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Kolumnen

Glaube, Liebe, Russland

Ein Beitrag von Olga Galicka

Meinungen
Loveless

Der russische Film ist über die deutschsprachige Medienlandschaft hereingebrochen. Von der NZZ bis zur FAZ reihen sich Artikel an Artikel, die allesamt plötzlich über den russischen Film, gar über die russische Kulturlandschaft diskutieren wollen. An sich ist das nicht nur wenig überraschend, es ist sogar durchaus zu begrüßen. In den vergangenen Monaten ereigneten sich in Russland in sehr kurzen Abständen einige brisante Begebenheiten — die Anklage und plötzliche Verhaftung des Regisseurs Kirill Serebrennikov, die Premiere von Andrei Zvyagintsevs Nelyubov (der internationale Titel des Films lautet Loveless) in Cannes, seine umstrittene Nominierung als russischer Oscarkandidat und selbstverständlich die politisch und religiös motivierten Unruhen um den russischen Kinostart von Alexei Uchitels Mathilde.

Diese aktive Berichterstattung im deutschsprachigen Raum ist jedoch in ihren Ausprägungen nicht unproblematisch. Sie zeigt, wie aus einem Film über Landesgrenzen hinaus ein Politikum werden kann. Es wird über Filme und Regisseure gesprochen, darüber wie sie von der russischen Politik gehandhabt werden, ohne dass man die eigentlichen Arbeiten auf der Leinwand zu sehen bekommt. Die Situation ist geradezu paradox: Zwar gibt es seitens der deutschen Politik und Medienlandschaft ein großes Bedürfnis, die Abstrusität der aktuellen russischen (Kultur-)Politik und ihre faktischen Hintergründe zu verstehen, dabei werden jedoch die eigentlichen kulturellen Produkte in dieser Diskussion außen vorgelassen. 

Bei einem akademischen Workshop, an dem eine Großzahl deutschsprachiger und auch internationaler Filmwissenschaftler beteiligt war, sagte mir ein Doktorand, als es um mein eigenes Forschungsprojekt zu ideologischen und institutionellen Wechselwirkungen im zeitgenössischen russischen Film ging: „Im russischen Film ist im Moment echt nix los. Da gibt es schon lange keine Innovation, aber Festivals meinen, dass sie ständig Filmemacher wie Zvyagintsev einladen müssen, nur weil sie gegen Putin sind“. In diesem Kommentar spiegelt sich leider deutlich die Ignoranz wider, die in kulturellen Diskussionen ebendiesen Filmen nicht nur von der deutschen Politik, Presse und Academia, sondern ebenso von deutschen Verleihfirmen entgegengebracht wird. Gleichzeitig offenbart es, dass auch in Deutschland russische Filme, ganz ähnlich zu ihren osteuropäischen Nachbarn, anscheinend nicht etwa nach Kunstfertigkeit, sondern nach politischer Brisanz bewertet werden. 


Trailer zu Der die Zeichen liest

Nur Serebrennikovs Der die Zeichen liest hat dank Neue Visionen einen Verleih gefunden, die anderen Filme des Regisseurs fanden nicht einmal Platz im deutschen Festivalzirkel. Während Nelyubov von den meisten westeuropäischen Ländern für den nationalen Verleih bereits eingekauft wurde, ist der Verhandlungsstatus um den Verleih durch Wild Bunch Deutschland noch unklar. Alexei Uchitels Mathilde wird es nun hingegen schon bald in die deutschen Kinos schaffen. Es überrascht jedoch kaum, dass ebendieser Film in seiner Ausführung und seinem Inhalt zwar wenig interessant, aber gleichzeitig politisch durchaus brisant ist — ein Film als Politikum par excellence. Mathilde ist ein Kostümdrama über die romantische Beziehung zwischen dem jungen Nikolai Romanov und der Balletttänzerin Matilda Kschesinksaja bis zum Zeitpunkt von Nikolais Krönung zum Zaren Nikolai II. in 1896. Der Vorwurf an den Film: die Darstellung des heiligen Zaren — im Jahre 2000 wurde die Familie Nikolais II. vom Moskauer Patriarchat heiliggesprochen — als leichtsinniger und untreuer Lebemann. Uchitels Film ist mitunter mehr ein Coming-of-Age-Drama im historischen Kostüm und müsste sich kaum gegen diesen Vorwurf verteidigen. Der Film lebt nicht von Kontroversen, sondern von einer nostalgischen Ästhetik und der schauspielerischen Leistung Lars Eidingers in der Rolle von Nikolai, liebevoll ‚Niki‘ genannt. 

Selbst unter der strengsten ideologischen Lupe hat Uchitels Film auf den ersten Blick nicht wirklich etwas falsch gemacht. In erster Linie ist Mathilde eine eskapistische Fantasie von einem Russland, das es hätte geben können, hätte ebendieser Niki in seinem Leben möglicherweise einen anderen Weg eingeschlagen. Eine Frage, die zum hundertsten Jubiläum der Oktoberrevolution jedoch besonders explosiv in russischen Ohren anklingt. Umso bedenklicher ist die Tatsache, dass es sich bei Mathilde um die einzige russische Produktion zu diesem Themenkomplex handelt. Überraschend ist es hingegen kaum. In welche Richtung, ja mit welcher Aussage, hätte man einen solchen Film im zeitgenössischen Russland machen können, ohne Konsequenzen für Leib und Leben befürchten zu müssen?


Trailer zu Mathilde

Russland befindet sich seit jeher in einem Korsett eines starren politischen Systems, in dem Ideologien so fluide sind, dass sie geradezu austauschbar wirken und durchaus nebeneinander gleichzeitig existieren können, selbst wenn sie in ihren Grundideen nicht miteinander zu vereinen sind. So kann bereits ein unschuldiges Motiv zu einem revolutionären Akt, zu einer Provokation werden. Nur so kann man sich die Aussage Pavel Pozhigajlos, Sprecher der Gesellschaftlichen Kammer Russlands im russischen Kultusministerium, erklären, dass russische Filmemacher gerne ikonische russische Figuren wie Stalin oder den Zaren „mit Dreck übergießen“, um sich einen Erfolg bei den Oscars oder anderen westlichen Filmpreisen zu sichern. Der heiliggesprochene Zar und Stalin auf einer ideologischen Ebene wie durch Zauberhand vereint. In einem Interview mit Le Monde sagte Zvyagintsev kürzlich, dass ihm immer wieder in Russland vorgeworfen worden sei, in seinem letztem Film Leviathangäbe es keinen Gott“. Ein Umstand der, wie Zvyagintsev selbst bemerkte, ihm vor gar nicht so langer Zeit in der russischen Geschichte hätte auch als Vorteil ausgelegt werden können.

Dieses fluide System macht die Arbeit von innovativen Regisseuren wie Kirill Serebrennikov beinahe unmöglich, ohne sich eines Fehltrittes schuldig zu machen. Vielleicht hat er sich auch deswegen neulich den einhelligen Titel der deutschsprachigen Medien „kremlkritischer Regisseur“ verdient. Eine Bezeichnung verliehen, als sei sie ein besonderer Dienstgrad. Dabei ist Serebrennikovs Kritik viel komplexer, als es ihm durch diese Bezeichnung zugestanden wird. Es ist eine Kritik am Leben erfüllt von weiblicher Machtlosigkeit, menschlicher Verrohung und der nimmer endenden Angst vor der eigenen und kollektiven Perspektivlosigkeit. Darüber wird kaum gesprochen. Gerne reduziert man Serebrennikovs Filme auf seine politische Haltung und seine sexuelle Orientierung. Überheblich meint die deutschsprachige Presse, ihm damit einen Gefallen zu tun. Es beschleicht einen dabei jedoch das Gefühl, dass man in der gegenwärtigen Auseinandersetzung mit den aktuellen Ereignissen immer noch nicht auf die Inhalte der Filme, sondern in erster Linie auf ihre politische Brisanz zu schauen scheint. 

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