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Kolumnen

(Politische) Verräter unter uns - Über Spione und Whistleblower

Ein Beitrag von Sonja Hartl

Kim Philby und Edward Snowden sind Verräter. Sie haben Geheimnisse ihres Arbeitgebers weitergegeben – Philby an den KGB, Snowden an die Öffentlichkeit. Ob sie den Verrat wegen eines Gesinnungswandels oder ihrer moralischen Überzeugung begangen haben, ist den Verratenen egal.

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Sie fühlen sich betrogen und im Stich gelassen. Doch Verrat ist nur aus Sicht des Verratenen eine eindeutige Tat, ansonsten ist er ebenso ambivalent zu beurteilen wie der Verräter selbst.

Der Verrat schafft auch eine Verbindung zwischen dem berühmtesten Doppelagenten der britischen Spionagegeschichte, der John Le Carré, Graham Greene und viele Autoren mehr zu ihren Büchern samt Verfilmungen inspirierte, und dem bekanntesten Whistleblower der Welt, dessen Geschichte bislang lediglich in einem Dokumentarfilm geschildert wurde. Dabei funktionieren die Erzählungen über Spionage und Whistleblower nach vergleichbaren Mustern – nur aus verschiedenen Perspektiven.

Der Spion, der Verräter

Ohne Verräter gäbe es keine Spionagefilme. Er ist Gegenspieler und Handlungsauslöser, die Suche nach ihm treibt den Helden voran – oder er ist der Held, der hinter feindlichen Linien zum Wohle seines Vaterlandes agiert. Abgesehen von großen Franchises wie bspw. der James Bond-Reihe zeigen Spionagefilme schon früh die Ambivalenz des Verrats. In Martin Ritts Der Spion, der aus der Kälte kam (1965) ist Alec Leamas (Richard Burton) anfangs ein Held, ein Spion, der für sein Land in Ost-Berlin operiert. Dann wird er scheinbar zum Verräter und schließlich selbst zum Verratenen. Denn die Welt der Spionage ist schmutzig, in ihr ist Verrat ein notwendiges Mittel. Deshalb inszeniert Tomas Alfredson in Dame, König, As, Spion (2011) den bürokratischen Alltag des Verrats in eleganten Bildern, immer wieder zirkelt die Kamera in dem Großraumbüro des MI6, untermalt vom kühlen, mitunter jazzigen Soundtrack, der eine verrauchte, melancholische, aber auch bedrohliche Atmosphäre entstehen lässt. Hier spürt George Smiley (George Oldman) einen Verräter im inneren Zirkel des MI6 auf. Wie bereits in Der Spion, der aus der Kälte kam ist Smiley kein eleganter Held, kein Abenteurer, sondern ein Bürokrat, ein Jäger unter Spionen und Agenten, die ebenfalls Jäger sind. Sie belauern sich gegenseitig und versuchen, den Schachzug des anderen rechtzeitig vorauszuahnen. Doch im Vergleich zur Entstehungszeit von Ritts Film hat sich etwas geändert: Bis in die 1970er Jahre ließen sich selbst in institutionskritischen Spionagefilmen die Fehlfunktionen auf Verräter in den eigenen Reihen zurückführen, die Notwendigkeit von Geheimdiensten blieb indes unbestritten. Im Jahr 2011 ist das Misstrauen gegenüber den Geheimdiensten weitaus größer als es in der Handlungszeit von Dame, König, As, Spion war. Deshalb sitzt Smiley in der letzten Einstellung des Films allein an dem runden Tisch im Zentrum des Circus. Er steht nun an der Spitze, die Macht liegt in seinen Händen. Ein leicht sardonisches Lächeln deutet sich an, denn sowohl er als auch das Publikum wissen, dass dieser unscheinbare Superspion nicht sein ganzes Können und die schmutzigen Praktiken des Geheimdienstes gezeigt hat.

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(Trailer zu Dame, König, As, Spion)

 

Von Der Spion, der aus der Kälte kam bis zu Dame, König, As, Spion agieren Verräter innerhalb einer durch Geheimdienste begrenzten Welt, die von der Öffentlichkeit kaum einzusehen ist und in der die Grenzen zwischen Gut und Böse zur Zeit des Zweiten Weltkrieges und Kalten Krieges leichter zu ziehen sind, dann aber zusehends verschwimmen. Dadurch nehmen die Zweifel am Sinn der Spionage in der Realität und im Film zu. Dabei ist schon in frühen Filmen der Verräter nicht schlichtweg böse, sondern wird oft als verlorener Anti-Helden inszeniert, für den es keinen Ausweg gibt (z.B. Ministerium der Angst).

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(Trailer zu Ministerium der Angst)

 

Der Verräter, der Held

Mit den Zweifeln an Geheimdiensten und an einfachen Gut-und-Böse-Schemata verändert sich auch die Wahrnehmung des Verrats, der nicht mehr als absolut böse Tat gesehen wird. Vielmehr können es Verräter mittlerweile zu erheblichem Ansehen bringen. Dabei ist entscheidend, dass sie ihre Informationen nicht an eine andere Institution übermitteln, sondern an die Öffentlichkeit. Durch Verräter – in diesem Zusammenhang zunächst Informanten, später dann Whistleblower genannt – wurden die Wahlkampfpraktiken eines US-Präsidenten (Die Unbestechlichen) und die Wahrheit über den Vietnamkrieg (The most dangerous man in America: Daniel Ellsberg and the Pentagon Papers, 2009) aufgedeckt. Im Gegensatz zu Spionen kanalisieren sie nicht mehr den Hass einer Gesellschaft auf ein anderes politisches System, sondern bündeln das Misstrauen gegenüber der eigenen Regierung.

Dadurch wird der „Verräter“ im Film von einer ästhetisch zwar reizvollen, aber negativen Figur zum Helden. Besonders eindeutig ist diese Zuordnung, wenn die Whistleblower gegen eine übermächtige, ohnehin negativ konnotierte Industrie vorgehen: In Silkwood (1983) kämpft Karen Silkwood (Meryl Streep) gegen die gefährlichen Arbeitsbedingungen in einem Kernkraftwerk, in The Insider (1999) bringt der von Russell Crowe gespielte Dr. Jeffrey Wigand mit Hilfe des 60 Minutes-Produzenten Lowell Bergman (Al Pacino) an die Öffentlichkeit, dass die Tabakindustrie nicht nur über das Suchtpotential von Zigaretten gelogen hat, sondern dem Tabak Zusatzstoffe beifügt, die Abhängigkeit erzeugen.

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(Trailer zu The Insider)

 

Darüber hinaus funktioniert die Zuschreibung der Heldenrolle auch, wenn eine Figur für Gerechtigkeit kämpft. In dem unterschätzten Whistleblower – In gefährlicher Mission ist die kanadische Polizistin Kathryn Bolkovac (Rachel Weisz) in Bosnien Mitglied der International Police Task Force, einer internationalen, unbewaffneten Polizeieinheit, die die örtlichen Polizeikräfte beobachtet und beim Wiederaufbau einer Polizei in Bosnien helfen soll. Dann entdeckt sie, dass Mitglieder ihrer Einheit und anderer offizieller Stellen Frauenhandel und Zwangsprostitution betreiben und decken. Als sie dagegen vorgehen will, wird sie von vorgesetzten Stellen als unliebsame ‚Querulantin‘ entlassen. Jedoch kann sie entscheidendes Beweismaterial mitnehmen und den Skandal an die Öffentlichkeit bringen.

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(Trailer zu Whistleblower – In gefährlicher Mission)

 

Perspektivwechsel

Es sind wahre Geschichten, die diese Filme erzählen. Der Verrat steht nicht am Beginn des Films, er löst nicht die Handlung aus, sondern das Publikum wird Zeuge, wie er begangen wird und welche Schwierigkeiten mit ihm verbunden sind. Dadurch steht der Verräter im Mittelpunkt – und das Publikum wechselt die Perspektive. Es verfolgt nicht die Suche nach einem Verräter aus Sicht des Verratenen, sondern begeht den Verrat gemeinsam mit dem Verräter. Dabei findet der Verrat bei Whistleblowern nur am Anfang im Verborgenen statt, später brauchen sie – im Gegensatz zu Spionen – die Öffentlichkeit, damit ihre Taten Wirkung erzielen. (Und diese Öffentlichkeit wird auch durch die Filme hergestellt, die über sie gedreht werden. So eröffnete Ban Ki-moon nach einem Screening von Whistleblower – In gefährlicher Mission eine Podiumsdiskussion zum Thema sexuelle Ausbeutung und sexueller Missbrauch in Konfliktsituationen.

Zudem ist für die Bewertung des Verrats entscheidend, ob eine gute Absicht die Tat rechtfertigt, welche Folgen sie hat – und aus welcher Perspektive sie im Film gezeigt wird. Denn auch ein Whistleblower ist nicht zwangsläufig eine positive Figur, das zeigt schon Julian Assange (Benedict Cumberbatch) in Inside Wikileaks – Die fünfte Gewalt. Hier überlagert die Ambivalenz der öffentlichen Figur die Rezeption und Inszenierung des Films.

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(Trailer zu Inside Wikileaks – Die fünfte Gewalt)

 

Doch es gibt noch eine letzte Gemeinsamkeit der politischen Verräter – seien sie Spione oder Whistleblower. Jeder schätzt den Verrat, aber niemand den Verräter und somit wartet auf sie gemeinhin eine dunkle Welt, sei es ein Leben im Geheimen, ein Exil in Russland oder sogar der Tod (Silkwood, Der ewige Gärtner).

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