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Kolumnen

Ein Plädoyer wider die Respektlosigkeit

Ein Beitrag von Urs Spörri

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Der Berlinale Palast
Der Berlinale Palast

Die 81 mutigen Unterzeichner des offenen Berlinale-Briefes verdienen Respekt. Geerntet haben sie jedoch Anfeindungen und Unterstellungen. Woher rührt diese Respektlosigkeit gegenüber unseren Filmschaffenden? Liegt diese vielleicht gar im System der deutschen Filmlandschaft begründet? Ein Plädoyer.

Was ist nicht alles geschrieben worden im Nachgang zu dem offenen Brief der inzwischen 81 Filmemacherinnen und Filmemacher zur Berlinale-Neubesetzung 2019. Unterstellungen und persönliche Diffamierungen bis an den Rand der Rufschädigung waren in der medialen Berichterstattung an der Tagesordnung. Oft verbunden mit mehr oder minder offensichtlichen eigenen Agenden der Verfasser: Mal sollte eine weitere Rolle Dieter Kosslicks nach 2019 verhindert werden, mal sollte Medienboard-Chefin Kirsten Niehuus angegriffen werden. Andere attackierten Christoph Hochhäusler als Vorsprecher des Filmemacher-Zusammenschlusses oder diffamierten gleich die gesamte Berliner Schule, der er als Regisseur zugerechnet wird.

Dabei ähneln sich alle diese Berichte auf eine Weise: Sie sind im Kern respektlos. Respektlos einerseits gegenüber der Lebensleistung Dieter Kosslicks und dessen Berlinale-Team, respektlos gleichermaßen gegenüber den 81 Kreativen, die sich zu diesem gemeinsamen Schritt entschlossen haben. Diese 81 sind ein Zusammenschluss von Dutzenden Filmemachern, von Alt und Jung – die sich zwischen großem Erfolg und Existenzminimum bewegen. Erfahrene Berlinale-Recken reihen sich an leidenschaftlich kämpfende Neulinge. Es ist bemerkenswert, dass sich diese unterschiedlichen Generationen und Weltsichten (künstlerisch wie politisch) auf einen gemeinsamen Nenner verständigen konnten. Und überhaupt zusammen an einen Tisch kamen.

Warum ist dies so bedeutsam? Warum würdigt man nirgends die Aktion der 81 ausschließlich als das, was sie ist? Matthias Dell hatte in seinem Artikel in der Freitag den (wie er selbst schrieb) „ketzerischen“ Vergleich des Berlinale-Briefes mit dem Protest von DDR-Kulturschaffenden 1976 gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns gewagt. Ein solcher Vergleich ist natürlich von Bedeutung und Ausmaß unzulässig, aber eines trifft er im Kern: Hier wie dort – oder beim Oberhausener Manifest mit seiner 1962 ausgerufenen Parole „Papas Kino ist tot“ – haben sich Künstlerinnen und Künstler, die sich fast alle aus dem Überlebensdruck von Projekt zu Projekt ein Leben lang als Einzelkämpfer beweisen müssen, in einem einmaligen Schritt zu einer gemeinsamen Aktion zusammengefunden. Die Berlinale will politisch sein, das ist ihr Anspruch. Wenn sich die Filmregisseure unseres Landes nun ihretwegen verbünden, dann ist der Kernanspruch der Berlinale eigentlich erfüllt: Sie politisiert eine zunehmend unpolitischere Gesellschaft und holt selbst die jüngeren Generationen ab, denen man ja immer wieder (film-)politisches Desinteresse vorgeworfen hat. Das Bashing gegen den Zusammenschluss der Filmemacherinnen und Filmemacher, dieser Schulterschluss einiger großer Player der Filmbranche gegen die vermeintlich kleinen Aufrührer führt nur zu einer Stilisierung à la David gegen Goliath und könnte die entstandene – explizit positiv zu deutende Politisierung und Einmischung – im Keim ersticken. Und das ist weder gut für unsere Demokratie noch für das System des bundesdeutschen Filmschaffens.

Das Schönste an dem gemeinsamen Brief ist: Die Berlinale ist all diesen 81 Filmemacherinnen und Filmemachern nicht gleichgültig. Sie alle lieben Filme. Und sie opfern sich jahrelang für ihre Herzensprojekte auf, die dann durch nicht vorhandenes Marketingbudget im Kino häufig untergehen neben den aufmerksamkeitsträchtigen Blockbustern des Mainstream- wie des Arthouse-Bereichs. Filmfestivals sind die Plattform für viele Filmschaffende geworden, auf der sie die ihnen zustehende Anerkennung und das Publikum erhalten. Das ist sicherlich ein entscheidender Grund dafür, warum die Berlinale für die meisten Cineasten unseres Landes eine so große Anziehung auslöst. Trotz der Eiseskälte, der quer durch die Stadt verteilten Kinos und dem langen Schlangestehen für Eintrittskarten. Es ist die Liebe zum Kino, die sich auf Filmfestivals widerspiegelt. Warum haben Festivals einen so großen Boom erfahren wie in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten? Weil sie etwas bieten, was außerhalb nur schwer zu finden ist: Kuratiertes Programm, Gespräche mit den anwesenden Filmemachern und mit anderen Besuchern unter Anleitung über Gesehenes zu diskutieren. Deshalb funktionieren Filme auch ohne Marketing als „Festivalfilme“. In freier Wildbahn sind sie jedoch qua Budget verloren auf weiter Flur.

Ich stehe zu meiner schon oft in dieser Kolumne geäußerten Haltung: In Deutschland entstehen mehr sehenswerte Filme pro Jahr, als öffentlich wahrgenommen wird. Selbst innerhalb der Branche sagt dies selten jemand, da auch unter den Vornominierten für den Deutschen Filmpreis (in Fachkreisen „die Kiste“ genannt) nie alle diese Perlen des Jahrgangs abgebildet sind. Die gibt es häufig nur auf Filmfestivals zu sehen. Der deutsche Film hat kein Qualitätsproblem, er hat meiner Ansicht nach auch kein Quantitätsproblem. Er hat ein Vermittlungsproblem.

Und offensichtlich liegt der Fehler im System. Wie kommt es, dass Edgar Reitz vor anderthalb Jahren als Schirmherr des Lichter Filmfests Frankfurt sinngemäß ausrief, dass die Filmförderung von heute nichts mehr mit den eigentlichen Zielen der Oberhausener zu tun habe? Dass der Einfluss des Fernsehens auf das Kino zu hinterfragen sei? Und fast jeder in der Branche dem zustimmt: Selbst (aus verständlichen Gründen anonyme) Akteure aus Förderanstalten und Fernsehredaktionen sind dieser Meinung, und Filme über die Problematik ernten Zuspruch; beispielsweise Dominik Grafs und Johannes F. Sieverts Verfluchte Liebe Deutscher Film und Offene Wunde Deutscher Film, die sich im Kern mit dem vernachlässigten Genrefilm beschäftigten.

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(Trailer zu Verfluchte Liebe Deutscher Film)

Viele Stellschrauben liegen falsch im deutschen Fördersystem: An erster Stelle können nur die wenigsten Filmschaffenden von ihren Filmen leben. Regisseure, Schauspieler, Menschen hinter der Kamera. Sie alle zittern sich von Projekt zu Projekt. Bis meist die Familiengründung und existenzielle Nöte ihren Weg fort vom Kinoschaffen führen. Für die Filme selbst ist aus meiner Sicht fatal, dass die letzte Auszahlungsrate an Produzenten heutzutage verpflichtend erst nach Kinostart erfolgt – dies verhindert eine ausführliche Festivaltour, die insbesondere den qualitativ hochwertigen „Festivalfilmen“ eine angemessene Mundpropaganda und anschließend Publikum bescherte. Dass der DFFF seine Förder-Leitlinien auf für die breite Masse der Filmschaffenden unerreichbare Quoten heraufgesetzt hat, erscheint wie ein absichtlich herbeigeführter Affront (bei Spielfilmen: „Zur Sicherung des wirtschaftlich erfolgreichen Qualitätsfilms sollte die FFA grundsätzlich nur noch fiktionale Langfilmprojekte mit einem Gesamtbudget von mindestens 2,5 Mio. Euro und einem Potential von mindestens 250.000 Besuchern fördern.“ / bei Dokumentarfilmen: „Zur Sicherung des wirtschaftlich erfolgreichen Qualitätsfilms sollte die FFA grundsätzlich im Dokumentarfilmbereich Projekte mit einem Gesamtbudget ab 500.000 Euro und einem Potential von mindestens 50.000 Besuchern fördern.“). Dass pro Jahr rund 100 fertig ausgebildete Regisseurinnen und Regisseure aus den Filmhochschulen auf den Markt strömen und das Nachwuchssystem der deutschen Förderungen im Grunde ein Verhinderungssystem ist, durch das junge Talente höchst selten anschließend in die „Profi-Branche“ aufgenommen werden müssen – es kommen ja jährlich ausreichend neue Talente nach, die für weniger Geld ihre ersten beiden Filme realisieren. Dass die Tatort-Verantwortlichen der ARD künftig „Experimente“ auf zwei pro Jahr beschränken wollen, obwohl dies der einzige Programmplatz mit garantiertem großen Publikum ist – gleichzeitig sich Redakteure über mangelnden Mut deutscher Drehbuchautoren beschweren. Überhaupt: Dass Filmverleiher und Fernsehanstalten bereits auf Drehbuch- oder gar Treatmentbasis sich zu einem Projekt verpflichten müssen und dadurch die Qualität des fertigen Films für die eigentlichen Auswerter entsprechend nur mehr eine untergeordnete Rolle spielt, ist außerhalb Deutschlands ohnehin nicht verständlich.

Liegt die Respektlosigkeit gegenüber unseren heutigen Filmemacherinnen und Filmemachern also vielleicht sogar im System begründet? Und wäre es nicht an der Zeit, einmal das komplette System zu hinterfragen, zu durchleuchten und wissenschaftlich unterfüttert zu bewerten?

Beim Internationalen Lichter Filmfest Frankfurt und dem DokFest Kassel gab es 2017 bereits vorbereitende runde Tische für einen Kongress mit dem Titel „Zukunft Deutscher Film“, der vom 5. bis 7. April 2018 in Frankfurt am Main stattfindet und an dem der Autor dieses Textes organisatorisch als Vertreter des kooperierenden Deutschen Filminstituts beteiligt ist. Für besonders interessant halte ich die dort behandelte Frage: Wie gehen eigentlich unsere europäischen Nachbarn mit den Fragen der Filmförderung um? Wo liegen Vor- und Nachteile in deren Systemen? Diese können dann im Rahmen des Kongresses in einem „Forum Europa“ öffentlich beleuchtet und diskutiert werden. Als Ergebnis sollen im Dialog mit den anwesenden Filmschaffenden konkrete Handlungsempfehlungen für die hiesigen politischen Entscheider entwickelt werden.

Filmemachen ist Arbeit. Aber es ist weit mehr als das: Wer einmal mitgewirkt hat, um sein eigenes Projekt gekämpft hat, jahrelang für einen Hungerlohn eine Idee bis zur Vollendung und vorbei an allen Widrigkeiten des deutschen Fördersystems zum Leben erweckt hat; wer ein schlecht bezahltes Team zu Begeisterungsstürmen und leidenschaftlicher Beteiligung gebracht hat, monatelang in der Montage gefeilt hat; wer teilweise jahrelang auf Finanzierung gewartet hat, Kämpfe mit Redakteuren und Förderern ausgefochten hat – der darf aus meiner Sicht nicht so respektlos attackiert werden, wie es im Rahmen des offenen Berlinale-Briefes geschehen ist. Filmemacher geben so vieles auf für ihre Leidenschaft – obwohl sie häufig keine Perspektive im deutschen Kino haben. Und trotzdem schenken sie uns mit ihrem Herzblut die Filme, die so lange in ihnen gegärt haben. Eigentlich unfassbar. Und wenn sie schon einmal den Mut gefasst haben, sich allen Risiken zum Trotz zusammenzuschließen und für eine gemeinsame Sache politisch einzutreten, dann sollten wir vor allen Dingen eines tun: Wir sollten sie ernst nehmen. Das sind wir ihnen schuldig.

Lassen wir diese Flamme des politischen Engagements unserer Filmemacherinnen und Filmemacher nicht erlöschen. Sie sind zu Einzelkämpfern am Existenzminimum erzogen worden und haben sich nun erstmals seit vielen Jahrzehnten vereint – 55 Jahre nach dem Oberhausener Manifest. Wir sollten auf ihre Stimme hören und sie viel häufiger befragen.

(Urs Spörri)

Urs Spörri kuratiert und moderiert deutschsprachige Kinoreihen im Deutschen Filmmuseum in Frankfurt/M., vor allem in Kooperation mit der Fachzeitschrift epd film die Filmreihe „Was tut sich — im deutschen Film?“ samt ausführlichen Werkstattgesprächen mit den Filmemachern. Seine regelmäßigen Festivalstationen sind das Filmfest München, der Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken, die Berlinale, das Festival des deutschen Films in Ludwigshafen sowie die Hofer Filmtage. Außerdem hat er selbst jahrelang das FILMZ Festival in Mainz in führender Position mitverantwortet.

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