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Kolumnen

Seid dankbar. Ihr seid doch vertreten.

Ein Beitrag von Beatrice Behn

Meinungen
Loveless

Also, das Thema mit der schlechten Repräsentation von Frauen, einer Minorität, die so um die 50% der Weltbevölkerung ausmacht, beim Filmfestival in Cannes stimmt ja jetzt nicht so ganz. Ich fahre da seit inzwischen sieben Jahren hin und nicht nur bin ich selbst eine Frau – und damit Teil der ungefähr 20% Frauen in der Filmkritik –, sondern ich sehe auch ganz viele Frauen vor Ort. Schon bei meiner Ankunft reicht mir eine nette Hostess in einem blauen Kleidchen mein Busticket von Nizza nach Cannes. Vor Ort bekomme ich meine Akkreditierung von einer Frau. Im Kinosaal weisen mir freundliche Hostessen, wieder im blauen Kleidchen, den Weg zum Sitz. Mein Kaffee wird von jungen französischen Models gebrüht, die Toiletten putzen auch Frauen. Und selbst im Kino auf der Leinwand gibt es sie überall. Wenn ich mir die 19 Filme im Wettbewerb ansehe, dann sind sie doch überall vertreten. In Loveless als herzlose Mutter. In L’Amant Double als Psychosomatikerin. In Jupiter’s Moon als Opportunistin und Verräterin. In A Gentle Creature und The Killing of a Sacred Deer als passive Ehefrau …

Vor einer Weile schrieb ich einen Artikel über eine „Top 250 der besten Regisseure“-Liste, bei der nur vier Frauen vertreten waren. Ein Kommentar unter dem Text antwortete auf meine Enttäuschung, dass es doch jetzt aber viel besser ist. Seid dankbar. Ihr seid doch vertreten. Mit vier Frauen. Es ist immer wieder erfrischend, wenn eine Majorität Minderheiten erklären, wann sie zufrieden zu sein haben. Historisch gesehen hat das auch immer total gut funktioniert. Und wieso sind wir überhaupt eine Minderheit, wenn wir knapp 50% der Welt ausmachen?

Im Wettbewerb von Cannes waren dieses Jahr drei Regisseurinnen vertreten: Sofia Coppola, Lynne Ramsay und Naomi Kawase. Es hätten mehr sein können. Man hätte den Platz für Rodin, einem Biopic, das den Künstler als meckernden Weiberheld feiert, gern an Agnès Vardas Faces Places geben können. Oder an Claire Denis’ Un beau soleil intérieur. Aber hey, auch ohne sie, drei Frauen im Wettbewerb, das ist doch was! Besser als die Quote für z.B. ethnische Minderheiten! (Auch gern gesehen: das Ausspielen verschiedener Minderheiten gegeneinander.) Und jetzt ist mal gut mit dem Gemecker über Repräsentation. Wir sind doch vertreten! So wie im Cannes-Festivaltrailer. Er besteht aus 22 roten Treppen, die unter Wasser beginnen und dann in den Himmel ragen bis ihre letzte in das Logo der Festspiele, der Goldenen Palme, mündet. Dieses Jahr war ein Jubiläumsjahr und deshalb standen auf jeder Treppe wichtige FilmemacherInnen, die das Festival in den vergangenen 70 Jahren geprägt haben. Jeden Tag gab es neue Namen. Das macht 22 Stufen und zehn verschiedene Versionen. 220 Namen also. Acht davon waren Frauen. Seid dankbar! Ihr seid doch vertreten!

Ich bin dankbar. Nicht dafür, dass man mir und anderen Frauen gnädig ein bisschen Platz einräumt. Dankbar bin ich für die, die nicht aufhören, das Thema anzubringen, die sich nicht abspeisen lassen, die keine Lust auf Quoten oder Quötchen haben. Ich bin dankbar für Jessica Chastain, die in einer Jury-Pressekonferenz die Repräsentation von Frauen in den Wettbewerbsfilmen kritisiert und dabei sichtlich wütend ist. Ich bin dankbar für Lynne Ramsays You Were Never Really Here, in dem sie das Heldengenre komplett auseinandernimmt, es neu zusammensetzt, von seinen eigenartig überhöhten Maskulinitätsideen befreit und einen Mann zeigt, der sich kaum selbst zu retten weiß. Und ein Mädchen, das nicht auf den brutalen Prinzen in schwarz wartet, sondern das Messer selbst in die Hand nimmt. Und am Ende retten sich die beiden Verlorenen gemeinsam selbst. Im Kino sitzend hatte ich beim Abspann das Gefühl, so einige Männer um mich herum waren erleichtert über dieses Ende. Das Problem mit der Unterdrückung der Frauen ist ja auch ein Problem für Männer. Was wir nicht selbst leisten dürfen, müssen sie ja übernehmen. Auch keine schöne Situation. Bei Lynne Ramsay waren wir für einen kurzen Moment gleichberechtigt. In Schmerz und Trauer, aber auch in Macht und Eigenverantwortung.


(Ausschnitt aus You Were Never Really Here)

Ich bin auch dankbar für Sofia Coppolas Die Verführten, in denen traditionell weiblich konnotierte Tätigkeiten wie nähen, pflegen und kochen als Mittel zu Ermächtigung gegenüber eines Eindringlings genutzt werden. Denn das Haus, in das der verwundete Soldat eintritt und in dem er sich schnell benimmt, als wäre es sein eigenes, ist einer dieser wenigen, aber wichtigen „safe spaces“, in denen Frauen unter sich sein können und der permanenten Regulation durch Männer entfliehen können. Dass solche Orte oftmals als Aggression gewertet werden, gerade weil wir hier den Mechanismen Einhalt gewähren, zeigt sich nicht nur an der aggressiven Reaktion des Eindringlings, als er nicht bekommt, was er erwartet. Es zeigt sich jetzt gerade in den USA. Dort werden Sondervorstellungen für Wonder Woman angeboten, die nur für Frauen sind. Ein „safe space“ im Kino, wo Frauen endlich die lang erwartete (und hoffentlich gute) Repräsentation im SuperheldInnen-Format zu sehen bekommen, auf die wir lange warten mussten. „Diskriminierung!“ schreien nun viele Männer, die nicht erwartet haben, dass sie einmal nicht eingeladen sind – und das ausgerechnet bei einem Film, in dem es um eine Frau geht. Ich finde die Idee hervorragend, gäbe es das in meiner Stadt, ich würde gehen. Einfach, weil ich es mir so ersparen könnte, die Repräsentation meines Geschlechts mit Menschen teilen zu müssen, die diese sofort sexualisieren oder madig reden werden. Ich will auch einmal im Kino sitzen und mich feiern. So wie Männer es – vor allem im Superhelden-Genre – schon seit Jahrzehnten mehrmals im Jahr tun können. Beth Elderkin bringt hier mit einem Satz noch mehr Perspektive: „Ein Mädchen, das nach 2005 geboren wurde, hat noch nie eine Frau in einer Comicbuch-Verfilmung als Hauptfigur gesehen, dafür aber mindestens 30 Männer“. Seit 1920 gab es ungefähr 130 Superhelden-Filme. Von denen, die ins Kino kamen, hatten acht davon weibliche Heldinnen. Ich hoffe Wonder Woman wird gut. Und macht einen riesigen Haufen Kohle. Dass das nichts wird, unken viele jetzt schon. Frauen als Hauptfiguren, das zieht einfach nicht. So wie Frauen im Fußball. Die Frauen des VfL Wolfsburg gewannen vor ein paar Tagen zum dritten Mal den DFB-Pokal und hatten zwei Wochen zuvor die Meisterschaft geholt. Feiern durften sie aber nicht. Die Männer standen nämlich kurz vor dem Abstieg und mussten in die Relegation. Da waren Freude, Jubel und Party nicht in Ordnung. Die Männer brauchten ihre Konzentration, ihren „safe space“.


(Bild aus Wonder Woman; Copyright: Warner Bros. Entertainment)

Anna Tatarska, Filmjournalistin und junge Mutter, hätte den auch gebrauchen können. Sie nahm ihr Baby mit nach Cannes, die Mutter hat es betreut, während sie arbeitet. In ihren Pausen, so war die Idee, kann sie ihren kleinen Sohn dann im Palais in Cannes in einer ruhigen Ecke stillen. Aber das Baby ist ein Sicherheitsrisiko. Es hatte keine eigene Akkreditierung. Und wieso bringt man überhaupt ein Kind mit nach Cannes? Das war die Antwort des Festivals auf ihre Beschwerde, nachdem sie von der Security abgewiesen wurde. Anderen Frauen mit Kleinkindern ging es genauso. Tatarska saß am Ende in einem kleinen Park und fütterte ihren Sohn dort. Sie hatte Glück, das Wetter dieses Jahr war durchgehend gut.

Im Wettbewerb, der im Palais lief, während sie im Park saß, waren es dann Ramsay und Coppola, deren Werke von der Jury mit Preisen bedacht wurden. Ramsay teilte sich mit Yorghos Lanthimos den Preis für das beste Drehbuch. Ihr Hauptdarsteller Joaquin Phoenix wurde zum besten Darsteller gekürt. Und Coppola schrieb Geschichte. Sie bekam den Preis für die beste Regie. Als erste Frau nach 56 Jahren und als zweite Frau überhaupt. Jane Campion, immer noch die einzige Frau, der je die Goldene Palme zuteilwurde, war hocherfreut. Die Jury teilte danach in der Pressekonferenz mit, dass man aber nicht denke solle, der Preis ging an Coppola, weil sie eine Frau ist. Nein, er ging an sie, weil der Film doch durchaus gut war. Also, was wollen wir eigentlich? Wir sind doch vertreten.

Auf dem Weg aus dem Pressezentrum treffe ich die Frau, die seit Jahren den Schreibsaal betreut. Sie sagt mir auf Wiedersehen und ergänzt ein „Hoffentlich bis nächstes Jahr?“. Ihr Blick lässt erahnen, dass sie sich nicht sicher ist, ob sie ihren Job dann noch hat. Oder ich meinen. Ich gehe die Treppe herunter aus dem Palais heraus und vor mir stoppen zwei Kollegen. Sie klopfen sich fest auf die Schulter und sagen: „Dann bis nächstes Jahr! Und hoffentlich gibt’s dann mal ordentliche Filme!“

„Ja“, sagt der andere, „und hoffentlich ist dann dieses Frauenthema mal vorbei. Es gibt wichtigeres zu tun“.

(Beatrice Behn)

Beatrice Behn ist Filmwissenschaftlerin und Filmkritikerin. Sie ist Chefredakteurin von kino-zeit, schreibt noch für eine Reihe anderer Publikationen, gibt Seminare an der FU Berlin und produziert gerade ihren ersten Film.

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