zurück zur Übersicht
Kolumnen

Kunst vs. Künstler – Über die Schwierigkeiten eines Trennungsgebots

Ein Beitrag von Rajko Burchardt

Wer wollte, kam an Mel Gibson zuletzt gut vorbei. Sein letzter großer Kinoerfolg als Schauspieler ist 15 Jahre her, der von ihm inszenierte Apocalypto liegt eine Dekade zurück. Nun scheint sich ein Comeback des wegen frauenfeindlicher, antisemitischer und rassistischer Beleidigungen wiederholt in die Schlagzeilen geratenen Filmemachers anzukündigen.

Meinungen
Mel Gibson in "Blood Father"
Mel Gibson in "Blood Father"

Er ist in Blood Father zu sehen, der Geschichte eines geläuterten, aber noch immer von vergangenen Sünden geplagten Rüpels mit Alkoholproblem. Und bei den Filmfestspielen von Venedig stellte er seine neue Regiearbeit vor, das prominent besetzte Kriegsdrama Hacksaw Ridge.

Von der angelsächsischen Filmkritik wurde es positiv aufgenommen, der US-Kinostart ist pünktlich zur Qualifizierung für die kommende Oscar-Verleihung angesetzt. Sollte Hacksaw Ridge (die Festivalkritik aus Venedig findet sich hier) ins große Award-Rennen gehen, wird man an der persona non grata Mel Gibson nur noch schlecht vorbeikommen. Diskussionen um die Vergabe von Filmpreisen an ungeliebte Persönlichkeiten gibt es in Hollywood alle Jahre wieder — legendär etwa ist die Aufregung um Elia Kazan, der einst Kollegen beim „Komitee für unamerikanische Umtriebe“ anschwärzte. 

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen ein externes Video von YouTube präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen

Bei einem anderen Oscar-Anwärter 2017 werden solche Diskussionen bereits geführt. The Birth of a Nation galt, seit er im Januar auf dem Sundance Filmfestival mehrfach prämiert und für eine Rekordsumme verkauft wurde, als sicherer Kandidat für den wichtigsten US-Filmpreis. Vergangenen August aber entbrannte dann eine Debatte um Regisseur und Hauptdarsteller Nate Parker, der 1999 mit seinem Co-Autor und damaligen Kommilitonen Jean McGianni Celestin eine Studentin vergewaltigt haben soll. Während der Prozess für Parker mit einem Freispruch endete, ging der zunächst verurteilte Celestin in Berufung. Er entkam einer Haftstrafe, weil das mutmaßliche Opfer kein zweites Mal aussagen wollte — 2012 nahm es sich, was die Diskussion zusätzlich befeuert, das Leben. Gabrielle Union, eine der Hauptdarstellerinnen von The Birth of a Nation und selbst Vergewaltigungsopfer, schrieb in der Los Angeles Times, die Anschuldigungen ließen sich nicht einfach vom Tisch fegen. Die Debatte wirkt nun, als müsse sich das Publikum entscheiden, ob ein Kinobesuch moralisch zu rechtfertigen sei. Der Oscar jedenfalls ist in weite Ferne gerückt.

Obwohl es zwischen Diskussionen um diese Personen grundlegende Unterschiede gibt (oder geben sollte), wirft der unbehagliche Umgang mit Filmschaffenden wie Mel Gibson und Nate Parker ähnliche, vor allem aber altbekannte Fragen auf. Muss die Kunst eines in Verruf geratenen Künstlers für sich stehen? Kann man den öffentlichkeitswirksamen Diskurs um ihn ausblenden? Und darf man, was möglicherweise noch wichtiger ist, die Kunst mutmaßlicher oder tatsächlicher Täter finanziell unterstützen, wenn sich dies als Verhöhnung mutmaßlicher oder tatsächlicher Opfer verstehen ließe? Das sind die mal mehr, mal weniger explizit gestellten Fragen in solchen Debatten — und manche beantworten sie mit einer scheinbar einfachen Faustregel: So lange bestimmte problematische Positionen, kriminelle Vergangenheiten oder bekannt gewordene Privateskapaden einer Person keinen Einfluss auf deren künstlerisches Schaffen nehmen, könne man für einen entspannten Umgang mit ihrem Werk plädieren. Es müsse vielleicht sogar gegen ideologie- oder sonstige kritische Einwände und nicht zuletzt gegen den Künstler selbst verteidigt werden.

Über die geläufige Auseinandersetzung mit Leni Riefenstahl schrieb Georg Seeßlen einmal, wir hätten uns „an eine prekäre Doppelstrategie gewöhnt, sie zugleich ästhetisch zu retten und politisch zu verdammen“. Der nationalsozialistische Faschismus, darauf beharrte auch Susan Sontag, sei kein bloßer Kontext, in dem Riefenstahl Filme drehte, sondern er sei den Werken in jedem Bild eingeschrieben — der Versuch, Riefenstahl von ihrem Faschismus zu bereinigen und als große Künstlerin zu adeln, müsse gerade an der Ästhetik ihres faschistischen Blicks und der durch ihn konstruierten Inhalte scheitern. Das in Online-Kommentarspalten zu Artikeln über zwiespältige Künstler eingeforderte Trennungsgebot („es ist mir egal, ob Klaus Kinski privat etwas Unrechtes getan hat, er war ein genialer Schauspieler und fertig“) wird für Regisseure, die im und für das Nazi-Regime arbeiteten, vermutlich nie konsensfähige Gültigkeit erlangen. „Deutsche Verdrängungskunst“ (Seeßlen) und die Einsicht, dass auch ein schlechter Mensch gute Kunst produzieren kann, bedingen sich in diesem Fall — hoffentlich — nicht.

Obwohl es hartnäckige Bemühungen gibt, die Veit Harlans und Karl Ritters der Filmgeschichte zu exkulpieren („handwerklich waren sie gut“), hinkt der Riefenstahl-Vergleich natürlich. Eine Diskussion über missliebige Schauspieler, die homophobe Sprüche klopfen, muss anders geführt werden als über die Verantwortlichen von Propagandamaschinen, an deren Staatskunst Blut klebt. Es ist überhaupt ratsam zu differenzieren, jede Kontroverse erzählt schließlich eine individuelle Geschichte. Dennoch bemühen sich affirmative Antworten auf oben gestellte Fragen ähnlicher Argumentationsmuster („im Zweifel für die Kunst“) und macht die Not des guten Gewissens erfinderisch — sie kann bequemlich jene Beziehung des Autors zu einem Text leugnen, der sonst Kern der Auseinandersetzung mit künstlerischen Werken ist. Die cinephile Praxis also, Filme als Autorenwerke zu identifizieren, in denen bestimmte Begehrlichkeiten und wiederkehrende Themen von Regisseuren zum Ausdruck kommen, soll ausgerechnet dort eingeschränkt werden, wo die Einflussnahme aufs Werk unangenehm sichtbar wird (zum Beispiel bei einer heftigen Vergewaltigungsszene in The Birth of a Nation).

Die scheinbar einfache Faustregel stößt auch bei Schauspielern an ihre Grenzen. Tom Cruise gilt als Aushängebeispiel für den Urteilskonflikt zwischen einer vermeintlichen Privatperson und ihrer öffentlichen Arbeit. Er ist ein Produzent, dem man auf Schauspielebene Auteur-Qualitäten und Erkennungszeichen zuschreiben kann. Das geforderte bzw. bereitwillig eingehaltene Trennungsgebot wird durch die Verschränkungen seiner künstlerischen Arbeit mit Auftritten als Lobbyist der totalitären Organisation Scientology vereitelt. Man kann den Kino- nicht vom Sektenstar abkoppeln, wenn Tom Cruise auf Drehsets und Filmpremieren Scientology-Infostände errichten lässt. Wenn die Wahl seiner fiktiven Rollen, unter denen sich nie ein homosexueller Mann, ein Psychiater oder Priester finden wird, offenkundig an der nicht-fiktiven Ideologie der von ihm repräsentierten Organisation geschult ist. Und wenn er, der „operierende Thetan der Stufe VII“, in einem Scientology-Video über die „eingetrichterte Ethik“ unserer Welt und ihre sogenannten Unterdrücker (Scientology-Gegner) fantasiert, während dazu Musik aus Mission: Impossible läuft.

Tom Cruise haben solche Doppelstrategien, die in der Tat leugnen muss, wer an seinen Filmen entspannt Gefallen finden will, auch Nachteile gebracht. Paramount-Urgestein Sumner Redstone beendete 2006 die Zusammenarbeit mit dem Schauspieler wegen dessen aggressiver Scientology-Werbemethoden. Bei Arnold Schwarzenegger, der ein Schauspiel-Auteur schon deshalb ist, weil jeder Film durch seine Mitwirkung zu einem „Schwarzenegger“ wird, lässt sich nicht genau sagen, ob ihm die Verschränkungen geschadet haben. Seinen Wahlkampf um den kalifornischen Gouverneurposten bestritt er zwar erfolgreich als „Governator“, ein Auftritt des Politikers Schwarzenegger sollte damals immer auch einer des beliebten Hollywoodstars und Terminator-Darstellers sein. Doch die Rückkehr ins Filmgeschäft erwies sich als kommerzielles Debakel. Vielleicht lässt sich das Trennungsgebot nicht länger aufrechterhalten, wenn ein Mann als filmische und plötzlich auch realpolitische Verkörperung der Reagan-Ära für verschärfte Einwanderungspolitik und abgelehnte Gnadengesuche steht — und er auf der Leinwand anschließend wieder Menschen mit lockeren Sprüchen hinrichtet.

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen ein externes Video von YouTube präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen

Unweigerlich findet dadurch eine Rückbindung statt, die ein Problem des Gegenstands und nicht nur seines Rezipienten ist. Instrumentalisiert ein Künstler sein Werk für dubiose politische oder religiöse Zwecke, ändert das am Werk selbst erst einmal nichts. Es stellt sich aber die Frage, ob diese Zwecke im Werk angelegt sind, ob also die Kunst nicht funktionalisiert wird, sondern schon Funktion ist. Damit bewegt man sich in einem zwiespältigen Bereich der Ideologiekritik, weil einerseits Kunst auf „sublime“ Botschaften heruntergebrochen und andererseits das Publikum für doof erklärt wird (den Masterplan hat demnach nur der spürnasige Ideologiekritiker). Stattdessen sollte man sich vielleicht der zwiespältigen Verzahnungen bewusst werden, ohne sie zu hysterisieren. Tom Cruise und Arnold Schwarzenegger fahren ihre Geschütze in aller Öffentlichkeit auf. Für sie gilt, anders als bei umstrittenen Persönlichkeiten, denen schwere Anschuldigungen gemacht werden, keine Unschuldsvermutung. Ihr peinliches Tamtam lässt sich konkret nachvollziehen. Und kann eigentlich zu gar nichts anderem führen als den kritischen Diskurs.

Wie also umgehen mit dem Blick auf ein Werk unangenehmer Spiegelungen? Ich würde sagen: Sie sind entscheidender Teil einer Vereinbarung, die nie behauptet hat, simpel zu sein. Wer sich von Kunst eine Bestätigung der eigenen moralischen Werte verspricht, braucht sich mit Kunst nicht auseinanderzusetzen — die wahre Herausforderung liegt im Unbehagen widersprüchlicher Gefühle. Kunst und Künstler auseinander zu dividieren, wie es das Trennungsgebot in meist sehr bequemlichen Fällen vorsieht, ist eine Verweigerung dieser Herausforderung, die man legitim finden könnte, wenn sie nicht so frei von Konsequenz wäre. In Internet-Foren fordert der gleiche Menschenschlag, der Roman Polanski die Vergewaltigung eines minderjährigen Mädchens nachsieht, weil sie nichts an seinen Fähigkeiten als Filmemacher ändere, ein Berufsverbot des wegen Missbrauchs an einem Jungen verurteilten Regisseur Victor Salva. So lange Doppelstrategien und -standards den Umgang mit problematischen Persönlichkeiten bestimmen, hilft nur die Flucht in schlichte Erkenntnisse: Eine Welt voller Künstler, die sich nie etwas zu Schulden haben kommen lassen, wäre eine Welt ganz ohne Kunst. 

Meinungen