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Kolumnen

Hand in die Hose. Kamera an.

Ein Beitrag von Olga Galicka

Zur Feier des Weltfrauentags am 8. März widmet Olga Galicka ihre Kolumne der weiblichen Selbstbefriedigung im Film. Sie präsentiert ihre drei Favoriten und erklärt, warum diese Szenen in der Filmlandschaft immer noch ungewöhnlich sind.

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Toni Collette in "Wanderlust"
Toni Collette in "Wanderlust"

Voriges Jahr fast um die gleiche Zeit schrieb ich eine Kolumne über Sex im Film. Es war im Februar, quasi am Valentinstag, und so bot es sich an, über Sex zu schreiben. Und das tat ich. Ich schrieb über Sex auf der Leinwand als kollektive Erfahrung, ein Verdienst von mitunter Fifty Shades of Grey. Dieses Jahr ist das Erscheinungsdatum der Kolumne näher am 8. März dran, dem Weltfrauentag. Und doch hatte ich das Gefühl, voriges Jahr noch nicht alles über Sex im Film gesagt zu haben. Passend zum Weltfrauentag ist diese Ausgabe meiner Kolumne deshalb dem weiblichen Sex gewidmet. Mit sich selbst.

Die Suche nach passenden Szenen erwies sich als nicht einfach. Nicht, dass es derlei Szenen überhaupt nicht gäbe. In den vergangenen Jahren hat sich bereits ein kleines, aber feines Portfolio solcher Sequenzen angesammelt. Dabei handelt es sich meist nicht um Filmproduktionen. Das Fernsehformat scheint hingegen die weibliche Masturbation für sich entdeckt zu haben. Interessant bleibt dabei die stets wiederkehrende Reaktion auf diese Szenen. Jede einzelne wird als Sensation gefeiert, die Schauspielerinnen nach ihrer Vorbereitung befragt. Mitunter werden gar ganze Analysen darüber angefertigt, was dies über den Stand unserer Gesellschaft aussagen mag. 

 

Sensation um die weibliche Lust

Doch warum genau wirken Sequenzen dieser Art immer noch so sensationell? Jeder weiß, dass Frauen genauso wie Männer masturbieren und dass der Akt der Selbstbefriedigung beiden Geschlechtern gleichermaßen guttut und gar gesund ist. Oder etwa nicht? Muss das Wissen über die weibliche Masturbation ähnlich wie das Wissen über die Vulva und den weiblichen Orgasmus erst in Recherchen wiederentdeckt werden, die manchmal eher an archäologische Ausgrabungen erinnern? Vieles deutet darauf hin, dass das Zuschauer- und Kritikerauge sich an dieses Bildsortiment noch gewöhnen müssen. 

Zwar ist auch männliche Masturbation auf der Leinwand noch lange kein Standardmotiv. Und doch gibt es zahlreiche Beispiele, die die männliche Selbstbefriedigung darstellen. Man denke nur an solche Klassiker wie American Pie, Verrückt nach Mary, American Beauty oder aber Serienkaliber wie The Big Bang Theory und Skins. Sequenzen dieser Art stehen dann meistens in einem komödiantischen Subtext: Die Freundin erwischt den Mann beim Akt – Probleme in der Beziehung werden somit im Slapstick verdeutlich. Mit Sicherheit ist auch diese Darstellung der männlichen Masturbation, im Sinne eines gesunden Sexualbewusstseins, fraglich. Doch zumindest hat sie zu keiner Zeit auch nur ein populäres Medium interessiert. Szenen dieser Art waren und sind normal.

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Ganz anders verhält es sich mit dem von mir kuratierten Best Of. Doch der Mangel an weiblicher Masturbation gerade im Filmformat hat auch praktische Gründe. Denn die Darstellung ausgelebter weiblicher Lust, weiblicher Genitalien und des weiblichen Oralsex gelten seit je her für die Motion Picture Association of America als ein Marker für ein NC-17 Rating. Quasi ein Todesurteil für jeden Filmstart. Eine Erfahrung, die schon die Macher von Boys Don’t Cry machen mussten. Ein weiblicher Cunnilingus wurde von der MPAA als genauso kritisch wie eine Vergewaltigungsszene im gleichen Film bewertet. So erscheint es nur logisch, dass die meisten weiblichen Masturbationsszenen aus dem Fernsehformat stammen. 

 

Einfach Darüberstehen 

Im Herbst 2018 reichten zwei kurze Selbstbefriedigungsszenen mit Toni Colette als Joy in Wanderlust um eine Reihe an Artikeln auszulösen. Vom Guardian über Daily Mail („racy“) bis Mirror („painfully awkward“) wurden die Aufnahmen der weiblichen Lust diskutiert. Doch ein wichtiger Punkt in der Diskussion war nicht nur die Tatsache selbst, sondern auch ihre Umstände. Denn die Frau, die sich hier selbst befriedigt, ist Anfang 50. Beide Sequenzen haben einiges gemeinsam. Die erste, aufschlussreich am Anfang der Pilotfolge positioniert, wird vom ins Schlafzimmer hereinplatzenden Sohn unterbrochen. Etwa fünfzehn Sekunden Bildschirmzeit. Eigentlich doch wirklich nicht der Rede wert. Die zweite, mehrere Folgen später und im Beisein des Ehemannes Alan, muss ebenso unverrichteter Dinge enden. Doch hier wird es wesentlich interessanter. Denn der auf dem Bett sitzende Alan kann nicht damit umgehen, dass seine Frau über ihm steht, während sie sich selbst befriedigt. Er würde sich lieber hinlegen.

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Eigentlich möchte Joy ihrem Ehemann zeigen, was ihr gefällt, welche Bewegungen sie erregen, damit er sie nachempfinden kann. Der Situation im Schlafzimmer ist jedoch ein Konflikt vorausgegangen – Joy hat zuvor ihre lang vergessene erste Liebe geküsst. Die Stimmung ist angespannt. Alan ist komplett angezogen, ja geradezu zugeknöpft, während Joy einen Frotteebademantel trägt. In der Gesamtkonstellation stimmt vieles nicht, doch am Ende scheitert der sexuelle Akt an der Tatsache, dass Joy sich aus einer überlegenen Position heraus selbst befriedigt. Vierzig Sekunden, die durch weibliche Lust die Komplexität einer langjährigen Beziehung erzählen. 

 

Höhepunkt mit sich selbst 

Ein ebenso feines erzählerisches Geflecht wird in die Selbstbefriedungsszene in der Serie Girls gewebt. In der ersten Staffel arbeitet Marnie als Assistentin für den Künstler Booth Jonathan. Sie bewundert ihn und fühlt sich zu ihm hingezogen. Marnie selbst ist in einer unglücklichen Beziehung, der Sex ist schlecht. Als Jonathan ihr während seiner Ausstellungseröffnung deutliche Avancen macht, will sie ihn zuerst aus moralischen Gründen zurückweisen. Der Künstler lässt tatsächlich ab und verabschiedet sich mit dem Satz: „Ich will nur, dass du weißt, wenn ich dich das erste Mal ficke, dann wirst du dich vielleicht ein bisschen erschrecken. Denn ich bin ein Mann und ich weiß, wie man Dinge anpackt“ (apropos „painfully awkward“). Marnie ist davon so stimuliert, dass sie sofort eine Toilette aufsucht, um sich selbst zu befriedigen. Diese sehenswerte Szene mag dem einen oder anderen Girls-Fan in Erinnerung geblieben sein. Zu Marnies Höhepunkt hat die Dramaturgie der letzten drei Folgen beigetragen. Die Frustration und Lustlosigkeit in der Beziehung auf der einen Seite und die Bewunderung für den Künstler auf der anderen haben eine intensive sexuelle Frustration aufgebaut, die sich bald entladen musste. 

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Als sich Marnie von ihrem Freund trennt und eine Staffel später Jonathan wieder begegnet, beginnt sie eine Affäre mit dem Künstler. Seine Behauptung — „I know how to do things“- erweist sich jedoch als völlig falsch. Der Sex ist uninspiriert, er wirkt dabei stets überheblich. Der Höhepunkt dieser Begegnung hatte sich somit längst ereignet. Und zwar eine Staffel zuvor. Den wirklich spannenden Sex hatte Marnie auf der Toilette mit sich selbst.

 

Kleine Kinder, große Sorgen

Eine öffentliche Diskussion wurde auch durch eine weibliche Selbstbefriedigungsszene in der Serie Mad Men ausgelöst. Die zehnjährige Sally Draper entdeckt die Selbstbefriedigung, als sie bei einer Übernachtungsparty eine Episode von The Man from U.N.C.L.E. sieht. Dabei wird sie von der Mutter ihrer Freundin erwischt und sofort nach Hause gebracht. Sallys Mutter ist beschämt und lässt es ihre Tochter deutlich spüren. „What is wrong with you?“, fragt die Mutter, bevor sie wütend das Zimmer verlässt. Die Szene ist jedoch nicht nur einprägend wegen der Scham, die Sally von den erwachsenen Frauen vermittelt wird. Vielmehr ist es die Dramaturgie der Szene, die überhaupt nicht explizit ist und doch alles zeigt. Die Bilder stellen ein zaghaftes sexuelles Erwachen dar, ein kindliches verwundertes Gesicht, das noch nicht wirklich versteht, was passiert. Gerade die Unschuld und Bedächtigkeit, mit der diese Szene konstruiert wurde, macht die Reaktion der beiden Frauen besonders grausam. Genau deswegen ist eine öffentliche Diskussion an dieser Stelle notwendig. Gerade das Masturbieren von (pre)pubertären Mädchen ist bis heute ein schwieriges Thema, über das wenig gesprochen wird und das mit Schamgefühl belastet ist. 

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Drei Beispiele aus drei unterschiedlichen Perspektiven und unterschiedlichen Altersgruppen. Sex ist ein wichtiger Teil des Lebens. Darüber sollte man auch mit sich selbst reden. Und schön, dass sich immer mehr Serien „trauen“, die weibliche Masturbation zu zeigen und zu zelebrieren. Vielleicht inspiriert ja eine der Szenen die eine oder den anderen, so den 8. März zu begehen.

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