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Dokumentationen des analogen Geheimnis

Ein Beitrag von Sebastian Seidler

Derzeit häufen sich die Künstler*Innen-Porträts. Herzog, Jelinek, Goldin: Alle stammen sie aus der vordigitalen Zeit. Sind sie deshalb besonders vom Geheimnis umweht? Erzeugt diese Generation andere Bilder? Eine kritische Erkundung. 

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Künstlerporträts
Billy Eilish: The World`s a bit blurry / Werner Herzog: Radical Dreamer / Elfriede Jelinek - Die Sprache von der Leine lassen / Schlingensief - In das Schweigen hineinschreien

In den Nachrufen auf Godard überschlugen sich die Superlative. Er sei das letzte Genie gewesen, ein Großmeister des Kinos. Im Blick zurück vergöttern wir unsere Künstler:Innen, kommt der gute alte Mythos aus allen Ecken gekrochen. Alice Schwarzer, Werner Herzog, Nan Goldin, Daniel Richter und Elfriede Jelinek. Das sind nur jene Namen, deren Leben kürzlich auf der Leinwand ausgebreitet wurde. So unterschiedlich die Filme im Tonfall auch sein mögen – sie alle schaffen ein übergroßes Bild einer Persönlichkeit, der wir gegenüber ganz klein erscheinen. Auffällig ist, dass all diese Porträtierten aus der vordigitalen Zeit stammen. Hat das etwas mit der Wirkung dieser Biografien zu tun? Verändert die digitale Allsichtbarkeit der sozialen Medien die Künstler und unseren Blick auf sie? Eine erkundende Befragung.

Der britische Songwriter Noel Gallagher hat einmal ganz treffend den Unterschied zwischen dem Geheimnis der Musik seiner Jugend und der Allgegenwart aller Dinge im Hier und Jetzt beschrieben: Wenn damals ein neues Album der Lieblingsband erscheinen sollte, so hatte man vielleicht die Single am Radio gehört, während man auf den Rest der Platte gespannt warten musste. So campierte man vor dem Laden, holte sich die Scheibe, die man mit zitternden Händen auf den Plattenspieler legte – ein völlig magischer Moment, den man später mit seinem Freunden im Pub teilen konnte: Man erzählte sich von der Musik, stritt und debattierte.

Heute ist der Weg zur Musik nur einen Mausklick entfernt. Plattenläden braucht man nicht mehr zwingend. Das Haus muss nicht mehr verlassen werden. Alles ist sofort verfügbar, und der Zauber des Augenblicks wird – wenn er nicht vollständig verschwindet – von kürzerer Dauer sein. Ein alter kulturkritischer Hut ist das, fürwahr. Doch ändert das nichts daran, dass die Vorfreude, das Warten und sich Ausmalen eines Werkes zwingend dazugehören, wenn man sich Leidenschaftlich an die Kunst anbinden will. Sinkende Plattenverkäufe sprechen ihre eigene Sprache der Traurigkeit. Das Geheimnis schrumpft.

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Was aber hat das nun mit den Dokumentarfilm-Porträts der letzten Zeit zu tun? Ziemlich viel. Man nehme nur Werner Herzog. Im Film von Thomas von Steinaecker verliert sich Wim Wenders, selbst einer dieser Großkünstler, beinahe im vor Bewunderung triefenden Tonfall. Man könne beim Werner mit nichts rechnen. Nein, man müsse immer auf das Unfassbare gefasst sein, was natürlich eine Unmöglichkeit ist. Solche Aussagen über diese einzigartige Persönlichkeit des Kinopoeten werden in Werner Herzog: Radical Dreamer zuhauf getroffen. Und es stimmt ja auch. Also, irgendwie zumindest. Dieser bayerische Weltkinoautor erscheint wie eine Naturgewalt, ausgestattet mit einem unbeugsamen Selbstbewusstsein und großspurigen Sätzen, die heute sonst niemand derart nonchalant und ungestraft von sich geben darf.

Werke wie Aguirre, der Zorn Gottes, Fitzcarraldo oder Lektionen in Finsternis wirken förmlich wie auf die Leinwand gebrannt. Herzog ist – das muss man zugeben, selbst wenn man dem Begriff des Genies kritisch gegenübersteht – ein Künstler mit einem ganz eigenen Stil. Und nein, Stil ist nicht einfach bloß eine Handschrift und erst recht keine Manier: Es ist eine Art, die Welt zu sehen, sie zu ordnen oder zu überschreiten. Dabei hat Herzog sich das Medium Film angeeignet und ihm einen eigenen Stempel aufgedrückt. Doch gute Filme allein reichen nicht aus, um zu einem lebenden Mythos zu werden.

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Es bedarf der Erzählung. Eine Erzählung ist jeder dieser Filme – ob nun über Jelinek, Goldin oder Daniel Richter. Jedes Porträt ist eine besondere Weise, einem Menschen eine Form zu geben, eine Stringenz der Existenz zu behaupten, wo wir doch aus eigener Erfahrung wissen, dass das Leben immer aus ganz viel redundanter Alltäglichkeit und Wiederholung besteht. Jede Biografie ordnet, zieht einen roten Faden, der sich zu einer kohärenten Geschichte spinnt, die dann überhaupt erst zu einem Mythos werden kann.

Das ist einer der Gründe, warum uns Porträts so faszinieren. Hinzu tritt das Geheimnis und das, was man die erzählte Erzählung nennen könnte: Die Worte und die Bilder treten bei diesen Filmen über Personen aus der vordigitalen Zeit in ein seltsames Verhältnis. Zwar gibt es Aufnahmen vom Set von Fitzcarraldo, in denen der Wahnsinn aus den Augen von Kinski springt. Und doch ist es erst die unnachahmliche Erzählung von Herzog, das Fabulieren über den Charakter Kinski, dem immer ein Rest an Zweifel innewohnt.

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Oder man denke an den dramatischen Spaziergang von München nach Paris, um Lotte Eisner im Krankenhaus zu besuchen, ja ihr durch diesen Willensakt das Leben zu retten. Herzog hat im Buch Gehen im Eis festgehaltenen. War es wirklich das, was er Schritt um Schritt dachte? Es spielt keine Rolle. Die Literatur und die Poesie der Person Herzog erzeugen einen Überschuss, der in den Bildern des Dokumentarfilms erneut erzählt wird: erzählte Erzählung also. Herzog entzieht sich, kann sich in unterschiedlichen medialen Kontexten zurückziehen, verwandeln oder einfach verschwinden. Es bleibt ein Restgeheimnis zurück – die Möglichkeiten, eine banale Tatsache über sich selbst hinauszutreiben, das ist Kunst.

Man stelle sich vor, Werner Herzog hätte eine Story auf Instagram veröffentlicht. Die Geschichte wäre instantan und unverzüglich, im Strom all der anderen Informationen, lediglich durch die Algorithmik der modernen Medien überformt. Berauben wir uns dabei möglicherweise des Zaubers der Welt? Wird es in Zukunft noch solche Filme geben, wie wir sie jetzt gerade erleben dürfen? Entzaubern wir unsere Kunst in den 15 Sekunden Tiktok und den wenigen Zeilen Twitter?   

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So weit muss man vielleicht nicht gehen. Zumindest nicht an dieser Stelle. Auffällig ist, dass sich Porträts jüngerer Künstler*Innen aus der digitalen Zeit stark von den klassischen Formen unterscheiden: Die Filme über Lady Gaga, Billy Eilish oder M.I.A. wirken wie Home Videos, in denen es darum geht, die wahre, echte und ungeschminkte Person hinter dem Popstar zu finden. Doch glauben wir wirklich, dass auch nur ein Bild ohne Medienberater freigegeben wird? Bei Herzog oder Jelinek tauchen wir durch die Kunst in die Seele von Menschen. Das ist natürlich auch eine Inszenierung – nur ist diese eben untrennbar mit dem Werk verbunden. Heute sind wir ständig dabei, wenn die Helden der Popmusik, die Schauspielerinnen und Künstlerfiguren im Urlaub oder Restaurant sind. Authentizität ist das Zauberwort, das uns vergessen lassen soll, dass alles immerzu Inszenierung ist. Das einzige Geheimnis entsteht dann in der Differenz zu den Bildern bei Social Media.

Die Allsichtbarkeit und die Aufmerksamkeitsökonomie verändert auch die Bilder der Porträts, die Art uns Weise, wie wir uns Künstler*Innen nähern. Während bei Herzog-Jelinek-Schlingensief ein literarisch-fabulierender Mythos entsteht, der die Personen übersteigt, haben wir bei Gaga-Billy-M.I.A. weitere Bilder im Strom der Bilder – ein bisschen Instagram-Reel-Feeling. Das muss nicht schlimm sein. Dennoch sollten wir darüber nachdenken, das Medium und unseren Bezug zur Kunst hinterfragen. Vielleicht können wir die Welt dann auch wieder zu einem Geheimnis machen. Denn ganz ohne ist es doch auch ein wenig langweilig und vorhersehbar.  

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