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Kolumnen

Liebeserklärung an "66 Kinos"

Ein Beitrag von Urs Spörri

Ab Herbst 2014 begab sich Regisseur Philipp Hartmann mit seinem Essayfilm Die Zeit vergeht wie ein brüllender Löwe auf Kinotour durch Deutschland. Bei jeder Aufführung war er persönlich vor Ort. In 66 Kinos, quer durch die Republik … Und das hat unseren Autor zu dieser Hommage bewegt.

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66 Kinos von Philipp Hartmann
66 Kinos von Philipp Hartmann

Es begab sich vor nicht allzu langer Zeit, dass die Zeit verging wie ein brüllender Löwe.

Ein Film, ein Mann,

auf Kinoreise.

Einmal durchs Land 

In die schönsten Säle

der Republik,

66 an der Zahl.


Trailer zu 66 Kinos

 

„Verbündete“ hat er gesucht,

Märchenorte hat er gefunden.

Programmkinos, Kommunale

Und auch Multiplexe.

Projektor, Projektor, an der Wand,

Wer ist der schönste im ganzen Land?

 

Festgemauert in der Erden

Läutet die gusseiserne Glocke

In Alpirsbach zum Filmbeginn.

Im Kloster, mit Couch und Ledersesseln

Wo der Abt einst seinen Besuch empfing.

 

Im Wolfsburger Delphin-Palast 

Befindet sich eine Gästewohnung,

Noch im Urzustand.

„In dem Bett, in dem ich schlafen darf, 

lag schon Romy Schneider.

Auf dem Sofa saßen 

Gert Fröbe und Heinz Erhardt.

Im Schrank die Bademäntel 

des früheren Besitzerehepaars -

und im Regal ihre Fotoalben.“

 

Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart verschwimmen

„Deutschland ist schön — wir zeigen es.“

Wie geht es weiter?

Geht es weiter?

Weiter?

 

Es geht auf und ab;

Die Spule läuft, Der Server rattert.

Der Vorhang, der wird neu justiert.

Und staunend harren wir der Dinge.

 

Ein zweites Utopia Kino in Wasserburg:

Woran ist es gescheitert?

Am Geld,

immer am Geld.

Sein Traumkino sollte entstehen.

Er schreitet die Grenzen des Gebäudes ab.

Eines Kinos, imaginär.

Der Busbahnhof blieb.

Weit entfernt in 60 Metern

Bleibt er stehen. Cut.

 

„Unser Projektor ist der Ernemann 12“,

Doch er passt nicht komplett in den Vorführraum.

Unten im Keller steht der Spulenturm,

Hochgezogen wird der Streifen,

Und fällt auf der anderen Seite 

wieder in den Keller.

Ein Loch im Boden, ein Loch in der Wand

Das Bild dazwischen auf die Leinwand gebannt.

Staubfrei wieder eingeräumt.

B-Movie Hamburg.

 

Der Daumenkino-Wanderer

Der aus Daumenkinos Kino macht.

Portraits. Erzählt. Geschichten einer Wanderung:

Romantik? Nostalgie? Menschlichkeit.

 

In der Blauen Königin in Bühl

Kam der Mann

„Wie die Jungfrau zum Kino“.

Gelernter Kfz-Meister. Spezialisiert auf Ami-Schlitten

Gibt er nun das Tante Emma-Kino.

Bis zum Ruin.

 

Gastronomie gleicht Verluste aus.

Doch nicht mehr lange.

Oder gar nicht mehr.

 

„Hallo. Hier ist das Lichtspielkino.

Wir zeigen heute

Um 15 Uhr

Dieses schöne Scheißleben.

Im spanischen Original mit deutschen Untertiteln.

Und um 16 Uhr 30: Höhere Gewalt.“

 

Jeder Monat ein Gesamtkunstwerk.

Früher Repertoire, 

heute „Filmmuseum of the bizarre“.

Das Kassenbuch aus Nordkorea.

Noch kein Einlass!

Hier Parkett.

Die Sackkarre aus Aluminium

Bestückt mit Kopien, schweren Kisten.

 

Was ist Glück?

Wenn der Projektor noch rattert.

Auch wenn schon lange

Kein Filmstreifen mehr durchgelaufen ist.

 

Wer will, dass geraucht wird?
Abstimmung!

In zwei der Kinokneipen explizit gestattet.

 

Dann öffnet sich der Vorhang,

Die kristallenen Kronleuchter im Saal

Erlöschen allmählich.

Und es knistert.

 

Was passiert hier jetzt? Käsefondue! 

Während der Film läuft? Na klar.

Im Foyer! Wie willst du es sonst machen,

wenn du kein Familienleben mehr hast.

 

Im Kino gewesen.

Geweint.

 

Gibt es ihn, den Kinomenschen?

Was zeichnet ihn aus?

Den Homo cinemaensis?

Deutschland bräuchte mehr von Euch.

 

Danke, lieber Philipp.

Danke, ihr lieben Kinomenschen. 

Fürs Kommen. Fürs Erzählen.

Denn Ihr macht glücklich,

Bis ans Ende Eurer Tage.

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