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Kolumnen

Schluss mit dem Spießertum!

Ein Beitrag von Andreas Köhnemann

Was ist eigentlich mit den Held_innen im Mainstream-Kino los? Sie werden uns gern als Outlaws verkauft, als total unkonventionell und unangepasst, kühn und cool, rebellisch und renitent. Sieht man sich ihre Lebenskonzepte allerdings einmal genauer an, zeigt sich – wie ich finde – rasch, wie schnarchlangweilig und entsetzlich bieder diese sind.

Meinungen
Furious 7
Romantik im Sinne von Hedwig Courths-Mahler: Die "Fast & Furious"-Familie

Nehmen wir zum Beispiel die Crew beziehungsweise „Familie“ aus der achtteiligen Fast-&-Furious-Reihe. In den ersten Filmen geht es um illegale Straßenrennen; später werden die Abenteuer von Dominic „Dom“ Toretto (Vin Diesel), Brian O’Conner (Paul Walker), Leticia „Letty“ Ortiz (Michelle Rodriguez), Mia Toretto (Jordana Brewster) und den übrigen Mitgliedern immer größer und spektakulärer – im aktuellsten Beitrag Fast & Furious 8 sind gar Massenvernichtungswaffen im Spiel, die eine extrem ruchlose Schurkin an sich zu reißen trachtet. Stets wird die Truppe um Anführer Dom als eine außerhalb des Gesetzes stehende Vereinigung von Individualist_innen charakterisiert, die einander gefunden haben und nun gemeinsam ihr eigenes Ding durchziehen, no matter what.

Das mag zunächst durchaus nach interessanten Figuren mit Ecken und Kanten klingen. Würde man Dom und Co. jedoch einmal die schnittigen Fahrzeuge sowie die Knarren entwenden, unterschieden sie sich (abgesehen von den bemüht markigen Sprüchen) kaum noch von den Protagonist_innen schauderhaft kitschiger Nicholas-Sparks-Adaptionen oder erzkonservativer romcoms: Sowohl Dom und Letty als auch Brian und Mia sind als Liebespaar in puncto Heteronormativität und Spießigkeit schwerlich zu überbieten. Während sich Brian und Mia (bedingt durch den tragischen Tod des Darstellers Paul Walker) am Ende von Fast & Furious 7 aus einem Dasein in der kollektiven Illegalität verabschieden, um fortan mit ihrem kleinen Sohn sowie mit dem erwarteten Kind Nr. 2 dekorativ in blütenweißer Bekleidung am Strand herumzutollen, erreicht die visuelle Anmutung einer äußerst unkreativen Softdrink-Reklame in den finalen Bildern von Fast & Furious 8 ihren Höhepunkt, wenn die Crew auf einer luxuriösen Dachterrasse diniert und Doms Baby-Sohn im Kreise der Familie willkommen heißt.

Das also soll allen Ernstes ein Outlaw-Leben sein? Was hätten wohl die Drifter_innen aus dem New-Hollywood-Roadmovie Asphaltrennen (1971) dazu gesagt? Dessen Regisseur Monte Hellman sprach einmal von Romantik „im Sinne von Albert Camus“ und einer „Sehnsucht nach dem, was nicht sein kann“. Das Personal aus der Fast-&-Furious-Reihe folgt hingegen eher einer Romantik im Sinne von Hedwig Courths-Mahler und hat eine Sehnsucht nach dem, was uns Kino, TV, Werbung et cetera seit jeher als erstrebenswert zu präsentieren versuchen.

Fast & Furious 7
Bild aus Fast & Furious 7; Copyright: Universal Pictures

 

Auch in (US-)romcoms, die sich bewusst weniger traditionell geben – etwa jenen, die von Judd Apatow inszeniert und/oder produziert wurden (zum Beispiel Immer Ärger mit 40 oder Dating Queen) –, oder in betont chaotisch-unorthodoxen Familienkomödien (etwa The Big Wedding oder Alle Jahre wieder – Weihnachten mit den Coopers) erweisen sich die handelnden Personen letztlich als tendenziell konservative Geister, die ein Happily-ever-after-Dasein im hergebrachten Stil suchen (und finden). Sogar eine Gross-out-Comedy wie Baywatch, der nichts heilig zu sein scheint, folgt im Kern unbeirrt einer klassischen Topf-sucht-Deckel-Dramaturgie, garniert mit zahllosen unlustigen Geschmacklosigkeiten.

Noch frustrierender ist diese einfallsarme Biederkeit in Arbeiten mit adoleszenten Hauptfiguren – da Geschichten über Jugend(liche) doch eigentlich vor Wildheit und Aufruhr geradezu überschäumen müssten. Die Protagonist_innen neuerer Teenager-Horror-Beiträge strahlen indes vielmehr eine unfassbare Ödnis aus. Im Dark-Fantasy-Film The Bye Bye Man von Stacy Title stehen drei junge Leute im Zentrum, die in ein heruntergekommenes Waldhaus in Uni-Nähe ziehen, in welchem alsbald unheimliche Dinge vor sich gehen. Würden Elliot (Douglas Smith), Sasha (Cressida Bonas) und John (Lucien Laviscount) nicht von einer finsteren Gestalt – dem titelgebenden Bye Bye Man – bedroht werden, gäbe es wirklich überhaupt keinen Grund, von diesem blassen Teenager-Trio zu erzählen. Elliot trägt bevorzugt punkige Band-T-Shirts, scheint die aufrührerischen Texte dieser Bands allerdings so gar nicht verinnerlicht zu haben. Seine Beziehung zur trägen Sasha hat weniger Schwung als die zwischen dem bravsten Paar aus Classical-Hollywood-Zeiten; innerhalb kürzester Zeit haben die drei Studierenden das bezogene Grusel-Haus in eine spießige, Instagram-würdige Landhaus-Chic-Idylle verwandelt – und mehr als ein spannungsfreier Dreieckskonflikt fällt dem Drehbuch von Jonathan Penner leider nicht ein, um den Figuren so etwas wie ein Innenleben zu verleihen.

Im Teenie-Schauerstück Wish Upon nutzt die Heldin Clare (Joey King) indes eine dämonische Wunschbox, um sich den schnuckeligsten Typen zu angeln, zum beliebtesten Mädchen ihrer Schule zu werden und dafür zu sorgen, dass ihr Dad weniger peinlich ist. Soll das tatsächlich die Agenda der sogenannten Digital Natives sein? Clares Dad wird übrigens von Ryan Phillippe verkörpert, dessen Rollenbiografie uns mit Werken wie Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast (1997) oder Eiskalte Engel (1999) daran erinnert, dass juvenile Abgründe und Amoralität auch schon mal wesentlich aufregender auf die Leinwände großer Multiplexe gebannt wurden.

Bye Bye Man
Bild aus The Bye Bye Man; Copyright: Paramount Pictures Germany

 

Der süße Vogel Jugend singt im heutigen Adoleszenzkino in erster Linie von Anpassung – oder trällert Werbejingles: Wenn zum Beispiel das Figurenpaar aus der Young-Adult-Romanadaption Du neben mir den strengen Eltern entflieht, begibt es sich in einen pompösen Hawaii-Urlaub, der in hochglänzenden Werbekatalog-Bildern eingefangen wird. Folgen junge, begabte Leute in Filmen wie der Step-Up-Reihe ihren Träumen, geht es nicht – wie einst in Hits wie Flashdance (1983) oder Footloose (1984) – um Widerstand gegen bestehende Regeln, sondern darum, möglichst schnellen, sichtbaren Erfolg zu haben: etwa eine Dance- oder YouTube-Competition oder einen Drei-Jahres-Vertrag für eine Las-Vegas-Show durch perfekt funktionierende Choreografien zu gewinnen. Das Jungvolk im aktuellen filmischen Mainstream weiß allzu genau, was es tut – es fragt nicht salopp „Whadda you got?“, wenn man es nach seinen Beweggründen fragt, wie Marlon Brando dies als Motorrad-Gang-Mitglied Johnny in Der Wilde (1953) in völliger Ahnungslosigkeit hervorbrachte. Das mag in Teilen gewiss löblich sein – in jedem Falle ist es aber sterbenslangweilig.

Step Up: Miami Heat
Bild aus Step Up: Miami Heat; Copyright: Constantin Film

 

Subversive, unbequeme Figuren, die in Räumen abseits der Norm zu Hause sind, würde ich gern auch mitten im Mainstream-Kino sehen. Nonkonforme Verhaltens- und Lebensweisen, Gefühle und Ziele (die nicht nur Behauptungen sind, hinter denen dann doch das Spießertum lauert) sollten durchaus auch mal in Kombination mit dem extragroßen Popcorn-Menü serviert werden – denn das wäre ein überaus reizvolles Mahl.

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