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Kolumnen

Backlash

Ein Beitrag von Sonja Hartl

Zwei Jahre nach dem Weinstein-Artikel in der New York Times gewinnt Roman Polanski einen Preis bei den Filmfestspielen von Venedig. War #Metoo nur eine Momentaufnahme?

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Women's March 2017 in Washington D.C.
Women's March 2017 in Washington D.C.

Schon wieder eine Kolumne zu #Metoo? – das war mein erster Gedanke, als mir auffiel, dass mein Kolumnentermin zwei Tage vor dem zweiten Jahresstag des Weinstein-Artikels der New York Times liegt. Will wirklich noch jemand etwas dazu lesen? Haben wir alle nicht langsam genug? Vielleicht spüren noch andere diese leichte Müdigkeit und Ausgebranntheit, die ich bei mir selbst feststelle. Zugleich gibt es immer mehr Zeichen für einen Backlash, der nun einmal unweigerlich auf jeden feministischen Fortschritt erfolgt.

Eine Studie aus den USA hat ergeben, dass seit #Metoo mehr Männer vermeiden, mit Frauen zusammenarbeiten, sie zögern, eine Frau einzustellen, vor allem, wenn es eine attraktive Frau ist. Ein Jahr, nachdem beim Filmfestival in Venedig die Paritätsabsicht 50/50 bis 2020 unterschrieben wurde, laufen dort nicht nur Filme von Roman Polanski und Nate Parker, sondern der Film des Mannes, bei dem unstrittig ist, dass sexualisierte Gewalt stattgefunden hat, gewinnt den zweitwichtigsten Preis. Darüber hinaus gelingt es Beschuldigten wie Louis CK, James Franco, Bryan Singer, ihre Karriere fortzusetzen. Deshalb gibt es nun wieder eine Kolumne zu #Metoo, deshalb schiebe ich meine Müdigkeit beiseite. #Metoo ist nämlich keine emotionale, moralische Empörungswelle, die vor allem Männer überrollt hat, sondern eine politische Bewegung. 

Daran muss offenbar zwei Jahre nach dem Artikel erinnert werden. Ein Backlash bei feministischen Bewegungen beinhaltet fast immer, dass Angemessenheit, Vernunft und Seriosität angeführt werden, die dieser scheinbaren emotionalen Bewegung fehlen – das steht im Kern der altbekannten „nun ist aber auch mal gut“-Rhetorik, nach der alle wieder zu den bekannten sozialen Verhaltensweisen zurückkehren können. Frauen werden auf ihre Plätze zurückgewiesen, Männer behalten die Macht und den Raum, in dem sie in den vergangenen zwei Jahren widerwillig ein wenig Platz gemacht haben. Das wäre auch eine Deutung für das Programm der diesjährigen Filmfestspiele in Venedig. Doch dazu tritt noch eine andere Überlegung, die ich nicht wirklich loswerde: Vielleicht ist es ein kalkulierter Skandal. Allein mit der Einladung an Polanski war die Empörung garantiert und Empörung bedeutet nun einmal Aufmerksamkeit. Vielleicht müssen wir hier einen anderen Umgang finden: Empörung über die Einladung für Polanski, seinen Film indes ignorieren. Das geht ja mit so vielen anderen Filmen auch, die nicht von weißen Männern stammen und deshalb ignoriert werden. Kanon ist ein Konstrukt; Wertigkeit wird oft von außen zugesprochen.

 

Das Werk, der Künstler und andere Lügen 

Immerhin lässt sich mit der Einladung Polanskis und Parkers ein Argument gegen #Metoo widerlegen: die öffentliche Beschuldigung kommt offenbar keiner Vorverurteilung gleich, die eine Karriere dauerhaft beschädigt. Roman Polanski wurde 1977 wegen der Vergewaltigung einer Minderjährigen angeklagt, dreht aber weiter Filme, die in Kinos laufen und besprochen werden. Seither wurde er von fünf Frauen der sexualisierten Gewalt beschuldigt, aber das wird nur selten erwähnt oder gar wahrgenommen. Stattdessen wird angeführt, „nun sei aber auch mal gut“, außerdem müsse man das Werk von dem Künstler trennen.

Mugshot von Roman Polanski 1977; Gemeinfrei
Mugshot von Roman Polanski 1977; Gemeinfrei

Jedoch wird diese Trennung nur gefordert, wenn man jemanden von seinen Missetaten freisprechen will und sich selbst gleich noch dazu. Denn sonst müsste man sich ja eingestehen, dass man das Werk über menschliches Verhalten stellt und jemanden gut findet, der bspw. Kinder misshandelt hat. Abgesehen davon werden ja gerade Männer – also konkrete Menschen – wegen ihres Werks als Genie verehrt, da trennt man auch nicht das Werk von der Person. Eng damit zusammen hängt übrigens auch der Einwand, Kunst hätte nichts mit Politik zu tun. Aber da sei nur auf George Orwell verwiesen: „Wenn man behauptet, Kunst solle nichts mit Politik zu tun haben, so ist das schon eine politische Haltung.“ 

Und bei #Metoo geht es um Politik, es geht um die Gesellschaft, es geht um ein System, in dem Frauen systematisch ausgebeutet und misshandelt werden. Ein System, das es eben nicht nur in der Filmbranche gibt, sondern in allen anderen Arbeitsbereichen auch. Deshalb kann man nun zwei Jahre nach #Metoo nicht wieder zu den bekannten Rechtfertigungen und Verharmlosungen zurückkehren, die in den vergangenen Jahrzehnten dazu beigetragen haben, dass über sexualisierte Gewalt nicht gesprochen wird und in dem vornehmlich Männer anderen Menschen Gewalt angetan haben.

 

DEr Mechanismus eines sexistischen Systems 

In den USA ist das Buch She said der Journalistinnen Jodi Kantor und Megan Twohey erschienen, in dem sie von ihren Recherchen zu Weinstein schreiben – packender als jeder Journalismusthriller, ich hoffe sehr auf eine Verfilmung. Hierin zeichnen sie detailliert mit vielen Belegen nach, wie es Harvey Weinstein geschafft hat, jahrelang Frauen Gewalt anzutun, ohne dafür belangt zu werden. 

She Said; Penguin Press
She Said; Penguin Press

Dazu beigetragen haben die vielen NDAs (Non-Disclosure-Agreements), Geheimhaltungsvereinbarungen, die mit den Frauen getroffen wurden. Vereinbarungen, in denen Frauen einwilligen, alle Beweismittel für den Vorfall dem Beschuldigten auszuhändigen, niemals über den Vorfall zu sprechen und die gegnerische Partei zu verständigen, wenn sie kontaktiert werden sowie aktiv dazu beizutragen, die Vorwürfe zu zerstreuen. Beraten werden diese Frauen von AnwältInnen, die nur im Erfolgsfall bezahlt werden und 40 Prozent der Summe bekommen, während ein Prozess mit ungewissem Ausgang Geld kostet. Es ist wie eine Industrie, an der Anwältinnen wie Lisa Bloom und Gloria Allred verdienen, die sich vordergründig für misshandelte Frauen einsetzen, im Hintergrund aber diese Vereinbarungen aushandeln und im Falle Lisa Blooms Harvey Weinstein vor der Veröffentlichung eine Mail mit Verteidigungsstrategien schreiben. 

Dazu beigetragen hat, dass die Männer, die im Vorstand der Weinstein Company saßen, nur das wirtschaftliche Wohl der Firma im Auge hatten. Dass Bob Weinstein seinen Bruder als Süchtigen gesehen hat und aufgrund eigener Suchterfahrungen überzeugt war, er müsse selbst einsehen, dass er Hilfe braucht. Harvey Weinstein hat Verbündeten Filmkarrieren versprochen und sich als einer der falschesten fake allies entpuppt, die man sich vorstellen kann: Er hat für eine Gloria-Steinem-Professur gespendet, seine Firma hat The Hunting Ground vertrieben, ein Dokumentarfilm, in dem es um sexualisierte Gewalt auf dem Campus geht, er hat 2017 sogar an dem Women’s March während des Sundance Film Festivals teilgenommen. 

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Doch nicht das Verhalten Harvey Weinsteins ist unglaublich, sondern wie viele Frauen und Männer ihm geholfen haben, die Übergriffe zu verschleiern. Umso bemerkenswerter ist der Mut, den die ersten Frauen aufgebracht haben, die für diesen Artikel in der New York Times „on the record“ gegangen sind. Wenn selbst erfolgreiche, wohlhabende Frauen wie Gwyneth Paltrow zögern, ob sie darüber öffentlich sprechen sollen, zeigt sich, wie hoch das Risiko empfunden wird. Letztlich war es bei den Schauspielerinnen nur Ashley Judd, die zugestimmt hat, in dem ersten Artikel namentlich genannt zu werden. Das ist kein Urteil über die anderen Frauen, aber es zeigt, wie Kontrollmechanismen funktionieren, wie sehr sie internalisiert sein können und wie sich das Klima verändert hat.

 

Hollywood Movie Girls

Insbesondere bei Schauspielerinnen ist zudem zu sehen, wie es ist, in einer Welt zu leben, in der man als sexualisiertes Objekt gesehen wird. Schon als Mädchen bewundert man die Frau auf der Leinwand, Fantasiegebilde – allzu oft ersonnen und inszeniert von Männern –, denen man nacheifern will. Mädchen wollen Schauspielerinnen werden, sie erhoffen sich ein Leben, in dem auch sie bewundert werden, reich und verführerisch sind. Dann – so eine Überlegung Ashley Judds – können diejenigen, die es geschafft haben, über die erfahrenen Belästigungen, die absurden Schönheitsstandards und Prozeduren, die sie über sich ergehen lassen, nicht reden. Es wäre eine Form der Selbstsabotage, dass der Traum, den sie nun leben, für den sie viel aufgegeben haben, alles anderes als schön ist. 

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Tatsächlich arbeiten sie in einer Industrie, in der Männer mächtig sind und die Wahrnehmung von Schauspielerinnen lange Zeit bestimmt haben. Das zeigt sich schon am Begriff „Casting Couch“, der doch letztlich nur verniedlicht, was angeblich passiert: Frauen sind weitaus mächtigeren Männern sexuell gefügig, um eine Rolle zu bekommen. In dem verschwundenen Sexstummfilm Casting Couch aus dem Jahr 1924 ist ein junges Mädchen einem Zigarre rauchenden Produzenten zu Willen und unterschreibt anschließend einen Filmvertrag. Louis B. Mayer hat Judy Garland belästigt. Harry Cohn wollte Kim Novak nicht besetzen, solange sie nicht „im Bett vorspricht“. Tippi Hedren hat in ihrem Buch geschrieben, dass Alfred Hitchcock sie belästigt hat. Marilyn Monroe beschreibt Hollywood so:

“I met them all. Phoniness and failure were all over them. Some were vicious and crooked. But they were as near to the movies as you could get. So you sat with them, listening to their lies and schemes. And you saw Hollywood with their eyes — an overcrowded brothel, a merry-go-round with beds for horses.”

Dennoch war der Begriff „Casting Couch“ lange ein Synonym für schlüpfrige Geschichten, der dahinter liegende Machtmissbrauch wurde übersehen. Stattdessen ist der Eindruck entstanden, Schauspielerinnen würden alles für eine Rolle tun. Dieser Satz wurde immer wieder als Entschuldigung im Fall Harvey Weinstein angeführt. Dazu kommt, dass Frauen ohnehin seltener geglaubt wird als Männern. Aber es zeigt eben auch, wie sexistisch die Filmindustrie ist.

The Casting Couch (1924); Rechteinhaber unbekannt
The Casting Couch (1924); Rechteinhaber unbekannt

 

Das alles sind Bausteine eines Systems, das letztlich dazu dient, sexualisierte Gewalt zu ermöglichen und zu dulden, sie kleinzureden und zu rechtfertigen. Sie „gehört dazu“, es sei „locker room talk“, eine Jugendsünde. An diesem System wurde in den vergangenen zwei Jahren in den USA leicht gerüttelt: der Richter, der einen Sexualstraftäter zu einer lächerlichen Strafe von sechs Monaten verurteilt hatte, wurde abgewählt. In Kalifornien ändern sich gerade die Verjährungsstrafen bei sexualisierten Straftaten. Aber es besteht weiterhin und wird von vielen verteidigt.

Außerdem scheint die Diskussion in den USA viel größer zu sein als hierzulande. Allein dass Roman Polanskis Film gefeiert wird, beweist, dass der Geniekult in Europa immer noch so mächtig ist, dass bestimmte Männer alles tun dürfen. Sicherlich lassen sich die Filmindustrien, die gesellschaftlichen und politischen Strukturen nicht übertragen. Dennoch ist auffällig, dass es im Vergleich zu der US-amerikanischen Filmindustrie innerhalb der europäischen Filmindustrie viel weniger Vorwürfe und Ermittlungen gibt. Doch heißt das, dass das Problem in den USA so viel größer ist? Oder ist es vielmehr das Schweigen, das größer ist?

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