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Kolumnen

Tote Mädchen. Überall.

Ein Beitrag von Sonja Hartl

“I see dead people”. Mit Laura Palmer fing sie an, die Welle der toten Mädchen im Fernsehen. Sonja Hartl hat genug davon.

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Sheryl Lee als Laura Palmer in "Twin Peaks"
Sheryl Lee als Laura Palmer in "Twin Peaks"

Ein Mädchen mit blutleerem Gesicht, tot, in Plastikfolie gewickelt, ist wohl eines der bekanntesten Bilder der Seriengeschichte. Die tote Laura Palmer in der ersten Folge von Twin Peaks. Ein Mädchen, grausam zu Tode gekommen, verkörpert den Zusammenprall von (unterstellter) Unschuld und Verdorbenheit. Ihre Ermordung ist nun Anlass, von dem Städtchen Twin Peaks zu erzählen – und von dem ermittelnden FBI-Agenten Dale B. Cooper.

Laura Palmer faszinierte auch mich damals – und das Geheimnis um ihren Tod hat mich bis heute nicht losgelassen. Dennoch bin ich der toten Mädchen überdrüssig. Es ist nun einmal ein allzu bequemes narratives Mittel, um beim Rezipienten sofort Gefühle zu wecken. Es verlangt nach Aufklärung und Gerechtigkeit. Deshalb ist Laura Palmer auch weder das erste noch das letzte tote Mädchen, das im Zentrum eines Rätsels stehen sollte. Schon Edgar Allan Poe schrieb, „The death of a beautiful woman is unquestionably the most poetical topic in the world“. In seinen Erzählungen kommen sie dann auch vor, die Körper von schönen Frauen, die grausam ermordet wurden. Rund 200 Jahre später hat sich an der Faszination nichts geändert. Tote Mädchen, die schön und in der Regel weiß sind, setzen eine Erzählung in Gang, ob in True Detective, Pretty Little Liars oder Tote Mädchen lügen nicht.

Die Serien setzen auf die Faszination für geschlagene, misshandelte und tote Körper von Frauen und Mädchen, die zugleich schön und unschuldig wirken. Ihr Tod geht einher mit einem ästhetisierten Ekel, mit dem Schönheit in etwas Grausamem gefunden wird. Jedoch sind diese toten Mädchen vor allem Anlass für eine Ermittlung, die meist von einem Mann geführt wird und deshalb letztlich von ihm erzählt. Das tote Mädchen ist ein Rätsel, sei es in Twin Peaks oder in The Girl With The Dragon Tattoo. Alice Bolin formuliert es in Dead Girls deutlich: „women are problems to be solved, and the problem of absence, a disappearance or murder, is generally easier to deal with than the problem of the woman’s presence.“

Exemplarisch lässt es sich an den beiden Staffeln von Tote Mädchen lügen nicht sehen. Im Mittelpunkt der Erzählung über die Schülerin Hannah, die Selbstmord begangen hat, stand schon immer ihr Schulfreund Clay, der mithilfe der 13 Kassetten, die sie hinterlassen hat, herausfinden will, warum sie sich umgebracht hat. In der ersten Staffel kommt Hannah durch die Kassetten immerhin noch selbst zu Wort. Ihr Erleben, ihre Wahrnehmung spielt eine Rolle – untergeordnet.

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In der zweiten Staffel ist sie indes lediglich in den Gedanken von Clay präsent, er sieht sie, weil er ihren Tod verarbeiten muss; sie ist eine reine Projektionsfläche für ihn, an sie richtet er seinen Ärger, wenn sie seine Erwartungen enttäuscht hat, die er in ihrer Verklärung an sie gestellt hat. Clay ist in ein Ideal verliebt gewesen, das der Realität nicht standhält – und die Serie deutet an, dass Hannah vor allem wichtig war, weil sie Clay etwas bedeutet hat. Lasse ich einmal beiseite, dass die zweite Staffel von Tote Mädchen lügen nicht ohnehin unnötig war, hätte in ihr zumindest die Chance gelegen, tatsächlich Hannahs Geschichte zu erzählen. Das Leben eines Teenagermädchens, das dazugehören will und Fehler macht. Stattdessen aber geht es um Clays Leiden durch ihren Tod.

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Darin steckt die grundlegende Ambivalenz aller Dead Girl Shows: Sie tragen dazu bei, die etablierten Hierarchien zwischen den Geschlechtern zu verstärken. Die Frau ist das Opfer, der Mann der Retter, die Frau ist die Unterlegene, der Mann der Stärkere. Der Tod der Frau dient dazu, vom Mann zu erzählen. Eine Serie wie beispielsweise Tote Mädchen lügen nicht ist sich der rape culture und des Sexismus der Gesellschaft bewusst, indem die Footballmannschaft aber eine fast mafiöse Vereinigung und nicht mehr eine Gruppe von Teenagerjungs mit einem toxischen Maskulinitätsideal ist, verfehlt sie ihre Wirkung. Sie sagt, diese Jungs und all die Männer, die wegsehen und ermöglichen, sind die Ausnahme und nicht die Regel.

Dennoch bin ich überzeugt, dass mit Geschichten über toten Mädchen grundsätzlich Misogynie und Sexismus sichtbar gemacht werden können. Dass es möglich ist, dass sich durch diese Geschichten Frauen und Mädchen den dunklen Seiten ihres Lebens stellen können, dass sie Gespräche über Dinge in Gang setzen, über die nicht gesprochen werden soll: häusliche Gewalt, sexualisierte Gewalt, widerstreitende Gefühle über die Mutterschaft zum Beispiel. Diese Geschichten können erforschen, zu was Frauen aufgrund des konstanten Sexismus in der Lage sind – was Wut mit ihnen macht.

Einen Versuch unternimmt derzeit die Serie Sharp Objects. Auch hier gibt es eine Ermittlerfigur, allerdings ist es kein Mann, sondern die Journalistin Camille Preaker, die in ihre Heimatstadt Wind Gap zurückkehrt, weil dort innerhalb eines Jahres das zweite Mädchen verschwunden ist und später auch tot aufgefunden wird. Camille soll für ihre Zeitung über diesen Ort und das Verschwinden schreiben. Wie Rust Cohle in True Detective wird sie von ihrer inneren Düsterheit bestimmt, von ihren inneren Dämonen. Er trinkt, um seine Tochter zu betrauern, sie trinkt wegen ihrer toten Schwester. Beide geraten an einen Mordfall, von deren Lösung sie sich Absolution versprechen – und bei beiden wird es im Verlauf der Serie immer schwieriger, ihren Dämonen zu entkommen. Preaker und Cohle haben nur ihre Vergangenheit und sind auf der Suche nach Gerechtigkeit, die sie sich durch die Aufklärung eines anderen Verbrechens versprechen.

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Nun klingt das auf den ersten Blick wie eine reine Umbesetzung, die viele mit einer feministischen Tendenz verwechseln: ein Figurentypus, der überwiegend von Männern gespielt wird, wird mit einer Frau besetzt und damit haben wir eine „starke“ Frauenfigur. Doch das ist hinsichtlich Camille Preaker viel zu kurz gedacht: Am Ende der ersten Folge sieht man, dass sie nicht nur trinkt, um zu vergessen, sondern sich ritzt. Sie schneidet Wörter in ihren Körper. Damit nimmt Sharp Object eine sehr spezielle und vorwiegend weibliche Form der Selbstverletzung in den Mittelpunkt – und einen weiteren beschädigten weiblichen Körper.

Denn genau darum geht es der Serie: Sie will den beschädigten, verletzten weiblichen Körper zurückerobern. Diese Serie erzählt nun nicht mehr davon, wie Frauen Schaden zugefügt wird, sondern von dem Schaden, den Frauen sich zufügen. Es sind nicht mehr die toten Frauen und Mädchen, die eine seltsame, bisweilen erotische Anziehung auf den Ermittler oder die Stadt ausüben. Das tote Mädchen ist nicht mehr eine leere Hülle, durch die Männer ihre Probleme aufarbeiten können, sie wird nicht mehr benutzt, um über Maskulinität zu erzählen. Vielmehr geht es um die lebenden Frauen. Um den Schaden, den sie sich zufügen, aufgrund der Erwartungen, die an ihre Feminität gestellt werden. Weibliche Körper und Traumata werden nicht mehr mit einem männlichen Blick betrachtet, sondern mit einem weiblichen.

Das ist ein mutiges und schwieriges Unterfangen, das der Serie in den bisher von mir gesehenen 4 Folgen gut gelingt. Aber bei diesem Versuch schwingt immer die Gefahr mit, am Ende dann doch die alten Muster zu reproduzieren und damit nicht eine Lösung, sondern Teil des Problems zu sein. Ein bekanntes Problem: Über Sexismus zu erzählen, ohne ihn letztlich zu reproduzieren.

Sharp Objects
Bild zu Sharp Objects von Jean-Marc Vallée; Copyright: HBO

 

Sharp Objects macht bisher zweierlei deutlich: Tote Mädchen – oder weibliche Opfer im Allgemeinen – müssen nicht aus Kriminalerzählungen verschwinden, sondern die Erzählweise muss sich verändern. Dazu gehört auch, dass der männliche Blick, der in Filmen und Serien so präsent ist, hinterfragt wird. Ein eindrückliches Plädoyer hierfür lieferte zuletzt auch The Tale von Jennifer Fox. Allein durch die Entscheidung, die Rolle einer 13-Jährigen nicht mit einer wesentlich älteren Schauspielerin zu besetzen, lässt sofort im Bild erkennen, dass es falsch ist, wenn ein erwachsener Mann sie begehrt, dass das vermeintlich Verführerische einer 13-Jährigen allein im Blick des Täters ist.

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