zurück zur Übersicht
Kolumnen

Zeitenwende und Generationswechsel

Ein Beitrag von Joachim Kurz

Meinungen
Treppen

Bevor nun die Saison der großen Spätsommer- und Herbstfestivals beginnt, in der sich Big Player wie Venedig, Toronto und San Sebastian förmlich die Klinke in die Hand geben, erschienen die Wochen der großen Ferien mit Ausnahme von Locarno wie eine Verschnaufpause, in der aber zwei Nachrichten aufhorchen ließen, die beide auf ihre Weise für eine gewisse Verunsicherung und ein Gefühl des Abschieds sorgten: Zum einen war dies natürlich der Tod von Hans Hurch, der seit 1997 die Viennale leitete und eigentlich nach der Ausgabe 2018 das Zepter an einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin übergeben wollte. 

Dann folgte am Montag zum anderen die Ankündigung des Abschieds von Wieland Speck vom Panorama der Berlinale, der sich nun neuen Aufgaben innerhalb des Festivals zuwendet. Die beiden Nachrichten mögen aufgrund ihrer zeitlichen Nähe mehr oder weniger zufällig miteinander verbunden scheinen, doch sie stehen zugleich symptomatisch für eine — man scheut fast das große Wort — Zeitenwende.

Man könnte diese Zeitenwende auch anders benennen und damit würde dann augenfällig, um was es in Wirklichkeit geht: einen längst überfälligen Generationswechsel, der bislang sträflich versäumt wurde. Daran anschließend wird in diesem Zusammenhang auch spannend zu beobachten sein, wie in diesem Jahr die Hofer Filmtage unter der erstmaligen Leitung von Thorsten Schaumann angenommen werden. Das Festival mit dem legendären Ruf im früheren Zonenrandgebiet ist das vielleicht extremste Beispiel dafür, über welch langen Zeitraum eine Person ein Festival geprägt hat und wie groß die hinterlassene Lücke ist, wenn man sich nicht rechtzeitig Gedanken um eine Nachfolge bzw. eine Struktur macht, die auf mehr Schultern ruht als auf denen eines (wie im Falle von Heinz Badewitz) begnadeten Machers und Netzwerkers. Von den anstehenden Richtungsentscheidungen über die Zukunft der Berlinale-Spitze mal ganz zu schweigen. Zumal das genau die Strategie zu sein scheint, mit der politisch Verantwortlichen derzeit handeln bzw. sich erklären — nämlich gar nicht. 

Gerade das Beispiel des Festivals des österreichischen Films Diagonale in Graz und des dort überaus erfolgreich  vollzogenen und mittlerweile fast euphorisch angenommenen Wechsels sollte diesbezüglich eigentlich Mut machen, mehr Jugendstil zu wagen. Auch wenn dabei dank des Sitzfleischs der Amtsinhaber eine ganze Generation von Kuratoren und Festivalmachern überwiegend auf der Strecke blieb oder sich im Kampf gegen die bestehenden Strukturen aufgerieben hat. Beim Max Ophüls Filmfestival in Saarbrücken, wo man Ähnliches versuchte, blieb der erhoffte Schwung durch die Neuordnung in der Spitze bislang freilich aus. 

Vielleicht wäre es vor diesem Hintergrund schon mal ein Anfang, die bisherige Praxis zu überdenken und zukünftig Amtszeiten von Festivalleitern, Intendanten und Direktoren analog zu der Regierungszeit von US-Präsidenten auf zwei Amtszeiten à 5 Jahre zu beschränken. Auf diese Weise könnte die Ausrichtung der Festivals regelmäßig auf den Prüfstand kommen und des Weiteren verhindert werden, dass sich programmatisch aufgeblähte Wasserköpfe bilden und man zu lang im eigenen Saft schmort. 

Und mal ehrlich — in digital getriebenen Zeiten wie diesen kommen zehn Jahre einer Ewigkeit gleich. Eine Dekade erscheint mir in diesem Zusammenhang als idealer Zeitraum — in dieser Zeit kann sich die eigene Handschrift eines Leiters entwickeln, doch zugleich sorgt die Beschränkung dafür, dass Institutionen flexibel bleiben und Machtstrukturen sich nicht in dem Maße bilden können, wie dies heute bei einigen (nicht nur deutschen) Festivals zu beobachten ist. 

Die deutsche wie internationale Festivallandschaft ist überwiegend eine reine Monokultur, die beherrscht wird von älteren Männern mit ausgeprägtem Machtbewusstsein und manchmal recht ähnlichem Filmgeschmack. Was unter anderem dafür sorgt, dass die großen Festivals und ihr Gerangel um Weltpremieren und Stargäste als Kamerafutter für den roten Teppich mitunter anmuten wie eine Versammlung von Alphatieren, die um den dicksten Anteil der gerade erlegten Beute rangeln. 

Dabei gerät allzu oft ins Hintertreffen, was Festivals eigentlich voneinander unterscheiden sollte: Die programmatische Trennschärfe, die thematischen wie regionalen Schwerpunkte, die Fokussierung auf verschiedene Facetten der Filmwelt. Im globalen Wettbewerb um Filme und Entdeckungen gleichen sich die Programme und Filme immer mehr aneinander an, werden immer ununterscheidbarer und nivellieren sich so gegenseitig. Den typischen Berlinale-, Cannes- Locarno- oder Venedig-Film gibt es immer seltener. Von anderen Festivals und ihrer vormaligen Handschrift mal ganz zu schweigen. Stattdessen herrscht emsige Betriebsamkeit, nur ja keinen globalen Bewegtbild-Trend zu verpassen: „Serien — das große neue Ding und deshalb unbedingt mit einer eigenen Reihe zu versehen“. „Fernsehproduktionen und die neuen Player wie Amazon und Netflix — ganz heißer Scheiß“ … bis man dann doch wieder schnell zurückrudert, weil sich (wie im Umfeld von Cannes geschehen) der Verband der Kinobetreiber querstellt. 

Das Problem der mangelnden Diversität von Filmfestivals ist nicht nur eine Frage der Generationenfolge oder verwaschener Konzepte, sondern berührt auch eine Thematik, die gerade völlig zurecht in den Fokus der Aufmerksamkeit geraten ist: Frauen in Führungspositionen. Das gilt nicht nur für börsennotierte Unternehmen, sondern auch und erst recht für Kultureinrichtungen: Wo sind die Festivals, die jenseits der thematisch entsprechend aufgestellten Nische von Frauen geleitet werden? Sicherlich gibt es Ausnahmen wie das Filmfest München (Diane Iljine), die Nordischen Filmtage in Lübeck (Linde Fröhlich) oder das DokLeipzig (Leena Pasanen), doch dies kann kaum drüber hinwegtäuschen, dass die Filmfestivals in ihrer Gesamtheit von einer auch nur annähernd paritätischen Quote ähnlich weit entfernt sind wie ein — sagen wir mal — schwäbischer Mittelständler im Bereich Maschinenbau. 

Schon im März hatte Frédéric Jaeger in seiner Kolumne für SpiegelOnline den Finger in die Wunde gelegt. Und im Oktober wird es beim Filmfest Hamburg ein Panel geben, das sich unter dem etwas provokanten Titel „Wozu Filmfestivals?“ der Zukunft und Zukunftsfähigkeit solcher Veranstaltungen widmet. Aufrüttelnd ist der Titel auch und vor allem deswegen, weil man ihn fast unwillkürlich in „Wozu überhaupt noch Filmfestivals?“ um- und weiterformuliert. Diese Reflexionen sind dringend nötig und eigentlich längst überfällig, sie dürfen aber nicht im Darüberreden verharren, sondern müssen zwangsläufig auch zu Aktionen führen — und genau da ist dann wiederum die Politik gefragt, sich der bevorstehenden Zeitenwende anzunehmen und sie mit klugen Maßnahmen zu begleiten. 

Je länger man drüber nachdenkt, desto mehr kommt man zu der Überzeugung, dass die Festivallandschaft in den kommenden Jahren vor einem ähnlichen (wenn nicht sogar exakt dem gleichen) Umbruch steht wie die gesamte Kino- und Filmwelt. Und genau deshalb werden sich auch meine nächsten Kolumnen mit Ideen, Problemen und Fragestellungen um dieses Thema befassen. Denn die Zukunft beginnt gerade jetzt … 

Meinungen