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Locarno Film Festival

Expeditionen ins Nachkriegskino (Teil 2) - Die Retrospektive beim Filmfest Locarno

Meinungen
Die Rote

Krieg der Geschlechter

In Artikel 3, Absatz 2 des 1949 beschlossenen Grundgesetzes steht: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. In der Folge verstießen viele der ehe- und familienrechtlichen Bestimmungen im Bürgerlichen Gesetzbuch gegen das Grundgesetz und mussten überarbeitet werden, aber die Adenauer-Regierung ließ die Übergangsfrist vom 31. März 1953 verstreichen. Wohlgemerkt: Nur wenige Jahre vorher, während des Krieges, mussten Frauen an vielen Stellen die fehlenden Männer ersetzen — eine Bewegung, die zu einer massiven Emanzipation führte und ebenso zu großen Irritationen, als der Krieg vorbei war.

Denn nun kamen die Männer von der Front zurück und wollten ihre angestammten Plätze wieder und erwarteten, dass sich Frauen in die tradierten Rollenmuster zurückzogen. Der Gender-Trouble der Nachkriegszeit hätte dringend einer Klärung bedurft. Aber erst am 3. Mai 1957 vollzog der Deutsche Bundestag mit dem sog. „Gleichberechtigungsgesetz“ einen wesentlichen Schritt zur Neuordnung, so dass bspw. der Mann fortan nicht mehr das Arbeitsverhältnis seiner Frau kündigen konnte. Allein die Debatten zu dieser Änderung zeigten schon, dass die Gesellschaft weit von einer tatsächlichen Gleichberechtigung entfernt war. Und wie sah es im Kino aus?

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(Olaf Möller, Kurator der Locarno-Retrospektive „Geliebt und verdrängt — Das Kino der jungen Bundesrepublik 1949-1963“, über die Auseinandersetzungen zwischen den Geschlechtern im Nachkriegskino)

Die Unterhaltungsfilme nutzten immer wieder das erfolgreiche Muster eines männlichen Helden und einer sehnenden Frau. Das bekannteste und beliebteste Leinwandpaar waren trotz eines Altersunterschiedes von 21 Jahren seit Grün ist die Heide Sonja Ziemann und Rudolf Prack sowie mit 17 Jahren Altersunterschied Maria Schell und Dieter Borsche (u.a. in Dr. Holl). Dieser vormals unerhörte Altersunterschied war nun Spiegelbild einer Gesellschaft, die viele junge Männer verloren hatte. Beide Frauen wirken in ihren Rollen schüchtern und kindlich, die Männer zeichnet eine Sanftheit in ihrem Schauspiel aus. Sie sind aufrechte, bescheidene Typen, keine Charmeure oder Männer, die mit allen Mitteln um das Herz der Frau kämpfen. Kurzum: Sie sind der Gegenentwurf zum Männerbild des Nationalsozialismus. Dieser Typus Mann wurden dann zunehmend von O.W. Fischer abgelöst, mit dem sich nach Einschätzung von Dominik Graf in „Hunde, wollt ihr ewig leben?“. Einige Männer und ihre Darstellungsstile (in: Geliebt und verdrängt. Das Kino der jungen Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1963) eine Art „Hamletisierung“ des deutschen Nachkriegskinos vollzog. „Tiefsinnig, blendend aussehend und mitunter auch mal großartig komödiantisch, in sich forschend den Schwächen und Verlockungen der Welt skeptisch zugewandt“ (Dominik Graf). Hinzu kam die ausgestellte Virilität eines Curd Jürgens, der in Des Teufels General die männliche Macht demonstriert, der sich Frauen früher oder später fügen.

Mit der jüngeren Generation veränderten sich Typen und Schauspielstil. Es wurde nüchterner, realistischer, Hardy Krüger jr. wurde zum Rebellen, Klaus Kinski zum Wahnsinnigen – und auch die schüchternen Frauen brachen aus den Rollenmustern aus:

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(Olaf Möller über die Darstellung von Männern und Frauen im unmittelbaren Nachkriegskino)

Die erotische Wirkung einer Schauspielerin ist in dem Film Die Rote zu spüren, in dem Ruth Leuwerik die titelgebende rothaarige Frau spielt, die ihren Ehemann in Mailand einfach sitzen lässt und in den nächstbesten Zug steigt, der sie nach Venedig bringt. Immer wieder bleiben in diesem Schwarzweiß-Film die Männer auf der Straße stehen und schauen ihr mit geöffnetem Mund hinterher, so dass man sich wünscht, diese Haare einmal in Farbe zu sehen.


(Bild aus Die Rote von Helmut Käutner; Copyright: Deutsches Filminstitut, Frankfurt)

Wie dieser Film und Der gläserne Turm aus heutiger Sicht wirken, haben Beatrice Behn und Sonja Hartl in Locarno getestet:

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Es ist demnach unbedingt erforderlich, diese Filme gerade im Hinblick auf die Geschlechterrollen in die historische Perspektive zu rücken. Sicherlich gab es im Nachkriegsfilm auch Frauenrollen, die mutiger waren: Nadja Tiller im Hotel Adlon (1955) als Diebin, die den gestohlen Pelzmantel ohne mit der Wimper zu zucken auszieht, als sie erwischt wird, und darunter nackt ist. Barbara Rütting als Geierwally (1956), die sich nicht verbiegen und in eine sichere Ehe mit einem ungeliebten Mann drängen lässt, sondern lieber ihre Verbannung in Kauf nimmt. Aber man findet eben auch bemerkenswert simple Rollen- und Liebesverständnisse. Beispielsweise macht Vera (Nadja Tiller) in dem Kriminalfilm Banktresor 713 (Werner Klingler, 1957) ihrem Verlobten Herbert (Martin Held) das Angebot, sie würde ihm Geld leihen, damit der Spätheimkehrer sein Studium beenden könnte – und er wischt es nicht einfach nur beiseite, sondern ist sich sicher, dass sie ihn verlassen werde, wenn er ihr nichts bieten könne. Aus diesem fehlgeleiteten Männlichkeitsverständnis beschließt der vom Wirtschaftswunder Ausgeschlossene aus der Frustration über seine Situation heraus in eine Bank einzubrechen. Als sie seine Pläne entdeckt, geht sie zur Polizei, aber sie kann den Einbruch nicht verhindern. Doch ihre Liebe ist bedingungslos, das versichert sie Herberts Bruder (Hardy Krüger jr.), so dass er nichts machen könne, was sie von ihm abbringt. Und das schmerzt dann heutzutage doch sehr.

Den ersten Teil zur Retrospektive „Geliebt und verdrängt: Das Kino der jungen Bundesrepublik Deutschland“ gibt es hier. Der dritte Teil folgt voraussichtlich am Donnerstag (11.08.2016).

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