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Kolumnen

Jung, Jüdisch, Unsichtbar

Ein Beitrag von Olga Galicka

Ist die Präsenz antisemitischer Aussagen Kollegahs und Farid Bangs beim Echo symptomatisch für die deutsche Medienlandschaft? Und wo finden sich eigentlich Darstellungen jüdischen Lebens in Deutschland? Eine Kolumne.

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Alles auf Zucker - Bild
Alles auf Zucker - Bild

Am 12. April 2018 stand der deutsche Antisemitismus wieder im Rampenlicht. Diesmal sogar vom Privatsender Vox in der Primetime live übertragen. Die Rapper Kollegah und Farid Bang wurden nämlich an diesem Donnerstagabend für ihr Album Jung, Brutal, Gutaussehend 3 mit einem Echo ausgezeichnet. Und das obwohl bereits ihre Nominierung auf öffentlichen Protest stieß.

Textstellen der Rapper wurden als antisemitisch kritisiert. In Farid Bangs und Kollegahs aktuellem Album finden sich nämlich Zeilen wie diese: „Mache wieder mal ‘nen Holocaust, komm’ an mit dem Molotow“. Auf der Bonus-EP des Albums heißt es im Song 0815 zudem: „Mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen“. Dass in Kollegahs Apokalypse-Video der Diener des Teufels einen Davidstern trägt, fiel vielen erst an dieser Stelle auf. Vehement werden nun deswegen der Echo, die deutsche Musikindustrie, ja die ganze Kulturlandschaft für dieses kollektive Versagen verurteilt. 

 

Antisemitismus gehört zu Deutschland 

Doch das Problem liegt viel tiefer als im längst bekannten Antisemitismushang der deutschen Raplandschaft. Auch das Nachsehen des Echo-Ethikrats bezüglich der Nominierung passt in ein altbekanntes Muster. Denn das Problem des Antisemitismus ist ein gesamtdeutsches. Zwar werden Juden gern als Platzhalter und Katalysatoren in der deutschen Gesellschaft benutzt, um sich in letzter Zeit von der Präsenz des Islams in Deutschland zu distanzieren. So auch zuletzt als Alexander Dobrindt und Horst Seehofer von einer „christlich jüdischen Tradition“ Deutschlands sprachen – aus historischer Perspektive ein zynischer Akt der Instrumentalisierung. Gerne wird die Quelle des Antisemitismus in Deutschland als ein Problem des Islams verkauft. Doch auch die Echo-Preisverleihung besteht nicht nur aus dem Auftritt eines Farid Bangs und eines Kollegahs. In erster Linie spiegelt sie eine Medienlandschaft wider, in der antisemitische, frauenfeindliche und homophobe Aussagen toleriert werden. 

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Denn wenn in einer Studie des Expertenkreises Antisemitismus festgestellt wird, dass deutsche Bürger Aussagen wie „Die Juden arbeiten mehr als andere Menschen mit üblen Tricks, um das zu erreichen, was sie wollen“ mit 10 Prozent bejahen und mit 18 Prozent teils zustimmen, dann sind das sicher keine Ansichten, die nach Deutschland importiert wurden. Diese Ressentiments waren schon immer hier und werden vorerst bleiben. Der Antisemitismus in Deutschland fängt auf deutschen Schulhöfen an, wo jüdische Kinder schikaniert und angegriffen werden, und endet mit der Abwesenheit jüdischen Lebens im öffentlichen Raum und vor allem auf deutschen Leinwänden und Fernsehbildschirmen. Kollegahs bei Jugendlichen beliebte Musik leistet da einen ordentlichen Beitrag. Leider gibt es kaum populäre Gegenstimmen.  

 

Aus den Köpfen in den Fernseher

Wo bleibt das jüdische Leben auf deutschen Bildschirmen? Und wäre es nicht langsam Zeit, mehr davon zu sehen? Im Berliner Tatort hat man 2015 einen Anfang gewagt. Die Kommissarin Nina Rubin lebt mit ihrem Mann und zwei Söhnen in Berlin. Dass ihre Familie jüdisch ist, taucht nur am Rande auf. Bloß in einer Folge steht die Bar Mitzwa des jüngeren Sohnes im Mittelpunkt: Sie bringt die Kommissarin und ihren Mann einander wieder näher, nachdem er im großen Streit mit dem älteren Sohn aus der Wohnung gezogen ist. Denn das eigentliche Dilemma von Nina Rubin ist nicht ihr Judentum, sondern ihre Faszination mit dem Berliner Nachtleben, die ihrem Mann über die Jahre zu viel wird. Eine Bar Mitzwa als Familienfest, das die Eltern wieder zusammenbringt. Quasi wie eine Konfirmation oder ein Supersweet Sixteen. So könnte es öfter laufen. Tut es jedoch leider immer noch zu selten. 

Meret Becker als Nina Rubin im Berliner Tatort
Meret Becker als Nina Rubin im Berliner Tatort, Foto: rbb

In Lea Wohl von Hasselbergs Buch Und nach dem Holocaust? Jüdische Spielfilmfiguren im (west-)deutschen Film und Fernsehen nach 1945 kann man nachlesen, dass es auch heute noch bestimmte jüdische Charaktertypen gibt, die gerne in deutschen Filmen auftauchen. So zum Beispiel der jüdische Liebhaber. Ein Exot, der jedoch nicht die große Liebe des Hauptcharakters sein wird. „Fiktive jüdische Figuren stehen immer auch vor dem Dilemma, dass sie etwas sichtbar machen müssen, was eigentlich nicht visuell erkennbar ist“, schreibt von Hasselberg. Statt für sich selbst stehende Charaktere zu sein, spiegeln sie „gesellschaftliche Verhältnisse in Deutschland und charakterisierten nichtjüdische Figuren durch ihre Beziehung zu diesen.“ Das klingt ernüchternd. 

Doch auch, dass es durchaus Fortschritt gibt, lernt man in von Hasselbergs Buch. Seit der Wiedervereinigung und der Migration vieler osteuropäischer Juden nach Deutschland öffneten sich auch die Grenzen der jüdischen Darstellungen. Durch diese detaillierte Darstellung der jüdischen Tradition entstand jedoch eine Art Missverständnis. Zwar kamen damit jüdische Figuren endlich auf die Leinwand, doch mit der Betonung jüdischer Traditionen wurden gleichzeitig auch die Unterschiede zur deutschen Restgesellschaft betont. 

 

Nicht alles Zucker

Sicherlich ein gutes Beispiel ist Deutschlands Publikumsliebling Alles auf Zucker quasi pure jüdische Exotik für den deutschen Zuschauer. Der ehemalige Sportkommentator Jackie Zucker hat längst mit dem Judentum abgeschlossen. Er ist ein Berliner durch und durch. Doch als ihm wegen seiner Schulden die Zwangshaft angedroht wird, stirbt plötzlich seine Mutter, die angeblich ein großes Erbe hinterlassen hat. Die einzige Bedingung, dass es eingelöst wird: Jackie muss zusammen mit der Familie seines tief gläubigen Bruders nach jüdischer Tradition sieben Trauertage, eine Schiwa, gemeinsam verbringen. Zuckers nichtjüdische Frau macht sich deswegen auf, um die wichtigsten Attribute eines jüdischen Haushalts einzukaufen. Dabei erlebt man ihre Frustration. Im koscheren Laden ist, natürlich, alles viel zu teuer und die jüdischen Regeln sind so unflexibel, dass sie keinen Spaß machen. Ein besonderes Exemplar ist Jackies Bruder, eine Karikatur des gläubigen Juden par excellence. Man muss sich fragen, was der Film, von jüdischen Zuschauern sicherlich mit einem Augenzwinkern verstanden, beim Rest der Zuschauerschaft ausgelöst hat.  

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Alles auf Zucker ist ein Film voller jüdischer Selbstreflexionen. Das ist auch gut so. Aber wenn das die einzige Art der Darstellung jüdischen Lebens in Deutschland ist, dann muss man sich fragen, was die deutsche Mehrheitsgesellschaft davon mitnimmt: Zwei jüdische Brüder, die eine jüdische Tradition einhalten, um am Ende an das Geld ihrer Mutter zu kommen. Sicher ist die Idee nicht neu und könnte auch in einem anderen Milieu spielen. Doch bleibt am Ende ein komischer Nachgeschmack, bedenkt man, dass es sich hierbei um eine der wenigen Repräsentationen des Judentums in Deutschland handelt. 

 

Mehr Gefühl, mehr Druck

Natürlich ist es schwierig, eine so kleine Gruppe der Bevölkerung abzubilden. Und man könnte auch den Anspruch darauf hinterfragen. Doch es scheint bitter nötig, die Normalität des jüdischen Lebens auf der Leinwand und im Fernsehen zu reproduzieren. Dies hätte zweierlei Wirkung: Auf der einen Seite wäre es ein Zuwinken, vor allem auch der heranwachsenden Generation jüdischer Kinder, ein Ich sehe dich, und ich kenne auch deine Geschichten. Auf der anderen Seite würde es aber auch zur einer breitflächigen Aufklärung derjenigen Bevölkerungsteile kommen, die mit der jüdischen Kultur sonst nicht in Berührung kommen. Wenn das Judentum denn nun zu Deutschland gehört, wie mehrfach von der Politik behauptet, dann sollte man es auch dementsprechend visuell abbilden. Immerhin haben zumindest die Öffentlich-Rechtlichen einen Bildungsauftrag zu erfüllen. 

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Ein guter erster Ansatz wäre zum Beispiel die neue multimediale Serie DRUCK gewesen, eine Produktion vom ZDF-Jugendableger Funk. Hier wird anhand einer Berliner Oberstufe der Querschnitt einer modernen deutschen Großstadtgesellschaft recht gut abgebildet. Dort vereinen sich die Charaktere des deutschen Bildungsbürgertums mit dem Mittelstand und mit Jugendlichen mit diversen „Migrationshintergründen“. Sie alle haben ihre eigenen Probleme und Alltagskämpfe, doch viele überschneiden sich. Und das ist das Wichtige an der Serie. Denn die Probleme eines 17-Jährigen kurz vor dem Abitur sind einerseits universell, andererseits unterscheiden sie sich jedoch je nach Herkunft in vielen Nuancen. Vielleicht fehlt da eben doch ein jüdischer Jugendlicher, der mal auf dem Schulhof fertig gemacht oder dessen Bekannter mal auf offener Straße angegriffen wurde, weil er eine Kippa trug. Dessen Großeltern von einer traumatisierten Überlebendengeneration großgezogen wurden, die das Trauma möglicherweise an die eigenen Eltern weitergegeben haben. Der oder die vielleicht gar nicht mehr erzählen mag, dass die eigene Familie jüdisch ist, weil man sich dann immer wieder aufs Neue blöden Fragen zu Israels Siedlungspolitik stellen oder erklären muss, warum die „Juden sich immer vom Rest der Gesellschaft abspalten“. Das wäre auf jeden Fall ein guter Ansatz für einen Charakter oder gar zwei oder drei. Vielleicht nicht mehr bei DRUCK, aber vielleicht ja bald irgendwo anders.

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