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Kolumnen

Schauspiel im Zeitalter der Performance Capture

Ein Beitrag von Alexander Matzkeit

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Planet der Affen - Survival

Die Debatte wird mit Sicherheit auch dieses Jahr wieder geführt. Sollte Andy Serkis nicht endlich für einen Oscar als bester Schauspieler nominiert werden? Nicht für seinen Part als Ulysses Klaue im Marvel-Universum natürlich (der dazugehörige Film Black Panther kommt sowieso erst 2018 ins Kino), sondern für eine Rolle, in der sein Gesicht nicht zu sehen ist: die des Schimpansen Caesar in Planet der Affen — Survival. Serkis ist, wie schon in den beiden vorhergehenden Planet-der-Affen-Filmen und wie in King Kong und Der Herr der Ringe, die treibende Kraft hinter Caesars Performance, aber Serkis alleine könnte die Rolle nicht spielen. Er braucht das Team der Effektfirma Weta Digital, die Serkis in Caesar verwandeln.

Seit sein Auftritt in Der Herr der Ringe — Die zwei Türme Andy Serkis zum Star gemacht hat und seine Interpretation von Gollum zur popkulturellen Ikone wurde, versucht die Filmwelt dem Phänomen performance-capture-acting Herr zu werden. Wie soll man Schauspieler*innen behandeln, die in einem grauen Gymnastikanzug ihre Bewegungsmuster und Mimik in einen Computer übertragen und aus deren Daten anschließend von einer Horde digitaler Zauberer*innen Wesen geschaffen werden, deren Physis sich von der eines Menschen signifikant unterscheidet? Wie viel Credit sollten sie für ihre Leistung bekommen?

In der Riege der Schauspieler*innen, die nicht als solche gelten, sind sie damit keinesfalls alleine. Beispiel Animationsfilm: Voice Actors (die im Deutschen nicht „Stimmenschauspieler*innen“ sondern meist „Synchronsprecher*innen“ heißen, was schon viel über ihre Klassifizierung aussagt — als gehe es einzig darum, Lippenbewegungen abzupassen) sind oft ausgebildete Schauspieler*innen, die neben ihrer Arbeit als Sprecher*innen auch mit dem ganzen Körper auf der Bühne oder vor der Kamera stehen. Dennoch werden Parts, in denen sie nur ihre Stimme einsetzen, kaum als „Schauspiel“ gehandelt. Animationsregisseur*innen betonen wiederum bei jeder Gelegenheit, dass auch Animator*innen im Grunde Schauspieler*innen sind, die zu vorhandenen Tonaufnahmen Bewegungen und Mimik der Figuren ausbilden. Als Referenz dient ihnen dabei, entgegen verbreiteter Marketing-Mythen, deutlich häufiger der eigene Körper und das eigene Gesicht als die der Sprecher*innen — wenn der Charakter überhaupt spricht. Einen Schauspielpreis würden sie trotzdem nicht gewinnen.

(Bild aus Frankensteins Monster; Copyright: Universal Pictures)

Auch in der Frage, ob das am Ende eigentlich Beeindruckende im menschlichen Spiel oder in der Raffinesse der Technik drumherum liegt, sind Serkis und seine Kolleg*innen nicht allein. Schon Schauspieler wie Boris Karloff oder Lon Chaney Jr., die mit ihren ikonischen Performances als Frankensteins Monster, Wolfsmensch oder Mumie unter Bergen von Kostüm und Makeup zu Ruhm gelangten, kämpften Zeit ihres Lebens damit, auch als „richtige“ Schauspieler Fuß zu fassen und wurden immer wieder in ähnlich „unmenschliche“ Rollen gedrängt. Ausgezeichnet werden, zumindest im Genrekino, meist eher Kostüm- und Maskenbildner*innen oder Visual-Effects-Verantwortliche, von David Cronenbergs Die Fliege bis zu Die zwei Türme.

Erschwert wird die Diskussion dadurch, dass sich auch die Verantwortlichen selbst nicht einig sind. Performance bzw. Motion Capture, in der Branche gerne „MoCap“ abgekürzt, hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren stark entwickelt. Waren einst noch in jedem Fall separate Aufnahmen in extra eingerichteten Studios notwendig, um die Datenpunkte der Schauspieler*innen einzusammeln, können menschenähnliche Charaktere inzwischen direkt am Set „gecaptured“ werden und direkt mit ihren menschlichen Co-Stars agieren, wie etwa eine Werbe-Featurette zu Planet der Affen — Survival zeigt. Im Zuge der Promotion des Vorgängerfilms Revolution führten Aussagen von Serkis, die Arbeit der Animatoren sei mittlerweile stärker mit „digitalem Make-up“ zu vergleichen, das nur noch als dünne Farbschicht auf die Performance der Schauspieler*innen aufgetragen werde, verständlicherweise zu einigen verärgerten Reaktionen in der Visual-Effects-Community. Schauspieler*innen könnten keinesfalls als alleinige Urheber*innen der Performance angesehen werden, so der Tenor.

(Bild aus Holy Motors; Copyright: Arsenal Filmverleih)

Diejenigen, die sich in MoCap-Rollen einen Namen gemacht haben, lassen sich zudem kaum über einen Kamm scheren. Serkis war vor seinem Durchbruch mit Peter Jacksons Fantasy-Trilogie vor allem auf der Bühne sowie in kleinen Rollen im britischen Fernsehen unterwegs. Er hat sein Typecasting als Motion-Capture-Ikone längst von einem Nachteil in einen Vorteil verwandelt und in London eine Produktionsfirma eröffnet, die anderen Schauspieler*innen beim Erlernen des neuen Spielstils hilft und selbst Filme produziert (Breathe unter der Regie von Serkis eröffnet im Herbst das London Film Festival). Toby Kebbell, der Serkis als dessen Widersacher Koba in Planet der Affen — Revolution die Schau stahl, kombiniert MoCap-Rollen mit Nicht-MoCap-Rollen, manchmal sogar im gleichen Film, wie in Kong: Skull Island. Diesen Weg hat auch Serkis eingeschlagen — manchmal bekommt man sogar den Eindruck, dass er sein MoCap-Können nur zur Verfügung stellt, wenn er auch in einer menschlichen Nebenrolle zu sehen ist (etwa in Avengers: Age of Ultron). Der Unterschied ist, dass Kebbell wie auch Zoe Saldana, die in Avatar als Neytiri auf virtuellen Bäumen herumkraxelte, bereits vor seinem prägenden MoCap-Auftritt sein schauspielerisches Profil geschärft und für einen Film wie Control Preise abgeräumt hatte. Niemand zweifelt mehr daran, dass er auch ohne grauen Gymnastikanzug etwas taugt und entsprechend wird er auch besetzt — ähnlich wie Karloff, der im Gegensatz zu Chaney in seiner späteren Karriere ebenfalls weiter als Charakterdarsteller Erfolge feierte.

Terry Notary hingegen, der mit Serkis und Kebbell in mehreren Filmen zusammengearbeitet hat, ist im Ursprung nicht Schauspieler, sondern Artist des Cirque du Soleil, und arbeitete lange als Bewegungs-Coach, bevor er seine eigenen Bewegungen von Computern aufzeichnen ließ. Notary ist dieses Jahr auch ohne digitales Makeup, sogar an exponierter Stelle, im Goldene-Palme-Gewinner The Square zu sehen, allerdings spielt er darin einen Künstler, der sein Publikum in der Rolle eines Affen malträtiert. Regisseur Ruben Östlund stieß auf Notary, indem er „Mann der Affen imitiert“ googelte und Making-of-Aufnahmen der Planet der Affen-Reihe fand. Somit gleicht Notarys Weg, anders als der von Serkis oder Kebbell, eher dem eines Stuntman. Es ist zu vermuten, dass ihm weniger daran liegt, in seinen MoCap-Performances als „ernsthafter“ Schauspieler gewürdigt zu werden.

Filme sind ein kollaboratives Medium und ähnlich wie bei Regisseur*innen seit Jahrzehnten der Streit darum tobt, ob sie als Auteurs alleine für ihre Filme verantwortlich sind oder „nur“ als Teil eines Teams die Fäden zusammenführen, ist es vielleicht auch bei Schauspieler*innen an der Zeit, die Grenzen aufzuweichen. Matt Zoller Seitz und Steven Santos haben in einem Video-Essay bereits 2012 vorgeschlagen, künftig Preise für „herausragende kollaborative Darstellungen“ zu vergeben. Diese könnten nicht nur an MoCap-Rollen gehen, sondern auch an Charaktere, die mit praktischen Effekten realisiert wurden, oder an immer häufiger auftretende menschliche Parts, die stark auf digitale Nachbearbeitung angewiesen sind, etwa die Figur Benjamin Button im gleichnamigen Film, hauptsächlich verkörpert von Brad Pitt. Eine kluge Idee, die nur vermutlich im Hollywood der Great Man Theory niemals Fuß fassen wird. Dort wird man sich lieber weiter darum streiten, wer denn nun wirklich der wichtigste Teil einer Performance ist. Bis Andy Serkis 2040 als 76-Jähriger irgendwann einen Gnaden-Oscar für sein Lebenswerk bekommt.

Alexander Matzkeit schreibt über Film, Medien und Zukunft unter anderem für epd film, das Techniktagebuch und sein Blog Real Virtuality.

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