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Couch-Perle: Filme als Traum

Träume im Film: Zu diesem Thema gibt es ganze Regalmeter an Büchern. Wir begnügen uns damit, euch unsere Favoriten zu präsentieren. Folgt uns in die (Alb-)Träume.

Meinungen
Traum im Film
Synecdoche, New York / Ich kämpfe um dich / Lost Highway

Mit Beau is Afraid hat Hereditary-Regisseur Ari Aster einen Film gedreht, der im Grunde ausschließlich im Kopf seines Protagonisten spielt: die Paranoia, die Neurosen und Zwänge von Beau (Joaquin Phoenix) werden zur Form des Films. Je länger die Odyssee geht, desto abstruser werden die Szenarien — wobei der Film schon mächtig loslegt. Irgendwann kann man nicht mehr unterscheiden, was nun real ist und was geträumt oder imaginiert wird.

Schon seit Beginn des Kinos wird dem Film immer wieder eine Nähe zum Traum attestiert. Dabei muss es nicht immer der buchstäbliche Traum sein, den ein Film vor uns entfaltet. Manchmal folgt eine Geschichte auch nur einer Traumlogik. In solchen filmischen Welten ist alles möglich. Das kann langweilen, wenn die Erdung fehlt, kann aber auch begeistern. Wir präsentieren euch unsere Favoriten.

Synecdoche, New York von Charlie Kaufman

Eine Synekdoche ist ein literarisches Stilmittel und meint (wie es im Duden heißt) „das Ersetzen eines Begriffs durch einen engeren oder weiteren (z. B. „Dach“ für „Haus“).“ In Charlie Kaufmans herrlich verspieltem Film geht es genau um dieses Verhältnis von eng und weit: Wie sehr lässt sich das Theater ausdehnen, bis das Leben darin aufgeht?

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Der Theaterregisseur Caden Cotard (Philip Seymour Hoffman) hat Angst vor dem Tod. Womöglich ist er hypochondrisch, was letztlich nichts an der seelischen Belastung ändert, unter der er leidet. Seine Frau, eine Künstlerin, die Miniaturkunstwerke herstellt, die man nur mit einem Vergrößerungsglas erkennen kann, und seine vierjährige Tochter gehen nach Berlin. Um das Leben irgendwie auf die Reihe zu kriegen, hat Cotard eine wahnwitzige Idee: Er möchte ein Theaterstück inszenieren, in dem wirklich Leben dargestellt wird. In eine Lagerhalle werden Kulissen der Stadt gebaut und das Ensemble erweitert sich ständig. Die Grenzen zwischen Spiel/Fiktion und Realität verwischen zunehmend, bis nicht mehr klar ist, wo das Leben aufhört und wo es beginnt. Statt ein Geheimnis zu lüften, verirrt sich der Theatermacher in einem wuchernden Labyrinth aus Geschichten und Existenz. Aber vielleicht liegt hier der Kern des Ganzen?

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Es ist großartig, wie Kaufman in diesem durch und durch besonderen Film mit Elementen des Traumes spielt. So gibt es eine Episode, in der Menschen in einem brennenden Haus leben, als wäre das völlig normal: The house is on fire. Irgendetwas dringt ohnehin immer an die Oberfläche, und wenn wir unsere Träume in die Wirklichkeit ziehen, beginnen sie dort mit allem und jedem zu reagieren. 

Sebastian Seidler

Lost Highway von David Lynch

Wenn es um Träume und Traumlogiken im Film geht, dann kommt man selbstverständlich nicht an David Lynch vorbei. Man könnte viele Filme des amerikanischen Surrealisten nennen: die buchstäbliche Traumwirklichkeit in Twin Peaks oder das Spiel mit dem Schlaf und dem Begehren in der Traumfabrik in Mulholland Drive oder Inland Empire. Lost Highway gehört womöglich zu den wichtigsten Filmen in meinem Leben; so erklärt sich diese Empfehlung von selbst.

Wenn meine Eltern ausgingen, durfte ich mir in der Videothek Filme ausleihen. Ich war 14 oder 15 Jahre alt und bin beim Stöbern durch die unzähligen Regale über diesen Film gestolpert. Es war noch die Zeit von VHS, deren Hülle man wie eine Schatztruhe geöffnet hat. Die Welt, die sich mir dann eröffnet hat, raubte mir den Schlaf und ließ mich fasziniert in ein Studium dieses Regisseurs stürzen: Ein Jazzmusiker tötet seine Frau, kann sich allerdings nicht mehr daran erinnern. Das kümmert den Richter kein bisschen: Es soll der elektrische Stuhl sein. Als einer der Wärter in die Zelle blickt, sitzt dort ein anderer, den man zwangsläufig entlassen muss. Das ist nur der Beginn einer verwinkelten Erzählung, bei der jeder nur die Vorstellung eines anderen ist.

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Vorsicht Spoiler: Ein Mann erträumt sich ein Leben, das er nie gelebt hat. Das ist im Grunde das Setting von Lost Highway. Fred Madison (Bill Pullman) träumt einen Traum in einem Traum, denkt sich einen Ausweg, der wie ein Fiebertraum wirkt, in den die reale Welt ständig hereinbricht. Hinweise und Zeichen türmen sich auf und führen doch nur tiefer in einen Kaninchenbau der Identität. Das Bewusstsein stolpert und wehrt sich gegen die Erkenntnis einer Katastrophe, von der wir niemals sicher sein können, was sie eigentlich ist. Womöglich befinden wir uns bereits am Anfang in einem Traum, einer Wunschvorstellung. Hat es einen Mord gegeben? Wurde Fred von seiner Frau betrogen? Und wer schickt diese ominösen Videoaufnahmen? Es ist vollkommen egal, wenn alles so dunkel flirrt und flimmert, wie in diesem Film.

Sebastian Seidler

Paprika von Satoshi

Traum im Film – wer denkt da nicht sofort an Christopher Nolans Inception? Nun, wir ganz offensichtlich. Nolans übererklärtester Film (und das will bei ihm schon was heißen) wäre damit jedoch die offensichtlichste und langweiligste Wahl auf dieser Liste. Warum nicht stattdessen den Film nehmen, der offenkundig als Inspiration für Inception diente? Das zumindest ist der Eindruck, der sich beim Ansehen von Satoshi Kons Paprika aufdrängt.

Auch in dieser Welt gibt es eine technische Innovation, die es erlaubt, in die Träume von Schlafenden einzudringen und dort mit ihnen zu interagieren. Protagonistin Atsuko Chiba hat daran mitgewirkt und nutzt das Gerät zum Zwecke der Psychotherapie. Als ein Prototyp gestohlen wird und das Bewusstsein mehrerer Menschen zum negativen manipuliert wird, begibt sich Chiba mit einem Polizisten auf die Suche nach dem Übeltäter und taucht dabei in etliche Traumwelten ein.

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Und die haben es inszenatorisch in sich: Zirkusmanegen, Dschungel, sich verrenkende Hotelgänge, Paraden voller grotesker Gestalten – es ist ein überwältigendes, gern auch verstörendes Feuerwerk der gestalterischen Kreativität, das Satoshi Kon hier zündet und in dem sich Wahrnehmungs- und Realitätsebenen verschränken, kreuzen, übereinander stapeln. Genau dieses „Alles ist möglich“-Prinzip ist es doch, was Träume so außergewöhnlich macht – im Gegensatz zu den doch sehr cleanen Traumwelten von Inception.

Christian Neffe

Don’t Worry Darling von Olivia Wilde

Man ahnt und weiß in diesem Film eigentlich schon von der ersten Sekunde an, dass etwas nicht stimmt. Trotzdem sei hier eine deutliche Spoiler-Warnung für Olivia Wildes Don’t Worry Darling ausgesprochen. Denn der hier inszenierte American Dream – schöne, gleichförmige Einfamilienhäuschen in Reih und Glied, die Frau macht den Haushalt, der Mann fährt morgens zu Arbeit, und wenn er wiederkehrt, ist das Bankett bereits angerichtet – ist im wortwörtlichen Sinne ein Traum, in dem die von Florence Pugh gespielte Protagonistin (so wie alle anderen Frauen hier) gefangen ist, ohne es zu wissen.

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Doch sie zweifelt zunehmend, seltsame Dinge gehen hier vor sich, ähnlich wie in der Truman Show, jedoch mit einem Hauch Matrix, und so droht sie schließlich, diesen kollektiven Traum einzureißen, der als Spielplatz toxischer Männlichkeit konzipiert ist. Der Traum als Zufluchtsort – diese Utopie zerlegt Don’t Worry Darling lustvoll und zeigt, dass das, was für eine Person traumhaft sein kann, für die nächste womöglich ein Albtraum ist.

Christian Neffe

Altered States von Ken Russell

„Oneirisch“, sagt man im Kulturwissenschaftler-Sprech, oder wenn man verstanden werden will: traumartig. Surrealistische Filme haben oft eine traumartige Qualität. Wenn dagegen nur eine einzelne Szene surreale Elemente hat, spricht man häufig von einer Traumsequenz – oder wenn sie sich ästhetisch vom Rest des Films abhebt, oder sich schlicht als tatsächlicher Traum einer Figur enttarnt. Für all das kann man zahlreiche Beispiele finden, Altered States hat aber eine ganz eigene Vorgehensweise.

Stattdessen beschäftigt der Film sich mit dem Ursprung des Träumens, wenn man Sigmund Freuds Traumdeutung folgen will: dem Unterbewusstsein. Mehr noch: die Hauptfigur, ein Psychopathologe, glaubt, dass jeder Mensch gleich mehrere unterbewusste Zustände hat. Anstatt dass diese als Traumsequenzen inszeniert und ästhetisch vom Rest des Films abgegrenzt werden, verschmelzen in Ken Russells Film die Filmwelt und das Surreale. Denn der Wissenschaftler will nicht nur mentalen Zugriff auf seine unterbewussten Zustände erlangen, er will sie materialisieren.

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Was den Film darüber hinaus besonders interessant macht: Die Inszenierung schlägt sich nicht auf die Seite der Hauptfigur. Das könnte damit zu tun haben, dass Ken Russell und Drehbuchautor Paddy Chayefsky sich während der Produktion zerstritten. Der Text hat eine echte Faszination für „Psychonauten“ wie John C. Lilly – kontroverse Wissenschaftler, die glaubten, die Erforschung der Psyche durch Selbstversuche mit Drogen und sensorischer Deprivation vorantreiben zu können. Unter Russells Regieanweisung wirkt die Hauptfigur aber wie ein fahrlässiger Junkie – auch weil der Regisseur die Traumelemente, die von den Trips ins Unterbewusstsein mit zurückkommen, eben ganz selbstverständlich in die Filmwelt integriert.

Für Fans von Traumsequenzen wartet Altered States vorher aber auch noch mit reichlich visuellem Exzess auf: jedes Mal dann, wenn Dr. Eddie Jessup sich Pilze einschmeißt oder in seinen Isolationstank steigt. Selten hat man einen Film gesehen, der ein scheinbar verhasstes Subjekt so überwältigend inszeniert.

Mathis Raabe

Ich kämpfe um dich von Alfred Hitchcock

Traumsequenzen im Film – das bedeutete im klassischen Hollywoodkino der Studioära zumeist: Wabernder Rauch steigt auf und die Bilder werden in leichter Unschärfe präsentiert. Alfred Hitchcock hielt von dieser Methode jedoch wenig. Um einen Traum in seinem Werk Ich kämpfe um dich (OT: Spellbound) aus dem Jahre 1945 zu visualisieren, beauftragte er den spanischen Künstler Salvador Dalí, der zu den Hauptvertretern des Surrealismus gehört und sich in seiner Arbeit immer wieder mit der Welt des Unbewussten befasste. Dalí setzte auf scharfe Konturen – und kam damit Hitchcocks Vorstellung näher, dass Träume lebendig und klar statt neblig und verschwommen seien.

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Ich kämpfe um dich wurde als „erster Film der Psychoanalyse“ beworben. Erzählt wird von einem renommierten Psychiater und Autor (verkörpert von Gregory Peck), der sich an seiner neuen Stelle zu einer Psychologin (gespielt von Ingrid Bergman) hingezogen fühlt. Bald zeigt sich, dass der Mann nicht der zu sein scheint, für den er sich ausgibt. Eine Psychoanalyse soll Licht ins Dunkel bringen – und fördert bald alte Schuldkomplexe zutage. Der Schwarzweißfilm, der sich in einem Moment für wenige Sekunden blutrot färbt, spielt clever mit unseren Gefühlen als Zuschauer:innen und ist in seiner kreativen Inszenierung bis heute ein Genuss, nicht zuletzt dank der Musik des ungarisch-amerikanischen Komponisten Miklós Rózsa und des innigen Spiels von Bergman und Peck.

Andreas Köhnemann

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