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Kolumnen

Auf den Kokswellen des Drogenthrillers

Ein Beitrag von Sonja Hartl

Als würde die Zeit stillstehen: In Escobar: Paradise Lost wird die Geschichte der Ergreifung des meist gesuchten Drogenhändlers der 1980er Jahre aus der Sicht eines Surfers erzählt.

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Surfing

Eines Surfers, gespielt von Josh Hutcherson, der sich in eine Nichte des Mannes verliebte, der die Drogenproduktion industrialisierte, zu seinen besten Zeiten der erfolgreichste und größte Kokainhändler der Welt war und 80 Prozent des internationalen Marktes kontrollierte.

Sicherlich kann man die spannende Geschichte Escobars zugunsten der naiven Perspektive des Surfers aufgeben und der Frage ausweichen, warum dann nicht ein fiktiver Drogenboss genommen wurde, aber weder erzählerisch noch filmisch hat Escobar: Paradise Lost einen neuen Ansatz zu bieten. Vielmehr ist dieser Film ein weiteres Beispiel dafür, dass sich Thriller über Kokainhandel kaum weiterentwickeln.

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(Trailer: Escobar: Paradise Lost von Andrea Di Stefano)

 

Im Grunde genommen gibt es zwei Handlungsmuster: In dem ersten steht ein Ermittler im Zentrum, der einen Drogenhändlerring aufdecken will. Kokain kommt aus Lateinamerika, die USA sind größter Konsument, daher sind die Ermittler meist aus den Staaten. Schon in Orson Welles‘ Im Zeichen des Bösen (1958) wurde Mexiko als Ursprungsort der Drogen ausgemacht und die Grenzregion als Handlungsort ausgewählt. Bemerkenswerterweise war in diesem Film der aufrechte Polizist der von Charlton Heston gespielte mexikanische Drogenfahnder, während der amerikanische Sheriff korrupt war.

Spätestens seit Traffic (2001) ist indes die Korruption in mexikanischen Ermittlungs- und Staatsorganisationen ein gängiger Topos. Außerdem wächst der Bedarf an Kokain und die Bedeutung Lateinamerikas: Spielten bei Scarface aus dem Jahr 1932 Drogen gar keine Rolle, gründet sich Al Pacinos Aufstieg in dem Remake von 1983 in seinen Verbindungen zu einem kolumbianischen Drogenkartell. Ermittelten Gene Hackman und Roy Scheider in French Connection noch gegen Heroinschmuggel über Europa, gehen Don Johnson und Philip Michael Thomas in den 1980er Jahren in der Serie, sowie Colin Farrell und Jamie Foxx 2006 in dem Film Miami Vice, Harrison Ford in Das Kartell (1994), Don Cheadle in Traffic (2000) oder Denzel Washington und Mark Wahlberg in 2 Guns (2013) gegen lateinamerikanische Drogenkartelle vor, die seit den 1980er Jahren Hauptlieferanten der Drogen in die USA sind.

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(Trailer: 2 Guns von Baltasar Kormákur)

 

In diesen Filmen sind der Drogenhandel und der amerikanische ‚war on drugs‘ spannungsgebende Handlungselemente, sie liefern Anlass für Verfolgungsjagden, Machtstreitigkeiten und Undercover-Aktionen. Bemühungen, den tatsächlichen Bedingungen der Ermittlungen gegen Drogenkartelle ein Abbild zu verleihen, sind da schon seltener zu finden. Hier erweist sich weiterhin Soderbergs Traffic sowohl ästhetisch als auch erzählerisch als maßgebend. Kaum ein Thriller kommt ohne hell-flirrende Szenen von verlassenen Folterhütten in der Wüste von Mexiko (und Benicio del Toro) aus.

In dem zweiten Handlungsmuster wird ein lockerer, gutaussehender junger Mann mehr oder weniger unfreiwillig in den Drogenhandel verwickelt. Da die Handlungsorte häufig Länder mit Stränden sind, ist er meist auch Surfer. Schließlich ist Surfen kein günstiges Hobby, wird aber von lässigen Typen ausgeübt, die dem Klischee zufolge sowieso fast alle kiffen, deshalb ist Drogenhandel eine leichte und naheliegende Gelegenheit, Geld zu verdienen. Außerdem unterschätzt der unbekümmerte Surfer die Gefahr massiv, deshalb geraten beispielsweise Taylor Kitsch und Aaron Taylor-Johnson in Savages und Josh Hutcherson in Escobar: Paradise Lost in Lebensgefahr. Ihre Gegenspieler erscheinen anfänglich als Vater-, in seltenen Fällen wie Savages auch Mutterfigur, sind aber tatsächlich äußerst gefährlich.

Die Rolle des Surfers erlaubt zudem einen von außen kommenden, anfangs unbeteiligten Blick auf die Mechanismen des Drogengeschäfts. Verkaufen in Savages die Protagonisten Ben und Chon selbst seit einiger Zeit Drogen, erscheinen sie dennoch als die ‚Guten‘, die keine Menschen umbringen oder bedrohen, noch dazu ihren Stoff ökologisch korrekt anbauen. Durch ihren Erfolg werden sie zu einer Bedrohung der etablierten Kräfte und lernen die schmutzigen Seiten kennen.

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(Trailer: Savages von Oliver Stone)

 

In Escobar: Paradise Lost ist Nick Brady (Josh Hutcherson) gleich mehrfach unschuldig: Er will in Kolumbien eigentlich nur seinem Bruder helfen und surfen, verliebt sich dann aber in Escobars Lieblingsnichte. Durch ihn können die schöne Seite Kolumbiens, zugleich aber die Allgegenwart der Narcos und der überraschte Schrecken deutlich gemacht werden, der angesichts der Realität so manch einen befällt. Um den Drogenhandel als solchen geht es indes nur am Rande, er ist ein Handlungselement, der mit einem blutig-protzenden Lebensstil verbunden ist. Auch auf eine sehr reale Verbindung zwischen Surfen und Drogenhandel wird in Filmen kaum verwiesen. Beispielsweise in Brasilien bietet Surfen – neben Fußball – einen Weg aus den Favelas, die Kinder bekommen kostenlosen Unterricht und gestellte Ausrüstung, wenn sie regelmäßig zur Schule gehen. Damit erhalten sie eine Perspektive, fernab von Gewalt und Drogen.

Ob Cop oder Surfer – in den Drogenhandelthrillern gibt es zumeist eine positive Identifikationsfigur, durch die einerseits die Grausamkeit des Alltags herausgestellt, andererseits aber auch Hoffnung vermittelt werden soll. Die Fronten sind klar verteilt, der Blick deutet Vollständigkeit an, erweist sich aber oft als wiederholend. Erzählerische und filmische Neuansätze finden sich eher in Filmen, die sich auf einen Aspekt des Kokainhandels konzentrieren: In Gabriel Ripsteins 600 millas sind Drogenhandel, die Kartelle und Ermittlungen selbstverständlicher Teil der Realität in der Grenzregion zwischen den USA und Mexiko, deshalb kreuzen sich die Wege der beiden Protagonisten – ein junger mexikanischer Waffenschmuggler und ein ATF-Agent – unweigerlich, und ihre Begegnung führt Ripstein konsequent zu Ende. Darüber hinaus lässt er erkennen, dass die Bedeutung des Waffenhandels für den Kokainhandel zunimmt.

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(Trailer: 600 Miles von Gabriel Ripstein)

 

In Amal Escalantes Heli zerstört die brutale Allgegenwärtigkeit der Kartelle eine Familie und zugleich ist die Unausweichlichkeit der Gewalt zu spüren. In The Counselor verzichtet Ridley Scott auf gängige Handlungselemente und positive Figuren, sondern unterläuft die Seherwartungen an einen Thriller gänzlich. Diese elliptische Erzählweise könnte eine Möglichkeit sein, wie der Drogenthriller der Gegenwart aussehen könnte. Vielleicht findet aber auch hier die Innovation in einer Fernsehserie statt: Im August soll die Netflix-Serie Narcos über Pablo Escobar starten. Es gibt wohl kaum einen Stoff, der besser geeignet sein könnte, um über den Kokainhandel und seine Bekämpfung zu erzählen – sofern die richtige Form gefunden wird.

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