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Hard:line Festival: Genre an der Donau

Das Regensburger Hard:Line-Festival bezeichnet sich selbst als ein Festival der Extreme: Horror, Thriller und Science-Fiction. Wir haben uns einige Filme aus dem diesjährigen Programm angesehen und mit dem Festivaldirektor Florian Scheuerer über Genre, Festivals und Film gesprochen.

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Hard:Line_Festivale

Genrefilm. Dieser Begriff ist zu einem geflügelten Wort, zu einem Sammelbegriff für etwas geworden, das eigentlich gar nicht wirklich in dieser Einheit zu greifen ist. Horrorfilme und Science-Fiction, harte Thriller und bluttriefende schwarze Komödien – all das kann damit gemeint sein. Mal ist das Genre abseitig-blutig, schmutzig und roh wie die geradlinige „Texas Chainsaw Massacre„-Fortsetzung auf Netflix, dann wieder nah an den Arthouse-Film gerückt wie „Der Babadook“ oder „It Follows“.

Für den Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger, der das Handbuch Filmgenre herausgegeben hat, muss jeder Versuch, den Genrefilm mit einer Definition festzunageln, fehlgehen: „Im klassischen Studiosystem war der Genrefilm ein Set verlässlicher Konventionen. Seit der Postmoderne ist Genre zu einem variierbaren Diskurs geworden.“

Man kann es auch so sagen: Die Filme haben angefangen, mit den Regeln zu spielen, sie zu brechen und die Sets an Konventionen zu mischen. Was heute noch Genre ist und was nicht, wird immer wieder neu zu bestimmen sein. Eine Arena bereiten die diversen Genrefilmfestivals auf der ganzen Welt – das britische Frightfest, das spanische Sitges oder das österreichische Slash gehören zu den bekannteren europäischen Festivals. In Deutschland ist das Fantasy Film Fest zu nennen. Doch die Szene ist über die großen Namen hinaus lebendig und ziemlich vital, spannend und vielfältig.

 

Genre: Lokal, vielfältig und offen

Da wäre etwa das Regensburger Hard:line Festival, das sich einen ziemlichen Namen unter den Liebhabern der Genrefilmkunst gemacht hat und in seinem Programm immer weiter gewachsen ist. Vom 6. bis 10. April 2022 hat nun die neunte Ausgabe stattgefunden. Für alle, die nicht vor Ort sein konnten, standen auf der Website des Festivals einige Filme zum Streaming bereit – ein hybrides Festival im besten Sinne.  

Mit 31 Filmtiteln, davon 15 Lang- und 16 Kurzfilme, gab es auch eine Menge zu entdecken. Das Spannende am Genrediskurs bei Hard:line: Im Programmheft wird kein Hehl darum gemacht, dass es neben Highlights auch sicherlich Lowlights im Programm zu sehen gibt und man sich von etwaigen Tiefpunkten nicht abschrecken lassen solle.

Hard:line Festivaldirektor Florian Scheuerer meint dazu: „Uns geht’s nicht darum, die geilsten Filme aller Zeiten zu zeigen. Das ist nicht unsere Aufgabe als Festival. Wir sind Türöffner für Geschmäcker, wir sind Türöffner für den deutschen Markt und kleine Filme. Und wir versuchen jedem eine Perspektive zu geben. Alles, was im Genre stattfindet, muss auch bei uns stattfinden, und alles, was nicht stattfindet, muss aber auch Platz finden. Es geht darum, Erwartungshaltungen aufzubrechen.“

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Erwartungshaltung aufbrechen. Das ist ein gutes Stichwort für einen Film wie den thailändischen Besessenheitsschocker The Medium. Was als Mockumentary über eine thailändische Schamanin beginnt, verwandelt sich in einen Found-Footage-Terrorfilm und mündet in ein Finale, das man als die ernsthafte Erwachsenenversionen von The Conjuring bezeichnen könnte: keine unterschiedlichen Horror-Comic-Charaktere, sondern reinste Atmosphäre der Angst, die Anwesenheit einer bösen Macht. Dabei gelingt es dem Film, die Spiritualität des Landes mit existenzieller Angst aufzuladen und Bilder zu erzeugen, die einem lange nicht mehr aus dem Kopf gehen.

Dazwischen gibt es dann auch jene Filme, die an ihrem Konzept scheitern, denen man anmerkt, dass sie sich viel vorgenommen haben. When I consume you von Perry Blackshear ist so ein Film, dem es durch seine paranoide Kameraarbeit durchaus gelingt, ein Kammerspiel in den Straßen von New York zu erzeugen. Die Geschichte über ein Geschwisterpaar, das sich mit seiner schweren Kindheit auseinandersetzen muss, ist wirr und eklektisch. Dass das Trauma von einem Dämon dargestellt wird, ist nun wirklich keine neue Idee. Muss es auch nicht sein. Aber ein wenig mehr Atmosphäre braucht ein Horrorfilm schon. When I consume you ist eher ein Film über Depression und Wahnsinn, über Schuld und Schmerz — ein Drama, dem der Horrorfilm die guten Ansätze zertrümmert.

 

Festival als Gemeinschaft

Scheuerer sucht auch nach solchen Erfahrungen. Er ist Medienwissenschaftler und schon seit dem frühen Kindheitsalter jedes Wochenende im Kino gewesen. Er beschäftigt sich seit jeher mit Genrekino und hat die Affinität auch zu seinem Forschungsschwerpunkt gemacht, indem er sich im Studium mit der gesellschaftskritischen Relevanz von Genrekino beschäftigt hat. Genrefilme waren dabei nie bedrohlich oder abschreckend für ihn, sondern haben ein Interesse geweckt, das in den ästhetischen Dimensionen seinen Ursprung fand. Durch die Genreliebe und den medienwissenschaftlichen Hintergrund kam die Idee zustande, einen Rahmen zu schaffen, in dem Filme nicht bloß konsumiert, sondern gemeinsam rezipiert werden können; mit Vor- und Nachbesprechung, einer Einordnung und Diskussion.

2009 hat Scheuerer eine monatliche Filmreihe ins Leben gerufen, die sich 2013 dann zum Hard:Line auswuchs. Von Jahr zu Jahr wurde das Festival größer. Im Jahr 2016 musste aufgrund des großen Zuspruchs den Spielort gewechselt werden. Heimat des Festivals ist seitdem das Ostentor-Kino, eines der ältesten Programmkinos Deutschlands.

„Unser Publikum war schon immer sehr gemischt“, sagt er. „Gerade in den Anfangstagen wurden durch unser Auftreten viele Gore-Fans angezogen. [Die Bezeichnung Gore — von engl. geronnenes Blut und durchbohren, aufspießen — hat sich seit den 1960er-Jahren für Filme etabliert, in denen Verletzungen und Verstümmelungen großformatig, farbig und detailliert präsentiert werden.] Zu der Zeit ging es schon um eine Vermittlung untereinander, dass man sich auf alles einlässt, was auf dem Festival passiert. Genauso ist es auch bei den Cineasten. Niemand wird bei uns komplett glücklich, aber niemand wird auch komplett traurig sein. (…) Das Publikum ist uns da schon sehr dankbar. Wenn man sich bei uns umhört, geht es oft um den Begriff ‚familiär‘. Hier nimmt jeder jeden auf. Nach den Filmen führt man schöne Gespräche und versumpft gemeinsam an der Bar.“

 

Anders als die großen Festivals

Familiär. Das mag von außen betrachtet ein überstrapazierter Begriff sein — doch in der Tat braucht das Kino wieder mehr davon. Auf den großen Festivals — in Venedig, Locarno oder auf der Berlinale — ist davon nicht mehr viel übrig. Dort geht es um die Branche, um Pressevertreter und den roten Teppich. Genrefilm ist da immer noch näher bei den Menschen — unmittelbarer, ohne die großen Berührungsängste. Doch auch in diesen familiären Kontexten lohnt sich der Blick über den Tellerrand. Das Hard:Line schreibt selbst, dass mit dem Begriff „extrem“ das Besondere in der Auswahl ihrer Filme gemeint sei. Das kann die Bildsprache genauso wie die Erzähltechnik oder die Gewaltästhetik betreffen. Was erwarten wir vom Film, vom Genre und wie erhalten wir uns die Bereitschaft für das Eintauchen in die Welt des abseitigen Films?

„Im Grunde geht es um das Kokettieren mit dem Begriff ‚extrem‘, da es ja auch etwas mit den Vorurteilen zu tun hat, die dieser Begriff mit sich bringt. Es war immer unser Ziel, diese Vorurteile einzureißen und demnach auch die Erwartungshaltungen des Genres zu brechen. Es gibt nichts Schlimmeres, als im Vorhinein etwas zu erwarten. Man muss immer offen sein. Dieser Begriff ‚extrem‘ kommt daher, dass wir versuchen, Filme zu zeigen, die nicht für das Genre an sich stehen. Also im Gegensatz dazu extrem sind in all ihren Auswüchsen.“

Das ist eine richtig bescheidene Situation: Holy Shit! © Neopol Film

 

Einer der schrägsten Beiträge in diesem Jahr: HOLY SHIT! von Lukas Rinker. Für den Film war es die Weltpremiere auf dem Hard:line Festival und prompt wurde er vom Publikum auf den ersten Platz in der Kategorie Langfilme gewählt. In Rinkers Spielfilmdebüt weichen wir dem Protagonisten Frank (Thomas Niehaus) nicht von der Seite – und das hat einen besonderen Grund: Er ist in einem Dixi-Klo gefangen. Schafft er es nicht, sich zu befreien, dann ist es um ihn geschehen. Den Arm an einem Stahlbolzen aufgespießt, liegt er in einer Baugrube, wo in 30 Minuten die Auftaktsprengung zugunsten eines Luxusresorts über die Bühne gehen soll. Das Ganze spielt passenderweise zum Standort des Festivals auch in Bayern und mausert sich in den 90 Minuten Spieldauer zu einer wahrhaften Dekonstruktion des Heimatfilms.

Gute Nachrichten: Der Verleih Drop-out Cinema bringt den Film am 15. September in die deutschen Kinos. Ein Wunder. Denn so oft kommt das nicht vor. Mit dem deutschen Genrefilm ist es nämlich so eine Sache. Viel Schatten, wenig Licht – aber man muss auch sagen, dass die Unterstützung für diese Art von Kino in Deutschland lange Zeit nicht vorhanden war. Als gefördertes Filmfest sieht sich das Hard:Line in der Pflicht, auch die deutsche Filmwirtschaft zu stärken und einen besonderen Fokus darauf zu lenken:

 

Spielend durch die (deutsche) Filmgeschichte

„In den letzten Jahren gab es immer mehr die Öffnung hin zum Genre“, sagt Scheuerer. „Also wenn man sich das am Beispiel von HOLY SHIT! genauer ansieht: Dem Film geht es ja nur darum, die Verrücktheit der Dinge zu feiern. Vor 15 Jahren wäre der Film mit diesem großen Splatter-Finale niemals möglich gewesen. Du hättest weder TV-Schauspiel dafür gewinnen können noch die HessenFilm (Förderungsanstalt), die den Film mitgefördert hat. Oder selbst die Firma DIXI, die den Film mit ihren Toiletten unterstützt hat. Welche Marketing-Abteilung in Deutschland hätte sich das damals getraut? Es passiert schon einiges, und es gibt ein paar Filme, die Game-Changer für das alles waren. Schneeflöckchen (2017) von Adolfo Kolmerer und William James oder aber Hagazussa (2017) von Lukas Feigelfeld.“

Dawn Breaks Behind the Eyes von Kevin Kopacka könnte ein weiterer Schritt in die richtige Richtung sein. Auf dem Frightfest in London feierte der Film seine Premiere. Nun war der wilde Genremix an der Donau zu sehen: Als ein Paar ein altes Haus erbt und dort die erste Nacht verbringt, beginnt sich die Realität zu verändern, und Raum und Zeit fallen ineinander — eine vergangene Katastrophe hat ihre Spuren hinterlassen; wird ihre Spuren hinterlassen haben.

Regisseur Kevin Kopacka gelingt eine flirrende Hommage an die Gothic Horrorfilme der 60er und 70er-Jahre. Man denkt durch den Look dabei vor allem an Mario Bava und die Spielereien des Giallo-Films — zumindest bis der Film seine wilden Haken schlägt. Fantasievoll und mit der deutschen Filmgeschichte spielend, mutet der Anfang wie aus einem Film aus den 60ern an — nicht nur die Figuren sprechen spießig. Auch der Film übernimmt diesen Look, trägt die Zeit in seinen Bildern.

Ein flirrender Traum aus filmischer Huldigung und tödlichem Ernst: Dawn Breaks Behind the Eyes ©Sylenteyes Films

 

 

Problem: Zu wenig Diversität

Bei aller Begeisterung für den Genrefilm muss jedoch auch angemerkt werden, dass die Männer immer noch dieses Feld des Abseitigen dominieren: „In der Podiumsdiskussion dieses Jahr wurde wieder einmal deutlich, dass das ganze Genre sehr männlich geprägt ist. Es waren halt sechs weiße Männer auf der Bühne — das Problem spricht dann für sich. Es gibt ganz viele Frauen, die im Genre tätig sind, aber leider nicht in Deutschland. Und leider nicht in Bereichen wie Regie. Sie haben nicht das Budget, was Männern häufig zugestanden wird. Das ist alles ein systemisches Problem, über das man reden muss. Was wir in so einem Kontext auch nicht lösen können, aber wir können es anstoßen“, erklärt Scheuerer.

Ein Diversity-Highlight gab es dann aber dennoch: Slumber Party Massacre von Danishka Esterhazy. Der US-amerikanische Fernsehsender Syfy steht als Produzent dahinter und strahlte den Film im Oktober 2021 im Fernsehen aus.

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Wer ein Fan von 80er-Jahre-Slasherfilmen ist, wird den Kultklassiker Slumber Party Massacre (1982) und seine Fortsetzungen gesehen haben oder zumindest kennen. Die Chancen stehen zudem auch nicht schlecht, dass genau diese Zielgruppe die endlosen Remakes, Reboots und Fortsetzungen von 80er-Jahre-Horrorfilmen, die in den vergangenen Jahren überhandzunehmen scheinen, leid ist. Aber keine Angst: Was jetzt folgt, beweist, dass es auch noch anders geht!

Bei Slumber Party Massacre handelt sich nicht um ein direktes Remake des ursprünglichen Films, aber auch nicht um eine direkte Fortsetzung. Es liegt irgendwo zwischen einem Reboot und einem geistigen Sequel. Alles beginnt in einem abgelegenen Haus am See im Jahr 1993, wo der Driller Killer Russ Thorn auftaucht, um einigen jungen Frauen, die eine Pyjamaparty feiern, den Abend zu vermiesen. Eine der Frauen überlebt, und wir wechseln in die Gegenwart, in der ihre Tochter im Teenageralter auf dem Weg zu ihrem eigenen Pyjamaparty-Wochenende ist. Aber natürlich geht alles schief, und schon bald sind die Frauen wieder an der alten Wirkungsstätte von 1993.

 

Genre ist wild und wüst

Danishka Esterhazy hat mit diesem Film ein Händchen für Tonalität und Kenntnis dessen bewiesen, was es heißt, in der Gegenwart solch ein Vorhaben zu realisieren. Der Film weiß genau, was er sein will, und schreckt nicht davor zurück, den Zuschauer*innen die Art von Morden zu bieten, die man von dieser Art von Film erwartet. Aber nicht bevor er so viele Horror-Slasher-Splatter-Tropen wie möglich auf den Kopf stellt. Wenn die Frauen sich mit den geschlechtsspezifischen Stereotypen aus Horrorfilmen auseinandersetzen, ist der Umgang damit unkonventionell und erfrischend subversiv. Passend zu all der Postmodernität wird das Vorhaben mit einem Interesse für True-Crime Podcasts ins Rollen gebracht, die männlichen Figuren sind allesamt nicht zu gebrauchen, und es hat den Anschein, als würde bei allen Meta-Kommentaren buchstäblich die vierte Wand durchbrechen — Hey ihr da, im Kino!

Festivals wie das Hard:Line beweisen, dass es sich lohnt, über den Tellerrand hinwegzusehen und dass man auf Leinwand mehr wagen sollte. Florian Scheuerer ist einer von diesen Menschen, die sich dazu entschieden haben, die Fahne für genau solche Filme aufrechtzuerhalten. Aus dem Genre kommen Impulse, neue Ideen und wüste Kreativität. Nicht umsonst hat sich Marvel mit David F. Sandberg und James Gunn Horrorfilm-Regisseure geholt, und man darf auch nicht vergessen, in welchem Genre Steven Spielberg und James Cameron ihre ersten Schritte gegangen sind — im Horrorfilm.

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