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Kolumnen

Verführte Verführer und komplizierte Komplizen

Ein Beitrag von Urs Spörri

2017/18 ist ein starker Jahrgang für deutsche Filme. Auffällig ist jedoch die Figurenzeichnung: Verführer werden selbst verführt und vermeintliche Komplizen werden immer komplizierter. Was sagt dies aus über die deutsche Filmindustrie in Zeiten von #metoo?

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3 Tage in Quibéron von Emily Atef
3 Tage in Quibéron von Emily Atef

2017/18 ist ein starker Jahrgang für deutsche Filme. Das zeigte nicht nur die Verleihung der Deutschen Filmpreise, sondern auch der Blick auf die großen Festivals von München und Saarbrücken bis zur Berlinale. Auffällig ist dabei ein thematischer Zusammenhang: Viele handeln von (verführten) Verführern und (komplizierten) Komplizen. Was sagt dies aus über die deutsche Filmindustrie in Zeiten von #metoo?

Schon der große Abräumer der Lolas ist bestes Beispiel dafür: 3 Tage in Quibéron, ausgezeichnet mit 7 Deutschen Filmpreisen, zeigt uns Romy Schneider am Abgrund ihres Lebens, in einer als Hotel getarnten Entzugsklinik in der Bretagne. Ein Stern-Reporter samt Fotograf versuchen sie in vielerlei Hinsicht zu verführen – zum Alkohol, zu dunklen Enthüllungen, zu Amüsement und Amour. An ihrer Seite steht Jugendfreundin Hilde als ihre Komplizin, die sie kaum zu schützen vermag, denn auch der Fotograf Lebeck ist ein Komplize. Dieser schläft gar mit ihr in einem Bett, als entsexualisierter Mann und Unterstützer der schwachen starken Frau ist er jedoch nur ihr Instrument. Charly Hübners Robert Lebeck steht als verführter Verführer und komplizierter Komplize quasi sinnbildlich für die heutige deutsche Filmbranche, die nicht so recht mit den neuen starken Frauen und dem veränderten Männerbild umzugehen weiß. 

Robert Gwisdek und Marie Bäumer in "3 Tage in Quibéron", Copyright: Prokino
Robert Gwisdek und Marie Bäumer in „3 Tage in Quibéron“, Copyright: Prokino

Umso bemerkenswerter, dass der von Robert Gwisdek gespielte knallharte Zyniker Michael Jürgs, der Romy so lange aussaugt, bis er selbst schlussendlich doch ein schlechtes Gewissen bekommt, den Preis für die beste männliche Nebenrolle anstelle von Charly Hübner vom Kreißsaal und der bevorstehenden Geburt seiner Tochter aus in Empfang nehmen durfte. Unbestrittener Höhepunkt der Gala war jedoch die Auszeichnung für Marie Bäumer in der Rolle ihres Lebens, deren Dankesrede zu Tränen rührte: „Romy hat sich so gesehnt, eine solche Auszeichnung aus ihrem Land zu bekommen“ – lange nach ihrem viel zu frühen Tod, im Jahr des 80. Geburtstags wurde Romy Schneider nun endlich diese Ehre indirekt zuteil. Auch wenn 7 Lolas angesichts der starken Breite der nominierten Filme (Der Hauptmann, In den Gängen und Das Schweigende Klassenzimmer gingen fast leer aus) vielleicht ein wenig zu viel des Guten gewesen sein mögen.

 

„Ein ganz Scharfer“ mischt die Lola auf

Es war eine gelungene Gala, die Verleihung der Deutschen Filmpreise. Dies lag nicht zuletzt an dem glänzend aufgelegten Moderator Edin Hasanovic, der überraschend gekonnt am schmalen Grat des Noch-Erlaubten entlangbalancierte und zugleich unterhaltsam wie provokant aktuelle Debatten nicht aussparte. Schon der Einspieler zur Eröffnung gab die Richtung vor: Manfred Krug betitelt Edin als „ein ganz Scharfer“, Harald Juhnke flirtet ihn als Verführer im Bett face-to-face an und hat seinen/ihren Namen vergessen, Monica Bleibtreu fordert Edin zum schönen Knicks auf, Götz George und Heiner Lauterbach schicken ihn direkt vom Casting von der Bühne. Brillant dann der Dialog mit Vicco von Bülow, auf seinen Einwurf hin, frischen Wind in die Veranstaltung bringen zu wollen:

 

Loriot: „Sie haben aus einem kleinen miesen Saftladen einen großen… das was wir heute sind. Und nicht Sie haben darüber…“ 

Edin Hasanovic: „Ja, ich weiß. Sie aber auch nicht. Das macht ne Frau. Seit Jahren schon.“ 

Loriot: „Das ist mir neu.“

 

Iris Berbens anschließender Auftritt wird auf der großen Videowall in roten Lettern als „Chef“ tituliert, schließlich ist sie ja Präsidentin der Deutschen Filmakademie. Moderator Hasanovic hingegen wird als „Co-Chefin“ auf selbiger Fläche angekündigt. It’s all about gender. Dabei geht der nach Eigenaussage permanent als Problem-Jugendlicher oder Problem-Erwachsene besetzte Schauspieler durchaus als männlicher kraftstrotzender Archetypus durch. Sein Satz „Ich bin nicht nur ein unfassbar talentierter Schauspieler, sondern auch eine hochgradig attraktive Frau“ versandet ohne Applaus. Ebenso leider Hasanovics Appell: „Wir, die Branche, die Filmakademie, wir alle haben jahrzehntelang Machtmissbrauch geduldet. Aber um es mit den Worten unseren amerikanischen Kollegen zu sagen: Time’s up. Beruhigen Sie sich, wir haben leider nicht soviel Zeit über die wichtigen Dinge zu sprechen. Heute Abend geht es um den deutschen Film.“ Es bleibt kompliziert.

 

Gute Komplizen, schlechte Komplizen

Iris Berben hat sich bei Preisverleihungen einen eigenen Terminus geschaffen für die Menschen, denen sie ihren Dank ausspricht: „Das sind meine Komplizen.“ Diejenigen wissen dann schon, wer gemeint ist. Und das ist das höchste Lob, als Komplize von Iris Berben bezeichnet zu werden. Die Wortwahl jedoch ist interessant: Komplizen, das bezeichnet laut Duden „Mittäter“, ist im Deutschen zumeist negativ und kriminell konnotiert. Komplizen beim Filmemachen, na klar: Da dreht man ja auch ein Ding. Auch wenn es nicht ganz so krumm ist. Die sprachliche Verbindung zwischen der Komplizenschaft beim Kriminalistischen wie im Kino scheint jedenfalls zu passen. „Komplizen Film“ ist zugleich der Name einer der führenden deutschen Produktionsfirmen, die nach Maren Ades Toni Erdmann nun auch Valeska Grisebachs mit der Lola für den Besten Film in Bronze ausgezeichneten Western entstehen ließen. Western zeigt das Aufeinanderprallen von Berliner Bauarbeitern (allesamt Laien, auf echten Baustellen gecastet) mit der bulgarischen Dorfbevölkerung, wo sie einen Staudamm errichten sollen. Dabei lässt Valeska Grisebach Männerfiguren zum Leben erwecken, die es seit Götz Georges Schimanski in dieser Drastik, Rohheit und Verschmutztheit nicht mehr so konsequent im deutschen Kino gegeben hat.

Meinhard Neumann in "Western", Copyright: Komplizen Film
Meinhard Neumann in „Western“, Copyright: Komplizen Film

Umso bemerkenswerter, dass dieses Ur-Männerbild ebenso seinen Platz im Preisregen der Filmakademie gefunden hat wie Fatih Akins Aus dem Nichts. Neben dem Golden Globe erhielt das Werk den Deutschen Filmpreis in Silber – und noch dazu die Lola für das Beste Drehbuch an Fatih Akin und Ehrenpreisträger Hark Bohm, der nur erwiderte: „Das ist zu viel.“ Und Fatih Akin, der fast schon entschuldigend gegenüber seiner Star-Schauspielerin Diane Kruger ausrief: „Jeder Preis, den dieser Film gewinnt, ist dein Preis.“ Denn in der Tat lebt Aus dem Nichts von dem Furor und der Tiefe der Figur, die Diane Kruger als Opfer eines rechtsradikalen Anschlags durchlebt. Ihr Mann und ihr Sohn sind tot, danach muss sie sich und ihren Gatten auf Grund des Migrationshintergrunds und eventueller Drogenvergangenheiten eher verteidigen als dass die Täter bestraft werden. Die Analogie zum NSU liegt nahe. Ihre Rachegedanken gehen bis hin zur Selbstjustiz, da die Obrigkeit nicht durchgreift. Sie ist die vielleicht stärkste Frau unter den filmpreisgekrönten Figuren, und sie wird alleine gelassen. Steht das auch symptomatisch für die Filmbranche?

Diane Kruger in "Aus dem Nichts", Copyright: Warner Bros. Germany
Diane Kruger in „Aus dem Nichts“, Copyright: Warner Bros. Germany

 

Die Hell’s Angels der deutschen Filmbranche

„Ungleichberechtigung, dafür steht diese Branche exemplarisch“, sagte die ehemalige Bundesfamilienministerin Katarina Barley im Februar in ihrem Grußwort zur Pro-Quote-Veranstaltung auf der Berlinale über sexualisierte Belästigung und Gewalt in der Film- und Fernsehbranche. Und so erschreckend diese Aussage an sich ist – es ging nicht einmal mehr ein Raunen durch das vollbesetzte Tipi vor dem Kanzleramt. Anneke Kim Sarnau rief als Laudatorin beim Deutschen Filmpreis aus: „Die Hell’s Angels haben einen höheren Frauenanteil als die deutsche Filmbranche, ihr Spacken.“ So berechtigt dieser Vorwurf angesichts eines Schauspielerinnenanteils der Altersstufe Ü50 von 1:6 gegenüber den männlichen Kollegen erscheint, so unangebracht war dieser Satz in der Situation der Laudatio.

Denn da waren gerade die Nominierten für die Beste Tongestaltung eingeblendet worden – allesamt Männer. Männer jedoch, für die der Moment ihres vielleicht größten Erfolges (des Deutschen Filmpreises in ihrem Gewerk) mit Scham und Schuldgefühlen aufgeladen wurde. Und das sollte bei aller berechtigten Kritik am System und der Ungleichberechtigung in der Branche nicht vergessen werden: Wir brauchen alle, filmbegeisterte Männer wie Frauen, für ein gutes und funktionierendes Filmsystem in Deutschland. Da wäre gegenseitiger Respekt der richtige Weg, um gemeinsam Seite an Seite zu kämpfen. Und sich auch an der richtigen Stelle miteinander zu freuen, anstatt sich zu beschimpfen. In diesem Sinne: Herzlichen Glückwunsch an alle Preisträgerinnen und Preisträger! Herzlichen Glückwunsch, deutscher Film!

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