen hat? Ich weiß es nicht.

Sebastian Seidler 

„Visitor Q“ bei einem Date

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen ein externes Video von YouTube präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen

Es gibt unter Fans abseitigen Kinos die These, man müsse beim Daten die geschmacklichen Überschneidungen mit einer Person testen, indem man einen möglichst herausfordernden Film guckt. In mir zuckt da immer etwas zusammen. Es hängt doch sehr von der Person ab und davon, wie gut man das Ganze anmoderiert, ob es sinnvoll ist, bei einem Date sein Mediabook eines New French Extremity-Films herauszukramen. Eine unwissende Person bewusst zu überfordern, kann distanzlos und übergriffig sein.

Unbewusst habe ich aber einmal ein Date und mich selbst gleich mit verstört. Nachmittags noch beim Filmhändler ein paar Schnäppchen gemacht, abends auf der Couch verabredet. Was mir nicht bewusst war: Der japanische Regisseur Takashi Miike, den ich damals gerade nach und nach entdeckte, hat nicht nur Yakuza-Filme und überdrehten Manga-Splatter gedreht. Auch das mag für ein Date schon nach Themaverfehlung klingen. Wir hätten damit aber noch umgehen können, auch die Person neben mir auf der Couch, die Theaterdesign studierte und sich für Performance-Kunst interessierte. Was ich aus der Grabbelkiste gefischt und dann als Abendgestaltung vorgeschlagen hatte, war aber Visitor Q, ein niedrigbudgetierter, natürlich inszenierter, schmutziger kleiner Film über eine dysfunktionale Familie, die Besuch von einem namenlosen Fremden bekommt, der alles noch viel schlimmer macht. Die Trigger-Warnungen, die man dem Film voranstellen könnte, sind reichlich: häusliche Gewalt, Vergewaltigungen, Inzest, Nekrophilie und Drogenmissbrauch werden dargestellt.

Visitor Q ist ein Film, der durchaus künstlerischen Wert hat. Er kam in Deutschland sogar ins Kino. Die Kritiken der Zeit fanden die Kombination aus Arthouse- und Exploitationfilm-Elementen interessant und beschrieben ihn als Reflexion über das Gewaltpotential von Alltagsstrukturen, in dem die Grenzüberschreitungen auch nicht selbstzweckhaft seien. Auch wir guckten den Film damals zu Ende, weil er dann eben doch nicht nur verstörte, sondern auch faszinierte, und weil wir immerhin gemeinsam durch diese Erfahrung gehen und dabei interessant diskutieren konnten. Vielleicht ist also doch etwas dran an der Theorie vom filmischen Lackmustest. Man muss aber nicht gleich so weit gehen wie ich.

von Mathis Raabe

mother!“ beim Familienabend

Ja, ich gebe zu, das war von Anfang an eine bescheuerte Idee und zum Scheitern verurteilt. Aber hey, zumindest war die Intention dahinter nicht ganz übel (rede ich mir zumindest ein…), denn ich wusste noch ganz genau, wie Darren Aronofksys mother! nach dem Kinobesuch in meinem Kopf nachhallte. Und das nicht nur bis zum Schlafengehen, sondern noch einige Tage darüber hinaus. Die surrealistische Nacherzählung der Bibel in Form eines verstörenden Kammerspiel-Horrortrips hatte mich wahnsinnig beeindruckt, etwas mit mir gemacht, mich nicht kaltgelassen und zum Grübeln gebracht — und das ist eine Qualität, die ich bis heute an Filmen schätze, selbst wenn sie einige Probleme haben. Und diese Erfahrung wollte ich natürlich auch gern anderen vermitteln.

Doch wie ich darauf kam, dass meine Freundin, meine Cousine und meine Mutter (jap, alle drei auf einmal) ähnlich empfinden würden — in der Rückschau habe ich keine Ahnung, was mich da geritten hat. Wir saßen also da, vom gemütlichen Beginn über den unangenehmen Besuch von Ed Harris und Michelle Pfeiffer und die Invasion eines Chaostrupps bis zum markerschütternden Finale, und während ich das alles bei dieser für mich zweiten Sichtung nochmal ordnete und deutete, wurde die Empörung um mich herum immer lauter und spürbarer, ja beinahe körperlich. „Ich fühle mich wie vergewaltigt“, war einer der Sätze, die anschließend fiel.

In der darauffolgenden Diskussion um den Film schlug mir pures Entsetzen entgegen — nur meine Cousine konnte ich mit der biblischen Lesart und der damit verbundenen Interpretation zuerst interessieren und schließlich vom Film begeistern. Noch heute machen wir uns bei Familientreffen einen Scherz daraus, welche Empörung aufbrandet, wenn wir von der Genialität von mother! schwärmen. So ein Film kann nicht nur für Entsetzen sorgen, er kann im gleichen Atemzug auch zusammenschweißen.

von Christian Neffe

Schwarzweiß-Klassiker mit meiner Schwester

In den späten 1990er Jahren gehörte es zu den Hobbys von meiner Schwester und mir, Horrorfilme aus der Videothek auszuleihen, um sie des Nachts anzuschauen. Unter jenen Filmen fanden sich Genre-„Perlen“ wie Amityville II – Der Besessene oder Omen IV – Das Erwachen. Rückblickend muss ich erkennen, dass es mit dem Sortiment unserer Stammvideothek nicht zum Besten stand; damals glaubten wir uns jedoch hinreichend mit feinem Stoff versorgt. Wir hatten immer großen Spaß.

Irgendwann fing ich dann allerdings an, mich intensiver für Film als Kunstform zu interessieren und nach den Klassikern der Kinohistorie zu suchen. Das führte dazu, dass ich sämtliche Schwarzweiß-Filme, die damals überwiegend zu später Stunde in den Dritten Fernsehprogrammen versendet wurden, aufzunehmen und mit völlig übertriebener Ehrfurcht zu schauen. Meine Schwester, die einen Großteil davon mit mir gemeinsam ansah (so wie ich auch fast alles konsumierte, was sie aus dem TV-Kosmos jener Zeit für sich heraussuchte), hat darunter wohl ziemlich gelitten.

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen ein externes Video von YouTube präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen

Natürlich sind Uralt-MGM-Musicals toll. Ganz gewiss haben die behäbig erzählten Universal-Grusler um Vampire, Mumien und Unsichtbare ihren Charme. Und auf jeden Fall ist selbst die kleinste Fingerübung von Alfred Hitchcock (etwa Mord – Sir John greift ein!) sehenswert. Doch ich kann inzwischen sehr gut verstehen, wie nervig es gewesen sein muss, das alles mit jemandem zu gucken, der sich mit heiligem Ernst in den Sphären der unantastbaren Kinematografie wähnt. Ich fürchte, meine Schwester hat in den letzten 20 Jahren keinen einzigen Schwarzweiß-Film mehr gesehen – weil ich sie diesbezüglich nachhaltig verstört habe. Sorry! Schlechte Horrorfilme schauen wir heute, wenn es sich mal ergibt, aber immer noch gerne zusammen.

von Andreas Köhnemann

Meinungen