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Kolumnen

I can't feel good no more

Ein Beitrag von Andreas Köhnemann

Ins Kino zu gehen ist großartig. Manchmal kann ein Besuch im Lichtspielhaus aber auch ein teures Nickerchen sein. Oder er kann (falls man nicht entschlummern sollte) die Gelegenheit bieten, sich zu fragen, wann und warum die französische Komödie eigentlich so öde wurde.

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Victoria
Szene aus "Victoria"

Umso schöner sind die Fälle, in denen man unverhofft vom Gegenteil überzeugt wird: Wenn man das Ermüdend-Einförmige erwartet, um dann von einfallsreichen Bildern und Dialogen, von einem kühnen Musikeinsatz und ambivalent gezeichneten Figuren aufgeweckt zu werden.

So erging es mir in der Pressevorführung zu einer französischen Produktion, die im Mai 2017 in Deutschland startete. Der Titel ließ mich im Vorfeld Schlimmes vermuten: Victoria – Männer & andere Missgeschicke. Das klingt nach biederem Humor, nach dümmlichen Gender-Klischees und nach romantic-comedy-Gedöns, das irgendwann in den 1990er Jahren leider seinen Reiz verloren hat (Ich möchte an dieser Stelle erwähnen: Ich war einst ein wirklich großer romcom-Fan).

Die vorige Arbeit der Victoria-Drehbuchautorin und -Regisseurin Justine Triet, die zugleich deren Spielfilmdebüt war, kannte ich nicht; da sie jedoch ebenfalls einen alarmierend trivialen Titel trägt (Der Präsident und meine Kinder), wurden meine Zweifel, etwas Innovativ-Interessantes sehen zu dürfen, eher noch bestärkt. Die Cast-Liste rief bei mir gemischte Gefühle hervor: Hauptdarstellerin Virginie Efira hat in Paul Verhoevens ungewöhnlichem Psychothriller Elle mitgespielt, allerdings auch in zahlreichen Feel-Good-Ko-/Dramödien, durch die meine Frankophilie seit einigen Jahren doch gehörig leidet (etwa Glück auf Umwegen, Mein liebster Alptraum, Eine ganz ruhige Kugel, Familie zu vermieten, Birnenkuchen mit Lavendel oder Mein ziemlich kleiner Freund); ihr Leinwandpartner Vincent Lacoste war unter anderem in zwei mäßig witzigen Julie-Delpy-Regiewerken sowie in diversem Nonsens (wie zum Beispiel Jungs bleiben Jungs, Asterix & Obelix – Im Auftrag Ihrer Majestät oder Jacky im Königreich der Frauen) und zuletzt in Saint Amour zu sehen, in welchem Gérard Depardieu sehr viel Wein trinkt und sehr viele peinliche Possen reißt. Nun ja.

Was meinen Kolleg_innen und mir dann aber präsentiert wurde, war nicht die langweilige Regel – kein Formelfilm, in dem irgendein Monsieur oder irgendeine Madame einen niedlichen Chaos-Parcours durchschreiten muss, um am Ende ein besserer, netterer und/oder glücklicherer Mensch zu sein, welcher den Zuschauer_innen mal eben zwei kostbare Stunden Lebenszeit gestohlen hat, und in dem die musikalische Untermalung sämtliche Emotionen diktiert. Nein, wir bekamen die „Geschichte einer komplizierten Frau“ erzählt, wie Triet es im Presseheft beschreibt. Die titelgebende Protagonistin ist alleinerziehende Mutter von zwei Töchtern, erfolgreiche Anwältin und ein fordernder Mensch; sie ist stark, jedoch nicht die fleischgewordene Perfektion, sondern ein mit Schwächen und Fehlentscheidungen kämpfender Charakter, der es nicht in jeder Szene darauf anlegt, von uns gemocht zu werden. „Kompliziert“ ist sie eigentlich nur in dem Sinne, in dem wir alle kompliziert sind. Sie ist keine Schablonengestalt, der ein paar leicht verständliche Schrullen als Accessoires mitgegeben wurden, sondern eine glaubhafte Persönlichkeit.

Victoria
Bild aus Victoria – Männer & andere Missgeschicke; Copyright: Alamode Film

 

In Victoria geht es unter anderem um Menschen, die wir übersehen, obwohl sie vielleicht unser Glück bedeuten könnten. Es geht um Menschen, für die wir alles tun, obwohl sie ganz sicher unser Unglück sind. Es geht um einen eifersüchtigen Dalmatiner, der vor Gericht erscheinen muss, und um einen Affen, dessen selbst gemachte Fotografien zur Klärung eines Gerichtsfalls beitragen. Es geht darum, sich selbst kaputtzumachen, anderen wehzutun und von diesen ebenso immer wieder verletzt zu werden. Es geht in diesem Film um sehr viel – und er ist verdammt gut.

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Trailer zu Victoria – Männer & andere Missgeschicke

 

An ähnlich gelungen-faszinierenden Comedy- oder Dramedy-Beiträgen aus der Grande Nation, die hierzulande in den vergangenen Jahren gezeigt wurden, fallen mir noch C’est la vie – So sind wir, so ist das Leben (2008) und Der Name der Leute (2010) ein. Etliche Filme aus diesem Bereich – etwa Frühstück bei Monsieur Henri von Ivan Calbérac – verfügen zwar über reizvolle Prämissen und über das Potenzial, etwas Unbequemes zu schildern und zu vermitteln, lassen in ihrer Plotentwicklung und Inszenierung dann aber ein enttäuschend geringes Interesse daran erkennen und flüchten sich lieber rasch in die Alberei.

Die meisten Komödien mit Dany Boon (etwa Der Nächste, bitte!, Super-Hypochonder oder Nichts zu verschenken) basieren indes jeweils auf einer einzigen Idee, die allerhöchstens als 10-Minuten-Sketch funktionieren könnte, jedoch nie über Spielfilmlänge trägt und obendrein in ihrer audiovisuellen Ausgestaltung so gar nichts mit Kino zu tun hat. Andere Komödien (wie zum Beispiel der bereits erwähnte Saint Amour) verwechseln mutigen Humor mit abstoßender Derbheit und männlichem Chauvinismus. Ein Werk, das in seinem Handlungsverlauf und durch die Änderung seines Erzähltons zu überraschen vermag, ist Hugo Gélins Vater-Tochter-Story Plötzlich Papa; die darin vollzogene Wendung vom flotten Spaß zum großen Drama wirkt allerdings weniger wie eine intendierte Irritation des Publikums, sondern vielmehr wie ein seltsam unausgegorenes Konzept.

Plötzlich Papa
Bild aus Plötzlich Papa; Copyright: Tobis Film

 

Blickt man zeitlich noch weiter zurück, stößt man in der französischen Filmhistorie auf zahlreiche Beispiele, in denen Komik auf Courage statt nur auf Feel-Good-Ödnis traf. Einen zweiten Jacques Tati wird es höchstwahrscheinlich nicht geben (Pascal Rabatés Holidays by the Sea zählt etwa zu den kaum überzeugenden Versuchen, an den Tati-Stil anzuknüpfen); doch einen Funken von der erzählerischen Absurdität sowie der ästhetischen Ambition, wie man sie zum Beispiel in Tatis Playtime (1967) findet und in die in jüngster Zeit wohl nur Bruno Dumont in seiner herrlichen Groteske Die feine Gesellschaft so furchtlos vordrang, wünsche ich mir auch in realitätsnäheren Geschichten aus dem französischen Kino.

Ebenso wie den esprit libre der Filmemacherin Coline Serreau, die im Jahre 1977 in Warum nicht! ein ineinander verliebtes Figuren-Trio porträtierte und dabei munter auf sämtliche Dramaturgie-Regeln pfiff. Die Suche nach einem nicht-heteronormativen Lebens- und Liebesweg, auf die sich Fernand, Alexa und Louis in Warum nicht! begeben, würde heute vermutlich einen Titel wie „Mademoiselle Alexa und die Liebe ihrer Männer“ tragen, wäre mit einer rehäugigen Newcomerin und zwei viel zu alten, aber bekannten Co-Stars besetzt und um jedwede Ecken und Kanten beraubt. Ich mag es mir gar nicht detaillierter vorstellen.

Mut im Inhalt, einen Stilwillen in dessen Umsetzung sowie ausgefallene, aber stimmige Figuren und Konflikte – all das braucht (auch) die aktuelle französische (Tragi-)Komödie wieder viel mehr. Ich meine: Warum nicht? Justine Triets Victoria demonstriert ganz ohne Feel-Good-Attitüde, wie gut (nein: wie richtig) sich das anfühlen kann.

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