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Kolumnen

Der bessere Avatar

Ein Beitrag von Rochus Wolff

„Drachenzähmen leicht gemacht“ gilt gerne mal als leichtfüßiger Kinderfilm. Für Rochus Wolff steht er in direktem Vergleich zu einem der größten Kolosse der Filmgeschichte – und ist um Meilen besser.

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Drachenzähmen

„Drachenzähmen leicht gemacht“ gilt gerne mal als leichtfüßiger Kinderfilm. Für Rochus Wolff steht er in direktem Vergleich zu einem der größten Kolosse der Filmgeschichte – und ist um Meilen besser.

Was gab es damals für eine Aufregung um diesen Film. Avatar – Aufbruch nach Pandora ist vielleicht der Höhe- und Scheitelpunkt des technokratisch aufgemotzten Blockbusterkinos, der Monumentalfilme des frühen Digitalzeitalters. Wie Michael Bay in Transformers hat James Cameron in Avatar neben menschlichen Filmstars vor allem ein Lichtermeer der visuellen Effekte zum Leuchten gebracht. Dafür wurde alles aufgeboten, was die Technologie des Jahres 2009 zur Verfügung stellte: Motion Capture auf der Höhe der Zeit und natürlich 3D-Effekte höchster Qualität. Nur die Handlung und die Figuren, da steht Avatar Bays Roboter-Epen in nichts nach, sind doch eher holzschnittartig, eindimensional und, seien wir ehrlich: uninteressant.

Drei Monate nach Camerons Monstrosität kam Drachenzähmen leicht gemacht ins Kino, ein im Verhältnis unauffälliger, geradezu bescheidener Animationsfilm, der sein Publikum vor allem bei Kindern sucht und erst einmal etwas ganz anderes zu erzählen schien. Aber als ich im Frühjahr 2010, die 3D-Brille womöglich noch schief auf die Stirn geschoben, aus einer Pariser Kinovorstellung des Films kam, konnte ich das Gefühl nicht abschütteln: Ich hatte gerade den besseren Avatar gesehen. Und dieses Gefühl besteht – ich war ja auch nicht der einzige, der diesen Gedanken hatte – 8 Jahre später immer noch.

In Drachenzähmen geht es um den Wikingerjungen Hicks, der – Wickie lässt grüßen – als Sohn des Stammeshäuptlings so gar nicht nach dem Vater geraten will. Wo dieser mutig, stark und laut ist, bleibt Hicks nachdenklich, schüchtern und schwächlich. Die Wikinger seines Dorfes werden regelmäßig von Drachen terrorisiert, und auch Hicks will sich endlich beweisen. Er baut eine Art Kanone mit Fangnetz und kann damit auch tatsächlich einen Drachen vom Himmel holen; nur sieht das leider niemand, weil es Nacht ist und der Drache schwarz.

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Am nächsten Tag sucht er nach dem zu Fall gebrachten Reptil und entdeckt es tatsächlich im Wald, durch seine Seile wehrlos gefangen. Aber Hicks bringt es nicht über sich, den Drachen zu töten – stattdessen lässt er ihn frei, freundet sich mit „Ohnezahn“ an und lernt schließlich sogar, auf ihm zu reiten. Das geht allerdings natürlich nur so lange gut, wie die anderen Wikinger nichts von seinem besonderen Gefährten erfahren.

Auch Avatar – Aufbruch nach Pandora erzählt ja von einem Konflikt zwischen zwei Gruppen, aber aus der Sicht der Aggressoren: Es sind die Menschen, die gewaltsam in den Lebensbereich der Na’vi, den Mond Pandora, eindringen, um dort einen seltenen Rohstoff abzubauen. Und wie es Menschenart ist, wissen sie sich nicht anders als mit Gewalt zu helfen. Der Soldat Jake Sully wird in einen „Avatar“ versetzt, einen Na’vi-Körper, der quasi durch sein Bewusstsein ferngesteuert wird – und beginnt so zu verstehen, dass die Na’vi nachgerade körperlich mit ihrer Welt in einer Einheit leben. Sully wird schließlich die Stämme der Na’vi vereinen und den erfolgreichen Kampf gegen die Menschen anführen.

Avatar ist natürlich alles andere als ein Kinderfilm, aber er nervt mich allein schon dadurch, dass er sich so wahnsinnig ernst nimmt. Hier ist alles Überlebenskampf und Militarismus, die Mienen sind ernst, die Aufgaben unironisch essentiell (bis in den Namen „Unobtainium“ hinein), und jede Lebensfreude ist allenfalls behauptet oder wird durch visuelle Effekte behauptet, die die Wahrnehmung des Zuschauers in ihrer Brillanz erschlagen möchten. Die aufgeblasene Naturmystik, die der Film zu seiner zentralen Botschaft macht, trieft aus der Handlung heraus und wird zugleich vom Bombast dieser zutiefst künstlichen Unterhaltungs-Monstrosität wieder erschlagen.

Wie wenig sich Avatar an seine eigene Botschaft, betrifft nicht nur die Künstlichkeit des filmischen Unterfangens. Es spiegelt sich auch in der nachgerade erotischen Aufwertung des Militärischen und in dem Umstand wider, dass die Na’vi nach ihrem Sieg keineswegs in ihren mystischen Naturzustand zurückfallen. Das größte Problem daran ist, dass die Na’vi (im Film durchgehend als nicht-weiße „Eingeborene“ markiert und im Original auch von nicht-weißen Schauspieler_innen verkörpert) nur gerettet werden können, weil einer der Unterdrücker (größtenteils weiß, größtenteils männlich) sich nicht nur in eine Na’vi-Frau verliebt, sondern ganz und gar die Seiten zu wechseln bereit ist.

Es ist die klassische Rettungsphantasie des weißen Mannes: „This is the essence of the white guilt fantasy, laid bare. It’s not just a wish to be absolved of the crimes whites have committed against people of color; it’s not just a wish to join the side of moral justice in battle. It’s a wish to lead people of color from the inside rather than from the (oppressive, white) outside.“ (Annalee Newitz)

Der entscheidende Unterschied zu Drachenzähmen leicht gemacht liegt für mich darin, dass Sully erst erkennen kann, dass den Na’vi Unrecht geschieht, als er einer von ihnen wird und noch dazu (romantische) Liebe (ganz nach menschlichen Idealen) findet. Hicks hingegen begreift, dass es einen anderen Umgang mit den Drachen geben muss, weil er zu Empathie imstande ist. Als Astrid, das mutigste Mädchen im Dorf, ihn fragt, warum er Ohnezahn nicht getötet habe, spricht er erst von sich als feige und schwach – noch ganz in den Begriffen der Wikinger verhaftet. Und dann kann er sich doch davon lösen: „Ich wollte ihn nicht umbringen, weil er genau so viel Angst hatte wie ich. Als ich ihn angesehen habe, da sah ich mich selbst.“

Empathie empfinden zu können, aber ohne die Notwendigkeit, erst in die Haut der anderen schlüpfen zu müssen: Drachenzähmen leicht gemacht ist in seiner emotionalen Komplexität und Größe wesentlich erwachsener als Avatar. Warum kann ein Kinderfilm diese Tiefe mitbringen, aber ein Film für Erwachsene schafft es nicht, seine eigene Botschaft zu hinterfragen?

Zumal Drachenzähmen ja auch in anderer Hinsicht so viel leichtfüßiger ist als Avatar. Er ist witzig und selbstironisch – keine der Figuren nimmt sich hier so richtig ernst, mit einer Ausnahme: Hicks Vater Haudrauf der Stoische, der aber zugleich lernen muss (und kann!), dass er sich geirrt hat. Aber auch über ihn macht sich der Film nie lustig, denn er ist von Sorge um sein Dorf getrieben – und lässt sich am Ende von seinem Sohn eines Besseren belehren. Um wieviel schlichter, eindimensionaler und schließlich lächerlicher sind da die Antagonisten von Avatar (allen voran Sullys Vorgesetzter Quaritch).

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Natürlich sind es auch bei Drachenzähmen am Schluss die Menschen, die gewissermaßen als Gewinner aus der Geschichte hervorgehen – die Drachen sind nun nicht mehr Ungeziefer, sondern „Haustiere“. Aber der Weg dorthin ist nicht nur komplexer als in Avatar, er schließt vor allem einen Lernprozess auf beiden Seiten ein – Menschen wie Drachen müssen feststellen, dass sie sich seit Generationen auf dem Holzweg befanden.

Für diesen Fortschritt bedarf es keiner Assimilation, keiner Auflösung in der Gruppe der anderen, sondern eines schlichten Aktes der Empathie. Diese Empathie auch für den ganz Anderen ist am Anfang des Films bei den Wikingern keineswegs gerne gesehen. Sie wird eigentlich wegtrainiert bzw. gar nicht erst als Möglichkeit ins Auge gefasst. In dieser Hinsicht ist Drachenzähmen eine Kritik eben jenes militaristischen Blicks, der nur trennscharfe zwei Seiten kennt: Wir und die Anderen – eines Blicks, den Avatar nie ablegen kann.

Natürlich hat auch Drachenzähmen seinen Endgegner und seine Kampfszenen am Schluss. Das ist visuell vor allem in 3D wirklich überwältigend, und deshalb kann Drachenzähmen dem Cameron’schen Ungetüm auch in Sachen Schauwerte durchaus das Wasser reichen: In atemberaubenden Flugszenen durch fantastische Felsenlandschaften, die von Freude getragen sind und frei von militärischem Gerät.

Der Überdrache, gegen den Ohnezahn und Hicks am Schluss kämpfen, unterdrückte die Drachen – und gefährdete so indirekt auch die Menschen. Gemeinsam diesen klaren Feind zu bekämpfen – und dann friedlich gemeinsam zu leben: Darin kulminiert Drachenzähmen leicht gemacht, darin liegt seine Botschaft. Eine bessere Welt ist möglich. Das muss doch auch außerhalb des Kinderfilms vorstellbar sein.

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