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Kolumnen

Jesse Eisenberg und Missverständnisse über Filmkritik

Ein Beitrag von Rajko Burchardt

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Jesse Eisenberg hat eine Kritik geschrieben, eine Filmkritik zu „Paintings of Cole“. Obschon er einräumt, während einer wichtigen Szene des Films auf die Toilette gegangen zu sein, empfindet er das Drehbuch als unschlüssig und konfus. Um „Paintings of Cole“ geht es in seinem Text aber nur am Rande, wichtiger sind die persönlichen Unzufriedenheiten des Kritikers.

Er sei durch den Film zum Beispiel in seine Schulzeit zurückversetzt worden, als er mit einer ähnlichen Idee keinen Anklang bei seinem Schreibkurs fand. Die Hauptdarstellerin erinnere ihn an eine frühere Mitschülerin und das nie zustande gekommene Rendezvous mit ihr. Außerdem sei das Kino, in dem der Verleih den Film zeigte, sehr weit entfernt gelegen. Zu allem Überdruss habe die hübsche Pressebetreuerin seine Avancen nicht erwidert, es konnte also nur ein Verriss dabei herauskommen.

Den Film „Paintings of Cole“ gibt es natürlich nicht, genauso wie es den Filmkritiker Jesse Eisenberg – bisher jedenfalls – nicht gibt. Eisenberg ist Schauspieler, für The Social Network erhielt er eine Oscarnominierung, zuletzt konnte man ihn in American Ultra sehen. Angeblich habe Eisenberg das vernichtende Urteil zu einem Film von Woody Allen, mit dem er kürzlich zusammenarbeitete, zu dieser An Honest Film Review überschriebenen Kritik im US-Magazin The New Yorker inspiriert.

Branchenintern fielen die Reaktionen erwartungsgemäß beleidigt aus, von der nordamerikanischen Kritikerprominenz um Keith Phipps oder Scott Tobias etwa gab es keinen Applaus. Reflexartig verfasste sie eine Menge auch umfangreicherer Entgegnungen auf Eisenbergs Satiretext, in denen selbst mildere Stimmen zu dem Schluss kamen, dass seine aufgereihten Kritikerklischees doch ziemlich lazy seien.


(Lindsay Duncan als Kritikerin[nenklischee] in Birdman; Copyright: Fox Searchlight Pictures)

Einen wirklich wunden Punkt dürfte Jesse Eisenberg dennoch kaum getroffen haben, denn filmkritische Methodik stellt er nicht auf den Prüfstand. Wenn man seinem Text überhaupt wie ein getroffener Hund entgegenbellen möchte, dass vieles an ihm die Sache nicht trifft, dann vielleicht deshalb, weil er nur den gängigen Missverständnissen über Filmkritik aufsitzt. Einer Filmkritik, der es offenbar einfach nicht gelingen will, diese Missverständnisse zu beseitigen. Damit, was sie ist, sein und leisten sollte, beschäftigt sich nämlich niemand so sehr wie die Filmkritik selbst: Meint man es ernst mit ihr, sind Diskurse über das Kino auch Diskurse über Filmkritik, zumindest aber ist umgekehrt jede Beschäftigung mit Filmkritik auch eine Beschäftigung mit dem Kino. Schon aus ökonomischen, also nicht einmal cinephilen Beweggründen muss sie sich gegen sich selbst und die ihr immer wieder entgegengebrachten Vorurteile verteidigen.

Gemeint ist damit nicht eine Evaluation der Filmkritik als Institution (die es so ohnehin nicht gibt), sondern die ständige Überprüfung filmkritischen Denkens. Hierzulande gab es den Versuch eines Diskussionsanstoßes, als der Verband der deutschen Filmkritik (VdFk) ein streitbares Flugblatt veröffentlichte. Wutschnaubend heißt es darin, die Kinolandschaft biete keine Alternativen mehr zum Multiplex- und Arthaus-Mainstream, auf den die Filmkritik nur noch mit Reflexen zu reagieren wisse. Zugleich agiere sie im großen Stil als verlängerter Arm filmwirtschaftlicher Interessen, ihr ohnehin problematischer Dienstleistungscharakter schrecke nicht davor zurück, zur reinen Werbemaschine zu verkommen – ein Umstand, der durch die Performance-Zwänge des Internet begünstigt wird. Und der vielleicht tatsächlich auch eine logische Folge von Filmkritik ist, die sich einzig als Empfehlungsschreiben mit Sternchen- und Daumenwertungen versteht.


(Der Kritiker Anton Ego aus Ratatouille; Copyright: Walt Disney Pictures / Pixar Animation Studios)

Bei allem, was man gegen Jesse Eisenbergs Kritik der Kritik einwenden kann, bringt sie doch immerhin ebendiesen wesentlichen Missstand zur Sprache. Der fiktive Oscaranwärter „Paintings of Cole“ mag seinem übellaunigen Rezensenten nicht gefallen haben, in der Hoffnung auf prominente Anerkennung des Studios bezeichnet er ihn aber dennoch als besten Film des Jahres („I’ve always wanted to have my name on a movie poster.“). Die längst branchenübliche Verschränkung von Filmvermarktung und damit zwangsaffirmativer Filmkritik enthebt einen ganzen Berufstand seiner Verantwortung. Das hat nicht nur, aber auch etwas mit der Flucht „vor jeder kritisch-analytischen Anstrengung in eine emphatische Schreibweise“ zu tun, über die Christina Nord 2006 sehr lesenswert in einem ihr filmkritisches Selbstverständnis reflektierenden Essay schrieb.

Zum Teil also ist ihre Normierung dafür verantwortlich, dass Filmkritik von vielen als bloße Richtungsvorgabe, schlimmstenfalls als Meinungsdiktat verstanden wird („What kind of moron are you to think critics are reliable?“, fragt Peter Bradshaw, Cheffilmkritiker der britischen Tageszeitung The Guardian, polemisch). Gute Filmkritik ermuntert zur Auseinandersetzung und nicht dazu, sich diese zu ersparen. Sie ist der Beginn, nicht das Ende eines Diskurses. Ein guter filmkritischer Text kann eine Ahnung vermitteln, wie man sich zum Gegenstand dieses Textes verhalten wird. Und bestenfalls tut er das, indem er unbekannte Pfade betritt, um den Blick auch dorthin zu richten, wo er abseits bequemen Denkens, bequemer Filme und bequemen Denkens über bequeme Filme schwerlich hingelangt. Der Rest sei nur Werbung, sagte die US-amerikanische Filmkritikerin Pauline Kael, für die der Kritiker „die einzige unabhängige Quelle in der Kunst“ war.

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(Ausschnitt aus What She Said: The Art of Pauline Kael)

Freilich wäre es der Auseinandersetzung dienlicher, würde man auf dieses Problem – dem sich Autoren stellen und die von ihm ausgehenden Gefahren auch regelmäßig neu verhandeln müssen – hinweisen, ohne dabei langbärtige Klischees zu bemühen. Der Filmkritiker als gescheiterter Künstler ist eine diskursfeindliche Chimäre, die jede Beschäftigung mit Filmkritik und Kino durch eine Rhetorik des Bessermachens oder, besonders unangenehm, des heimlichen Bessermachenwollens einzuschränken versucht (nebenbei: gutes Schreiben ist eine Kunst). Ein Filmkritiker mag nicht frei von individuellen Befindlichkeiten, gewiss auch nicht von tages- und situationsabhängigen Launen sein. Wer aber filmkritischem Denken die Legitimation entziehen möchte, weil er diesem Denken unterstellt, es entstehe aus persönlichem Frust, kann das mit der Kunst auch gleich bleiben lassen. Genauso wie Filmkritiker, auf die das möglicherweise tatsächlich zutreffen mag.

Wirklich übel nehmen muss man Jesse Eisenberg seine Mutlosigkeit. Als bekannter Hollywoodschauspieler nutzt er das Privileg, gehört zu werden, um ausgerechnet jener Filmkritik ans Bein zu pinkeln, die sich nicht einmal auf Augenhöhe mit ihm oder ihrer Konkurrenz befindet. Einem amüsanten Wink, der auf das gelegentliche Profilierungsgehabe nerdiger Film-Websites abzielt („I’ve been writing movie reviews for a blog that attracts more than eight hundred and forty-five unique views a month.“), folgt in seinem Satiretext umgehend die zumindest implizite Anbiederung ans filmkritische Establishment („The [New York] Times critic seemed to love the movie, which is no surprise, because the Times loves everything. Well, everything except me. I went in for an interview three years ago, with a résumé and a packet of my reviews, and they rejected me.“). Dem Narrativ des verhinderten Künstlers dichtet er noch eines des gebrochenen Journalisten hinzu, denn nach unten tritt es sich besonders leicht.

Nicht nur hierzulande sind es jedoch gerade die abseits von Feuilletons und renommierten Publikationen betriebenen unabhängigen Online-Magazine und Blogs, in denen eine spannendere, weil alternativ zum Mainstream-Angebot gedachte Auseinandersetzung mit Film stattfindet. Das Flugblatt des VdFk richtete sich – wenn ich das richtig verstanden habe – auch an eine filmkritische Alltagspraxis, die das (all-)gegenwärtige Kinogeschehen pflichtschuldig statt interessiert abbildet, die Entdeckungsreisen lieber cinephilen Nischen überlässt. Neugier auf abseitiges Kino oder auch nur einen abseitigen Blick auf wiederum gar nicht so abseitiges Kino zu wecken, ist ein Anspruch, der eben vor allem dort verfolgt wird, wo Jesse Eisenberg und andere offenbar lediglich gescheiterte Karrieren vermuten.

Wenn Filmkritik nur so gut ist wie die Summe ihrer Repräsentanten, müssen Filmkritiker ebenso wie Filmschaffende daran arbeiten, diese Neugierde aufrecht zu erhalten, für eine bessere Kritik zu streiten und den Diskurs aktiv mitzugestalten. Regisseur Dietrich Brüggemann adressierte kürzlich eine Reihe von Autoren, denen er unter anderem vorwarf, dass sie sich mit seinem Film Heil eher inhaltlich denn ästhetisch beschäftigt hätten (siehe unsere Kolumne). Entstanden ist daraus eine fruchtbare Diskussion, die ihren in Kommentarspalten zwischen Filmemacher und Filmkritiker geführten Meinungsaustausch produktiv zu machen verstand. Und die sich, was noch wichtiger ist, nicht im Ressentiment erging, sondern für unterschiedliche filmkritische Positionen warb. Dietrich Brüggemann ist das gelungen. Jesse Eisenberg hat es nicht einmal versucht.

(Rajko Burchardt)

(Rajko Burchardt war Student und ist Menschenfreund. Für Online- und Offline-Magazine schreibt er Filmtexte. Sein Antrieb ist die Liebe.)

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