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Schnittwechsel: Ari Aster

Kino-Zeit Schnittwechsel heißt: Ein/e Filmemacher*in, zwei Meinungen. Überschätzt, gehasst, geliebt? Genau darum geht es hier. Heute im Fokus: Ari Aster und sein intensives und vielleicht doch überschätztes Horrorkino.

Meinungen
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Ari Aster: Von wegen Meisterwerke

von Sebastian Seidler

Es gibt Filme, die technisch so perfekt sind und auf eine kalkulierende Art und Weise die richtigen Knöpfe drücken, dass man nach dem Abspann vor Begeisterung erdrückt in den Kinosessel zurücksinkt. Man empfiehlt anderen diese Filme weiter und bemerkt bei jeder ausgesprochenen Empfehlung, dass die eigene Faszination bereits am Verfliegen ist.

Ari Asters Hereditary ist für mich ein solcher Film, der von nicht wenigen als neuer Klassiker des Horrorkinos in den Himmel gelobt wird. Bei mir allerdings verblasst die Kunst dieses Filmemachers mit größer werdenden Abstand zunehmend. Ari Aster ist ein wenig der Christopher Nolan des Horrorkinos – ein technisch begabter Regisseur, der durchaus zu beeindrucken weiß, aber am Ende doch nur Lego-Technik-Kino macht. All die Zahnräder greifen ineinander und alles ist so schrecklich kalkuliert, hat seinen Platz und seine Funktion. Mir fehlt da ein wenig die Unwucht. Der Schockmoment, wenn der Schwester der Kopf abgerissen wird, die leicht verschobenen Horrortropen und die ungemein unheimlichen Miniaturen — all das sind für sich gesehen herrliche Angstbilder, die dann allerdings viel zu rational miteinander verschraubt werden. Worauf will der Film am Ende eigentlich hinaus? Darüber zerbreche ich mir den Kopf.

Bis heute weiß ich keine Antwort auf diese Frage. Vermächtnis — klar, das steht auch im Titel. Da wird der Kult um einen Dämon (Paimon) weitergeführt und diesem ein neuer Körper gegeben. All das erklärt das Geschehen im Film, in dem es vor Zeichen und Andeutungen nur so wimmelt. Was aber erzählt der Film über Familie, Mutterschaft und Kindheit? Nicht jeder Film muss eine Message haben, das ist mir völlig klar. Aber damit ein Film ein Klassiker werden soll, muss unter der Oberfläche eine Sinnebene lauern, sollten sich Anschlussmöglichkeiten für ein Nachdenken ergeben, wie in It Follows (weibliche Sexualität, Krankheiten), The Babadook (Depression, Regretting Motherhood) oder Martyrs (der Zusammenhang zwischen Glaube und Gewalt). Zudem behauptet Aster in jeder einzelnen Szene seines Films Tiefgang und kratzt doch nur der schönen Oberfläche seiner Bilder herum. 

(c) Weltkino

Bei Midsommar geht es mir ähnlich. Auch hier: Alles sieht unglaublich gut aus. Während man im Kino sitzt, schraubt einen der Film regelrecht fest. Letztlich verpufft dieser Folk-Horror-Charade zum leeren Zauber, weil kein Geheimnis bleibt: Das Drehbuch klappert an allen Ecken. Man bemerkt, dass Aster uns bestimmte Dinge sehen lassen will, uns lenkt und leitet. Alles wird erklärt und die Figuren sollen so gebaut sein, dass diese Erklärungen hinnimmt. Erneut haben wir es mit einem Kult zu tun und in gewisser Weise ist Midsommar die grelle Schwester von Hereditary. Wenn überhaupt, dann stellt der Film eine moralisch sehr unangenehme Frage: Wie weit wollen wir in der Akzeptanz anderer Traditionen gehen? Und dann brennt auch schon der Bär. Was das ganze mit der Bewältigung einer toxischen Beziehung zu tun haben soll, bleibt mir ein Rätsel.

Im Vergleich dazu gibt es Filme wie der leider etwas untergegangene The Lodge von Veronika Franz und Severin Fiala, der in seiner Form selbst paranoid und wahnsinnig wird. Aster repräsentiert den Wahnsinn, zeigt ihn und führt ihn auf; The Lodge ist unberechenbarer, roher und dunkler, als hätte sich das Regie-Duo dem Film selbst ergeben und wäre einer Logik der Bilder gefolgt, die von Schuld, religiöser Geißelung und der Sehnsucht nach einem stabilen Elterhaus handeln. 

Ari Aster ist – daran soll auch nicht gerüttelt werden – ein unglaublich talentierter Filmemacher. Seine Filme jedoch sind kalkulierend und damit langweilig. Auf jeden Fall ist er nicht der beste Horrorfilm-Regisseur der Gegenwart und seine Filme werden sich im Kanon auf Dauer nicht halten.    

 

Ari Aster: Kino der Angst

von Christian Neffe

Es war einer dieser spontanen „Lass mal schauen, was gleich läuft“-Kinobesuche, bei denen ich erstmals mit Ari Aster in Kontakt kam. Im Sommer 2018 fiel, nach drei Stunden Biergarten, die Wahl schließlich auf Hereditary. Zu meinem Unmut rechnete ich, von Google getäuscht, mit einer Jumpscare-Kaskade à la Conjuring: eine aus dem Schrank springenden Katze, eine Gruselgestalt im Badezimmerspiegel, etc. pp.

Auf den letzten Drücker kamen wir im Saal an und nahmen just Platz (sagt zumindest das Gedächtnisprotokoll), als das Logo von A24 aufblitzte. Und schon die erste Einstellung, dieser vorsichtige, präzise Zoom in ein Puppenhaus, in dem die Figuren zum Leben erwachen und die Handlung in Gang setzen, warf ihre Schatten voraus. Darauf, dass das hier kein simpler Hauted-House-Horror, keine Jumpscare-Achterbahnfahrt werden würde, sondern etwas besonderes. Nur was genau?

Am einfachsten wäre es wohl, einen Begriff wie Elevated Horror aus der Kiste zu greifen; zu sagen, Ari Asters Horror sei schlicht anders als etwa die Blumhouse-Massenware (Ausnahmen wie Get Out bestätigen die Regel), außergewöhnlich in seinem Ansatz und visuell perfekt durchkomponiert. Er nimmt sich Zeit für einen langsamen, umso intensiveren Spannungsaufbau, führt in die Irre, weiß mit drastischen Gewaltspitzen zu überrumpeln. Und profitiert dabei unheimlich von seinem Cinematografen Pawel Pogorzelski, der die Kamera so präzise führt wie ein Chirurg im Operationssaal, mit behutsamen Fahrten und Zooms, dem Spiel mit Vorder- und Hintergrund, perfekt gewählten Bildausschnitten.

(C)Splendid

Im Kern ist Asters Horror für mich aber so tiefgreifend, weil er an die Substanz geht: Seine Filme entlassen mich mit einem nachhallenden Gefühl des Unwohlseins aus dem Kino. Das Gegenteil also jener Horror-Achterbahnfahrten, die mit der Verbannung des bösen Geistes oder dem Tod des Mörders schließen und mich erleichtert in meine heile Welt entlassen: „Ist ja alles wieder gut – war nur ein Film.“ Asters Horror ist wie ein Parasit, der sich im Kopf festwühlt und der bei jeder weiteren Sichtung, bei der sich weitere kleine Details und Zusammenhänge offenbaren, wächst und gedeiht.

Auch weil Aster nicht vor dem inhaltlich und visuell Makabren zurückscheut (und sogar noch die „Frechheit“ besitzt, dies durch Humorspitzen zu verstärken) – beginnend mit seinem ersten Kurzfilm The Strange Thing about the Johnsons über einen Jungen, der einen sexuellen Fetisch für seinen Vater entwickelt, über die manische Trauerbewältigung von Toni Colette und ihrer Familie in Hereditary bis zu Midsommar mit seiner skurrilen Leichenfledderei – eine Trennungsstory erzählt als gewaltsame Emanzipation einer jungen Frau (Florence Pugh) aus ihrer toxischen Beziehung.

Bei Aster gibt es kein Gutes, das vom Bösen heimgesucht wird und am Ende, wenn auch vernarbt, siegt. Stattdessen bei allen Figuren: Grautöne. Er baut die Empathie, die ich seinen Protagonistinnen anfangs entgegenbringe, Stück für Stück mit seinem inszenatorisch präzisen Meißel ab. Seine Filme sind bevölkert von Charakteren, die von ihren Manien, ihrem Umfeld, ihren Fehlern zunehmend korrumpiert werden, deren mentale Fragilität gnadenlos offengelegt wird; und die mich auch über meine eigene Verletzlichkeit nachdenken lassen.

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