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Kommentar

Videospiel-Adaptionen: Eine neue Welle ist angerollt

Ein Beitrag von Christian Neffe

Mit „Uncharted“ startet diese Woche im Kino eine neue Videospielverfilmung im Kino. Sie ist ein (weiterer) Vorbote einer neuen Adaptionswelle, die in den nächsten Jahren auf uns zukommt. Was bisher schieflief, was besser werden muss — und warum es das vielleicht auch werden könnte.

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Bild einer Mario-Figur / Uncharted-Film / Halo-Serie
Bild einer Mario-Figur / Uncharted-Film / Halo-Serie

Eigentlich muss so ein Beitrag (es gibt da diese ungeschriebene Regel) mit einem Blick auf die Zahlen beginnen und mit der damit verbundenen Feststellung, dass die Videospielbranche in Sachen wirtschaftlichem Erfolg inzwischen an der Spitze aller Medien steht. Überspringen wir das aber und halten einfach mal fest: Im Gaming-Sektor ist jede Menge Geld zu holen, und so ist es wenig überraschend, dass auch andere Branchen etwas vom Kuchen abhaben wollen — insbesondere die Film- und Serienindustrie. Dort gibt es freilich schon seit den frühen 90ern, als mit dem phänomenal trashigen „Super Mario Bros“. die erste filmische Adaption eines Videospiels erschien, rege Bemühungen, die virtuellen Welten auf die große Leinwand zu hieven. Über die Jahre hinweg verfestigte sich dann der Ruf, dass Spieleverfilmungen qualitativ meist unten bis ganz unten anzusiedeln sind, nicht zuletzt dank Regisseuren wie Uwe Boll („Far Cry“, „Alone in the Dark“) und Paul W.S. Anderson („Resident Evil„-Reihe, „Monster Hunter“).

Diese Bestrebungen rissen auch nie ab. Und doch, nimmt man entsprechende Übersichtslisten zur Grundlage, wurde es in den letzten Jahren doch etwas ruhiger. Nun aber nimmt das Ganze wieder mehr Fahrt auf: Am 17. Februar erscheint zunächst Uncharted, später dieses Jahr sollen Sonic The Hedgehog 2 und ein Animationsstreifen zu Mario folgen. Und damit ist noch lange nicht Schluss: Neben Serien zu The Last of Us, Halo und Cyberpunk 2077 sind auch Filmadaptionen von Metal Gear Solid (mit Oscar Isaac), Call of Duty, The Division, Splinter Cell, Watch Dogs, It Takes Two, Ghost of Tsushima, ein zweiter Teil des 2021er Mortal Kombat, Tomb Raider 2 und sogar ein Minecraft-Film in Planung.

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Mario: Neuer Versuch nach 30 Jahren

Insbesondere, dass ein neuer Mario-Film kommt, ist beachtenswert: Nach dem kommerziellen wie qualitativen Flop des ersten Anlaufs von 1993 hielt der japanische Traditionsentwickler Nintendo seine Lizenzen fast 30 Jahre lang unter Verschluss und überrascht nun mit neuer Offenheit gegenüber dem Filmmarkt. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren, ganz vorn steht natürlich die Aussicht auf Profit. Der allein war aber noch nie ausschlaggebend für Nintendos Geschäftsentscheidungen — zu wichtig ist ihnen die Pflege der eigenen Marken. Was deshalb auch hinzugekommen sein dürfte: dass nun eine Generation an Filmschaffenden herangewachsen ist, die mit Videospielen aufgewachsen ist, sie ernst nimmt und in Adaptionen nicht ausschließlich einen simplen cash grab sieht.

Ebenfalls relevant für diese Welle an Adaptionen ist ein wichtiger neuer Player: Netflix. Der Streaming-Dienst prescht beim Thema Gaming offensiv voran, bietet bereits einige (wenn auch alles andere als erwähnenswerte) Spiele als Teil seines Programmes an und werkelt eifrig an (eher schlechten als rechten) interaktiven Formaten wie Bandersnatch. Vor allem aber erreicht Netflix eine jüngere, Gaming-affine Zielgruppe. Der Erfolg von The Witcher, auch wenn die Serie auf den Büchern und nicht auf den Spielen basiert (ohne deren Erfolg sie wohl aber nie entstanden wäre), spricht Bände. Ohnehin scheint sich das Medium der Serie auf dem Papier besser für Videospieladaptionen anzubieten als das des Films: Eine episodische, fortlaufenden Erzählstruktur entspricht eher dem der meisten Spiele als eine abgeschlossene zweistündige Erzählung.

Ende 2021 wanderte schließlich eine Serie ins Hause Netflix, die mit Fug und Recht von sich behaupten kann, die bislang beste Videospieladaption im Bewegtbildbereich zu sein: Arcane.

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Knackpunkt Charaktere

Die Gründe für das Gelingen von Arcane sind vielfältig. Da sind einerseits der überragende visuelle Stil, das gelungene Skripting und die Tatsache, dass nicht einfach eine bereits in der Vorlage League of Legends erzählte Geschichte iteriert, sondern die Vorgeschichte mehrerer prominenter Figuren beleuchtet wird — das ist interessant für Neueinsteiger*innen wie auch Kenner*innen. Andererseits setzt Arcane den Fokus auf eine nuancierte, nachvollziehbare Charakterzeichnung. Genau das also, woran so viele Spieleadaptionen scheitern.

Natürlich, die Qualität einer Adaption lässt sich nicht einzig anhand der Figur(en) festgemachen. Und doch scheint hier die Krux so vieler Spieleumsetzungen zu liegen: Wo ein Roman eine klar definierte (Haupt-)Figur vorgibt, reicht es in einem Spiel in der Regel völlig aus, den Avatar — die Schnittstelle also zwischen Spieler*in und Spiel, ein Werkzeug und eine Projektionsfläche in dieser Welt — schablonenhaft bis stereotyp zu zeichnen. Zuweilen ist es sogar nötig, um uns, den wahren Akteur*innen, Wirk-, Ausformungs- und Interpretationsmacht hinsichtlich der Figur und der Welt zu geben. Wir sind es, die die Leerstellen, die Nuancen, die Widersprüche, die eine Figur interessant machen, ausfüllen — und sei es dadurch, dass wir als ziemlich netter Kerl Nathan Drake, Hauptfigur von Uncharted, Hunderte Bösewichte über den Haufen ballern. „Ludonarrative Dissonanz“ wird dieses Phänomen genannt, für das es in der Wahrnehmung vieler Spieler*innen eine gewisse Toleranzschwelle gibt — der Fokus liegt schließlich in der Regel auf dem Spielgeschehen und nicht auf dem Hinterfragen derartiger Widersprüche.

Im Film hingegen, der uns zwar weiterhin die Interaktion mit dem Medium, aber die Interaktion im Medium erlaubt, fallen solche Widersprüche deutlicher aus. So müssen die Autor*innen sie umschiffen sowie Leerstellen bei den Figuren ausfüllen — und stolpern dabei gern über Hürden. Da werden dann gern neue, nicht zu Vorlage passende Figuren eingeführt (siehe Milla Jovovichs Rolle in Resident Evil), die simple bis stereotype Charakterisierung wird schlicht übernommen (siehe Tomb Raider) oder derart modifiziert, dass die Essenz der Vorlage verlorengeht und nur noch der Name zurückbleibt (siehe Super Mario Bros.). Den Autor*innen von Arcane hingegen gelang es, die bereits vorhandenen, aber nicht unmittelbar im Spiel erzählten origin stories der Figuren nachvollziehbar auszuschmücken. Die Serie bildet damit einen weiteren Baustein der Lore des Spiels, also der hintergründigen Weltgestaltung, anstatt wie so viele andere Adaptionen ein separat für sich stehendes Werk zu bilden, das sich lediglich auf einen bekannten Namen, Referenzen zur Vorlage und Blockbuster-Schauwerte verlässt.

 

Die Welle ist nicht zu stoppen

Ein weiterer Grund für die neuerliche Adaptionswelle: Die Studios nehmen das Heft zunehmend selbst in die Hand. Die geplanten Verfilmungen von The Division, Splinter Cell und Watch Dogs beispielsweise werden vom Entwicklungsstudio Ubisoft selbst angestoßen — das letzte Puzzlestück hin zur einerseits immer filmischeren Inszenierung der Spiele mit ihren cineastischen Sequenzen und dem Einsatz echter Schauspieler*innen; und andererseits der zunehmenden Multimedialisierung von Games (samt Büchern, Comics, animierten Kurzfilmen). Wer heute ganz oben mitspielen, muss schließlich möglichst viele Kanäle bedienen.

Diese neuerliche Welle wird sich nicht mehr stoppen lassen, Skepsis gegenüber allem, was irgendwie nach Kommerz riecht, hin oder her, und uns sicher noch viele generische Blockbuster-Versuche oder gar Rohrkrepierer bescheren. Vielleicht aber, nur vielleicht, bringt sie uns auch endlich eine Leinwandadaption, die sich adäquat zu Arcane im Serienbereich das Prädikat „Richtig gut“ verdient; die versteht, wie ein interaktives Medium in ein lineares zu überführen ist und welche Geschichten sich zu erzählen lohnen; die die Vorlage ernst nimmt und zugleich so umformt, dass sie ihr treu bleibt und neue Impulse setzt. Vielleicht werden dann Spieleadaptionen in einigen Jahren auch mit demselben Respekt behandelt wie Romanverfilmungen.

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