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Kolumnen

Übers Filme machen und Filme sehen

Ein Beitrag von Henriette Rodenwald

Das reguläre Kinopublikum wird wohl nur wenige Gedanken an die Entstehungsprozesse hinter aktuellen Blockbustern verschwenden. Doch hat man einmal den Blick hinter die Kulissen geworfen, lassen sich Überlegungen zum Entstehungsprozess schlecht ignorieren. Das Jahr aus Sicht einer Filmschaffenden.

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Kinoklappe
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Nur wenige Monate nach offiziellem Drehschluss wurde vor numehr kaum einer Woche das actiongeladene Finale der zweiten Staffel Berlin Station ausgestrahlt. Die vom amerikanischen Bezahlsender epix produzierte, fast ausschließlich in Berlin gedrehte und international besetzte Spionageserie, welche sich hierzulande auf Netflix streamen lässt, hat bisher ein ziemlich unscheinbares Schattendasein im ewigen Wettkampf der Serienriesen geführt. Warum sie trotzdem auf meinem Radar war und ich mit Spannung jede neue Folge erwartet habe? Weil ich selbst an der Entstehung der neun Episoden beteiligt war.

Knapp ein halbes Jahr verbrachte, ja lebte ich geradezu am Set von Berlin Station. Als Teil der Assistant Directors (im deutschen System Regieassistenz genannt) atmete ich die Arbeit hinter und vor der Kamera ein, lernte viele wunderbare neue Menschen in Cast und Crew kennen und schätzen. Und es ist eben jene private als auch professionelle Ebene, die mein persönliches filmisches Seherlebnis von Jahr zu Jahr mehr beeinflusst.

Als Filmschaffende_r gibt es zum einen die Projekte, an denen man selbst beteiligt war. Bereits bei der Produktion entsteht eine erste eigene Meinung zu dem Drehbuch, den Figuren, der Umsetzung und schließlich dem Resultat, welche sich zum Zeitpunkt der Ausstrahlung dann entweder bestätigt oder widerlegt. Mit jeder neuen Szene, die über Leinwand und Bildschirm flackert, kommen Erinnerungen an bestimmte Drehtage, Orte und Stimmungen hoch. Momente, welche vielleicht besonders schwierig waren, oder Situationen, die für viel Spaß sorgten. Die Erwartungen an das finale Produkt sind unweigerlich an das eigene Empfinden während der Produktionszeit gekoppelt. Im Falle von Berlin Station war beides durchschnittlich positiv geprägt. Wenn auch sehr anstrengend, war die Arbeit an der Show größtenteils erfreulich, ebenso wie das Endergebnis, eine in vielen Aspekten gelungenere Staffel als die erste.

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(Trailer zu Berlin Station, Staffel 2)

Zum anderen gibt es die zahlreichen anderen Werke, an denen man selbst gar nicht teilhatte, deren Betrachtung aber dank des angesammelten Wissens um die Prozesse hinter den Kulissen dennoch den Blick von der Leinwand lösen und Gedanken zur jeweiligen Entstehung hervorrufen. So ist es im Falle der Assistant Directors, hauptsächlich verantwortlich für die Organisation und den reibungslosen Ablauf des Drehs, nicht verwunderlich, wenn einem vor allem im Einsatz von Komparsen besonders ausgefeilte oder aufwendige Szenen ins Auge fallen, ist doch das Einrichten von Statisten der einzig wirklich kreative Aspekt unserer Arbeit.

Da wäre zum Beispiel der Anfang von Kathryn Bigelows Detroit, als die Proteste das erste Mal so richtig Fahrt aufnehmen und in randalierenden Menschenmassen kulminieren. Oder die zweite Hälfte in mother!, wenn das Haus einem Kriegsgebiet zu gleichen beginnt und sich die Kamera durch Soldaten, Flüchtlinge, Plünderer, Anhänger und viele weitere gut platzierte Menschen vorkämpfen muss.

Handelt es sich um kleinere Gruppen an Statisten, fallen vor allem Fehler in der continuity auf oder aber man erkennt bekannte Gesichter aus diversen anderen Werken wieder, weil sich auch das Angebot der ortsansässigen Agenturen irgendwann erschöpft. Große Wiedererkennung haben auch die Stunt-Crews, deren Anwesenheit in Szenen oftmals auf bevorstehende Action deutet. Und auch hier gilt: je mehr Zeit man bei der Entstehung an aufwendigen Action-Sequenzen verbracht hat, desto mehr würdigt und genießt man wirklich gelungene und ausgeklügelte Choreographien, und möchte sie am liebsten immer und immer sehen, wie die Kampfszenen der Amazonen in Wonder Woman.

Etwas mehr aus dem Filmgeschehen rausreißen kann hingegen die zu häufige Verwendung derselben Drehorte. Man denke nur an den orange-gekachelten Tunnel unter dem ICC. So musste er nicht nur in diesem Jahr in Atomic Blonde und Berlin Station als eine Art Wahrzeichen für die Hauptstadt herhalten, er versuchte uns auch bereits in The First Avenger: Civil War und The Hunger Games: Mockingjay Part 2 fremde Orte vorzugaukeln. Der Guardian widmete dem unwahrscheinlichen „Filmstar“ dieses Jahr sogar einen eigenen Artikel.

All solche produktionsbedingten Eigenheiten können gut und gerne mal von der Wahrnehmung eines Films oder einer Serie ablenken. Mein Wissen um die Vorgänge hinter der Kamera beeinflusst meine Seherfahrung zwangsläufig, wenn es sie nicht sogar weiter schult. Das muss jedoch nicht automatisch heißen, dass sich für mich der Spaß am audiovisuellen Ereignis damit verringert. Ganz im Gegenteil: Ich bekomme eine größere Wertschätzung für die aufwendige Arbeit, die in das Produkt floss und sich, im besten Fall, optisch für mich abbildet. Und so bin ich auch für das Jahr 2018 sehr gespannt auf fremde Filme und noch kommende Projekte, an denen ich selbst teilhaben durfte.

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