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Kolumnen

Über das Schreckgespenst des Kinojahres

Ein Beitrag von Maria Engler

Wer zur Weihnachtszeit Kevin durch New York begleitet, dem könnte vor Schreck die Gänsekeule aus dem Mund fallen, wenn er plötzlich den Präsidenten über den Bildschirm flimmern sieht. Der besetzt allerdings nicht nur zu Weihnachten die Filmwelt, sondern beherrscht das ganze Jahr über das Feuilleton.

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Donald Trump
Donald Trump

Er ist der ultimative Bösewicht, schlimmer als Lex Luthor, der Joker, Sauron und Goldfinger zusammen, Dr. Extreme-Super-Evil himself, Alleinherrscher über das Weiße Haus und damit der freien Welt. Donald Trump beherrscht die Gedanken der Menschheit — auch die der Filmkritik. Viele 2017 veröffentlichte Filme werden fast automatisch zur Trump-Kritik oder zum Indiz eines gebeutelten Amerikas erhoben — selbst wenn sie damit nichts zu tun haben.

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Zusammenschnitt aller Cameo-Auftritte von Donald Trump

Filme sind Ausdruck des Zeitgeistes, sie transportieren politische Botschaften, ihr Erfolg oder Versagen an den Kinokassen kann Auskunft über die Präferenzen der Gesellschaft geben. Das Abklopfen filmischer Erzeugnisse auf diese Mechanismen gehört zum Handwerk der Filmkritik. Die mediale Bombardierung mit ständigen Updates über Präsident Trumps neuste Twitter-Eskapaden, seine fragwürdigen Regierungsentscheidungen und sonstigen Verhaltensweisen bohrt the Orange One unvermeidbar in die Köpfe eines jeden Rezipienten. Trumps ständige Präsenz schlägt sich unvermeidlich auch auf den Filmgenuss nieder und findet sich in großer Vielfalt in der Filmkritik wieder. Dabei ist die Sogwirkung von Filminterpretationen in diese Richtung offenbar so groß, dass im Grunde jeder Film eine passende Basis dafür bieten kann.

In mother! zerstört blinder Glaube und religiöser Extremismus die Schönheit von Mutter Natur, das kann doch nur ein Abbild des modernen Amerika sein. Die Kinder in Es leben in einer Welt der Angst — wenn das mal nicht das Amerika der Trump-Ära ist! Und überhaupt ist der Horrorfilm das Genre unserer schicksalsgebeutelten Zeit. Da hilft nur noch ein Blick zurück auf die wirklich herausragenden Politiker der Vergangenheit. Gary Oldman als Winston Churchill ist eine zarte filmische Streicheleinheit für die armen amerikanischen Seelen, die wegen Trump den Glauben an jegliche politische Führer verloren haben. Im Grunde ist doch der gesamte Herbst und damit die allseits beliebte Oscar-Zeit in diesem Jahr besonders politisch und winkt mit endloser Kritik am amerikanischen Präsidenten. Mit großer Spannung erwarten wir außerdem Steven Spielbergs neuen Film The Post, ein bissiger Kommentar zu Trumps Umgang mit der Presse und eine mahnende Erinnerung an ihre politische Macht. Dabei findet sich Mut zur Kritik und eine Feier der Vielseitigkeit und der Toleranz auch in zunächst wenig politisch wirkenden Filmen. Pixars neuster Streich Coco ist eine warmherzige Lobeshymne auf das von Trump so gehasste Mexiko und ein mutiges politisches Statement in schweren Zeiten. Natürlich springt auch Marvel auf den Zug auf und bietet mit Thor: Tag der Entscheidung einen direkten Kommentar auf die Verhältnisse in Trumps Amerika an. Und überhaupt, gibt es da nicht zwingende Parallelen zwischen Donald Trump und Emoji — Der Film

Die Gedanken sind frei, jeder kann Filme für sich interpretieren und sie nach eigenen Ansätzen umdeuten und mit dem Kopf voller Trump-Kapriolen drängt sich ein Bezug zum Präsidenten beim Filmgenuss geradezu auf. Doch so nachvollziehbar diese und ähnliche Vergleiche auch klingen mögen, sie sind nicht unproblematisch. Zum einen, und dieser Punkt wird oftmals unterschlagen, sind Filme keine besonders schnell herzustellenden Produkte. Coco war sechs Jahre in der Produktion, Marvel plant Filme und deren Handlungsstränge über Jahre im Voraus und auch andere große Hollywoodproduktionen werden nur selten innerhalb weniger Minuten aus dem Boden gestampft. Ihr Erscheinen mag wie durch Zauberhand passend erscheinen und einige Filme nehmen sicher Bezug auf aktuelle Ereignisse, aber das reicht nicht, um ihnen kollektiv eine Kritik an Trump zu unterstellen. Das wird ihrer Vielseitigkeit nicht gerecht. Gesellschaftliche Interessen, ihr ständiger Wandel und wiederum ihre Abbildungen in Filmen sind komplexe Prozesse. Der Fingerzeig in Richtung Trump ist eine zu einfache Erklärung für ein vielschichtiges Problem — ein Vorwurf übrigens, den vor allem Trump und seine Anhänger häufig zu hören bekommen. 

Zum anderen wird Donald Trump mithilfe dieser Vorgehensweise allmählich zum Oberbösewicht der Bösewichter aufgebläht — eine Ehre, die ihm nicht gebührt. So gut es sich auch anfühlen mag, alle Probleme unserer düsteren Zeit auf den tumben Buhmann im Weißen Haus abzuschieben, gesellschaftliche Probleme gab es leider bereits vor seiner Zeit und wird es weiterhin nach ihm geben. Auch wenn Filme wie Get Out ein hervorragender Kommentar zum Thema Rassismus sind, Trump hat ihn nicht erfunden — genauso wenig wie Homophobie, Sexismus oder Umweltverschmutzung. Dadurch, dass Filmen ständig eine Kritikerrolle gegenüber Trump oder dem anscheinend bereits nach ihm benannten Amerika gegeben wird, wird ihm mehr Macht und Bedeutung zugeschrieben, als er eigentlich besitzt. Und das kann doch niemand wollen.

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