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Kolumnen

Guilty Pleasure – Über den Genuss hinter vorgehaltener Hand

Ein Beitrag von Rajko Burchardt

Den Spaß an vermeintlich schlechten Filmen oder ungesundem Essen bezeichnen viele als Guilty Pleasure. Vergnügen mit Schuldgefühlen? Der Begriff ist problematisch, aber aufschlussreich.

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Szene aus "Snakes on a Plane"
Szene aus "Snakes on a Plane"

Lustiger Trash. Ein heimlicher Lieblingsfilm. Oder auch so schlecht, dass es schon wieder gut ist. Solche und ähnliche Sätze fallen im Netz zuhauf. Sie sind Variationen eines nur scheinbar widersprüchlichen Werturteils, das sich zu erklären versucht – im Wissen um Reibung der subjektiven Einschätzung am vorgeblich Normativen. Für entsprechende Relativierungen des eigenen Geschmacks gibt es den auch hierzulande salonfähig gewordenen Begriff Guilty Pleasure. Er beschreibt ein Vergnügen mit Gewissensbissen. Schuldig im Sinne der Vorlieben, sozusagen.

Interessanterweise ist das Idiom in der englischsprachigen Wikipedia mit einem weiterführenden Eintrag zu Schadenfreude verknüpft. Das Vergnügen am Unglück anderer Leute sei demnach nicht weit entfernt vom zwiespältigen Genuss, den bestimmte künstlerische Werke, ungesundes Essen oder sonstige schamhafte Freuden bereiten. Überträgt man jenen Vergleich des Begriffs auf die Auseinandersetzung mit Filmen, gelangt man schnell zu einem wesentlichen Grund seiner Ablehnung: Vielen gilt das Konzept vom Guilty Pleasure als ärgerliches Rechtfertigungsritual für sinnliche Erfahrungen, das auf ebenso unliebsame wie meist spöttische Rezeptionsmuster hinauslaufe. Warum, fragen sie ungläubig, sollte Enthusiasmus gedrosselt werden?

Im US-Magazin The New Yorker ist Jennifer Szalai besonders von der Verbindung der Worte Schuld und Lust genervt. Auf befremdliche Weise sei der Begriff zugleich Überhöhung und Verunglimpfung, nämlich ein „popkulturelles Schimpfwort“, das sich in seiner ostentativen Form auch ans Revers heften lasse. Nicht sehr überraschend kommt Szalai mit ihrer historischen Verortung zum Ergebnis, dass das Guilty Pleasure ein Auswuchs der Postmoderne sei, worin Adam Sternbergh von der New York Times ihr beipflichtet. Er bezeichnet den Begriff als „schädliches linguistisches Überbleibsel des 20. Jahrhunderts“ und fordert die Aufhebung sämtlicher Kunstbarrieren. Jedes Empfinden müsse gleichwertig und ohne kulturelle Hierarchien sein, heißt es.

Nun ist die ständig überwunden geglaubte Postmoderne nach wie vor Mitspielerin aller möglichen Diskurse, von hitzigen Netzdebatten und den darin gepflegten antimodernen Ressentiments bis zum marvelisierten Kinoalltag, in dem augenzwinkernde Superhelden einem Bescheid wissenden Publikum auf die Schultern klopfen. Die Idee des Guilty Pleasure kann sich dort voll entfalten, wo ihre Widersprüche umarmt oder Interventionen selbst schon wieder als ironische Geste gedeutet werden. Es mutet nur auf den ersten Blick sonderbar an, dass harmlose persönliche Präferenzen mit dem Etikett erklärt und entschuldigt werden. Denn niemand würde Gefallen an einer schlechten Sache kommunizieren, wenn es dabei tatsächlich um Schuldgefühle ginge.

Zumindest apologetisch kann von Schuld ohnehin nicht die Rede sein, das Guilty Pleasure ist keine Selbstgeißelung. Darauf zielten auch zwei Studien – ja, das Konzept hat sogar eigene wissenschaftliche Untersuchungen – der Yale School of Management ab, die im vermeintlich schlechten Gewissen durch ebenso vermeintlich sündiges Verhalten ihrer Probanden großen Lustgewinn identifizierten: Statt das erhaltene Geld der Durchführenden für Wohltätigkeiten zu spenden, gönnten sich Testpersonen lieber einen Glücksgefühle hervorrufenden Kaffee bei Starbucks. Genutzt werden sollen die Ergebnisse selbstverständlich für Marketing und Werbung. Guilty Pleasures, lehrt die Studie, können auch ein hervorragendes Geschäft sein.

Weil das Konzept nicht nur gegen allzu wörtliche Einwände ziemlich resistent scheint, lässt es sich andererseits leicht produktiv machen. Die uneinheitliche Auslegung verrät beispielsweise wenig über den Begriff selbst oder dessen Objekte, aber einiges über jene, die ihn affirmieren. Er wirft nicht Fragen nach Recht- oder Unrechtmäßigkeit vorgeblicher Guilty Pleasures auf, sondern macht unweigerlich die individuellen Perspektiven seiner Anwender zum Thema. Interessant ist am Ende vielmehr, welche Ideen von Qualität und Qualitätssteigerung, von Norm und Normierung, von hoher und angeblich niederer Kunst das Vergnügen hinter vorgehaltener Hand motivieren. In jedem Fall befördern Guilty Pleasures die Debatte.

Gewissermaßen wird aus dem schwammigen also ein aussagekräftiger und variantenreicher Begriff. Die Videospiel-Website IGN bemüht zur Redaktionsauswahl der 25 besten „blamablen, aber vergnüglichen Filme“ einen Klassiker des Bescheidwissens, den „unfreiwilligen Humor“, der dem Ranking zufolge in offenbar lediglich zufällig komischen Filmen wie Flash Gordon oder Snakes on a Plane zu finden sei (den Rest der Liste füllen erwartbare Namen von Uwe Boll bis Paul Verhoeven auf).

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Das Filmmagazin Taste of Cinema spricht wiederum von Titeln, die man besser „angstfrei lieben“ solle. Unter eine gänzlich andere Definition des Guilty Pleasure fallen dort Tim Burtons Mars Attacks! oder die Genreklassiker Hitcher, der Highway Killer und The Texas Chainsaw Massacre 2.

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In einem Gastbeitrag für Film Comment betont Schriftsteller Bret Easton Ellis, dessen Romane zu mögen wohl auch nicht jeder schamlos zu gestehen bereit wäre, seine Aversion gegen Guilty Pleasures. Dazu erstellt er eine Liste von Titeln mit unter anderem Steven Spielbergs 1941 und John Carpenters The Fog, die vielfach negativ aufgefasst worden seien und daher vor dem unliebsamen Konzept beschützt werden müssten. Gerade als Skeptiker hat Bret Easton Ellis eine völlig eigene Auslegung des Begriffs – genau wie Regisseur Brian De Palma, der die fraglichen Titel (ebenfalls für Film Comment) „Offbeat Movies“ nennt. Gemeint sind Kanonfilme wie Der Mieter und The Naked Kiss. Guilty Pleasures? Immer eine Frage der Perspektive.

Natürlich kann die Verteidigung eines Werks als Antwort oder Gegenentwurf zur relativistischen Praxis gleichfalls dogmatische Züge annehmen. Der ausgestellten „Getriebenheit“ (dem angeblichen Entzücken wider besseres Wissen) weicht dann eine andere Art von Distinktion, die demonstrative Liebe zum Verschmähten. So ist es einigermaßen unwahrscheinlich, dass gewisse cinephile Kreise, die sich ironiefrei zur Staatskunst des Nationalsozialismus bekennen und dessen ästhetische Rehabilitierung einfordern, Filme von Veit Harlan und Co. als „schuldiges Vergnügen“ bezeichnen würden. Wo möglicherweise größere Einigkeit über den Begriff zu erzielen wäre, im unangenehmen Spaß an Propaganda, ist seine Ablehnung umso größer.

Unter anderen Vorzeichen kann solchen Negationen eine kaum weniger postmoderne Attitüde bescheinigt werden, insbesondere denjenigen, die mutmaßliche oder tatsächliche Reaktionen mitdenken und sich zu ihnen positionieren (siehe Kolumne: über die Schwierigkeiten eines freien Blicks). Weil jedes Guilty Pleasure eine bestimmte dominante Wahrnehmung des Gegenstands voraussetzt, besteht seine dispositive Funktion offensichtlich darin, „allgemeine Betrachtungen“ zu kalkulieren. Selbst leidenschaftliche Gegner des Begriffs kommen damit nicht an der „Mischung aus Selbstbewusstsein und Selbstgratulation“ vorbei, die Jennifer Szalai im New Yorker als sein wesentliches Merkmal ausmacht. Das Guilty Pleasure ist nicht nur ein hochgradig diskursiver, sondern auch unverzichtbarer Begriff.

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