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Kolumnen

Auch Monstren wollen vorbereitet sein

Ein Beitrag von Rochus Wolff

Was passiert, wenn wir Kinder unvorbereitet mit Bildern aus dem Horrorkino konfrontieren? Ist das eigentlich eine gute Idee?

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Brightburn
Brightburn

Ein Anfang mit Schrecken: Nicht zum ersten Mal machte vor ein paar Wochen eine Meldung die Runde, in einem Kino in Großbritannien sei vor der Vorstellung eines „Peppa-Wutz“-Films „versehentlich“ u.a. die Vorschau zu dem Superhelden-Horrorfilm Brightburn gezeigt worden. Gleiche Geschichten hörte man aus anderen Ländern auch schon z.B. aus Vorstellungen von Peter Hase (als ob der nicht schon schrecklich genug wäre).

Für Eltern ist die Vorstellung gleich in doppelter Hinsicht erschreckend. Erstens: Wir halten das unter Umständen selbst kaum aus. Käme in dem Horrortrailer womöglich auch noch ein Kind zu Schaden (oder entpuppe sich, siehe anscheinend Brightburn, z.B. als das personifizierte Böse), macht uns das Albträume. (Ohne Scheiß, wir prüfen inzwischen vor jedem Fernsehkrimi, ob es darin um ermordete oder entführte Kinder geht; wir kriegen ja so schon nicht genug Schlaf.)

Und zweitens natürlich: Was macht das mit meinem Kind? Nicht alle Kinder können mit Angstmomenten im Film (und noch dazu im alle Sinne überwältigenden Kino) gut umgehen; die Verstörung, die eine so unvorbereitete Konfrontation bewirken kann, ist anschließend unter Umständen nicht mit ein paar beruhigenden Gesprächen zu beseitigen. Mit etwas Pech müssen daraufhin für längere Zeit jeden Abend sehr ernsthaft sehr lebendige Ängste diskutiert und bewältigt werden.

Das braucht, ganz ehrlich, kein Mensch.

Gleichwohl gab es im Anschluss an die oben beschriebene Meldung unter cinephilen Menschen durchaus Diskussionen darüber – sie kochen eh immer wieder auf –, ob es wirklich richtig sei, Kindern den Genuss von Horrorfilmen so lange vorzuenthalten, wie die FSK (und auch die gängigen pädagogischen Empfehlungen) es vorsehen. (Am Rande bemerkt: Die FSK verteilt auch Altersfreigaben für Filmtrailer.)

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Nicht jeder Grusel ist wohlig

Eines der Hauptargumente ist dabei oft ein autobiographisches, im Sinne von: „Das ist mir selbst so geschehen, und siehe, es hat mir nicht geschadet.“ So zutreffend diese Selbstwahrnehmung auch sein mag, verbunden vielleicht noch mit einer (leicht romantisierenden) Erinnerung an das damals eigentlich noch Verbotene – gerade wenn sie von großen Fans des Horrorkinos vorgebracht wird –, macht sie doch den Eindruck, als unterliege sie einer Wahrnehmungsverzerrung, der survivorship bias. Damit ist das kognitive Phänomen beschrieben, dass für erfolgreiche Absolvent_innen eine Prüfung immer leichter erscheint als für jene, die an ihr gescheitert sind; oder etwas überspitzter: Wer die Expedition zum Südpol überlebt, wird sich ihrer vermutlich als Abenteuer erinnern – wer dabei stirbt, dessen Erinnerung wird gar nicht erst gehört.

Es ist schließlich gut denkbar, dass viele jener Kinder, die mit früh gesehenen blutigen Bildern nicht umgehen konnten, das Horrorgenre nie zu lieben gelernt haben oder womöglich der Cinephilie ganz verloren gingen; und wenn sie jetzt dazu schweigen, wird man von ihnen auch nichts lesen.

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Es gibt da schlichtweg keine zwingenden, vorgegebenen Entwicklungswege. In meiner Kindheit gab es zwar wahrscheinlich zu früh Roman Polanskis Tanz der Vampire, der aber eher Grusel- als Horrorfilm ist. Im kleinen Kino an jener Straßenecke, an der ich in den ersten Schuljahren nach der Grundschule auf den Bus nach Hause warten musste, wurden in den frühen 1980er Jahren auch immer wieder Horrorfilme gezeigt. (Später habe ich dort Footloose gesehen, aber das ist eine ganz und gar andere, stellenweise sehr peinliche Geschichte.)

 

Bilder fürs Angstrepertoire

Die Filme habe ich nie dort gesehen; aber im Schaufenster des Kinos hing natürlich Werbung. Mir hat sich das Plakat eingebrannt, das eine schädelgleich wirkende Eishockeymaske in einer Blutlache zeigte (wohl vom vierten Freitag, der 13.-Film), und eines der berüchtigten Bilder aus Ruggero Deodatos dann sehr bald verbotenem Nackt und zerfleischt.

United International Pictures
United International Pictures

Neben einem Hörspiel mit einer zum Leben erweckten Mumie gehörten diese Bilder über viele Jahre zu meinem festen und als sehr unangenehm empfundenen Angstrepertoire; und um zwei, drei Ecken herum haben sie dann auch bei mir dazu beigetragen, dass ich irgendwann begann, mich – gewissermaßen als Exorzismus gegen diese Bilder – mit dem Horrorkino zu beschäftigen.

Angenehm geht aber anders. Zum Beispiel so, wie es der Filmkritiker Matt Zoller-Seitz mit seinem 11-jährigen Sohn und einem Schwung eng befreundeter Kinder gemacht hat, die gemeinsam James Camerons Aliens ansahen – wohlgemerkt nicht Ridley Scotts wesentlich beängstigenderen Alien von 1979. Zoller-Seitz hat über den Abend ausführlich in einem Text berichtet und hat erwartungsgemäß ziemlich viel Ärger bekommen – mit ähnlichen Argumenten wie den oben genannten.

Allerdings liegt der Fall hier eben anders. Zoller-Seitz kannte alle Kinder sehr gut und konnte (offenbar korrekt) einschätzen, ob und wie sie mit möglichen Ängsten umgehen können würden; und natürlich wussten auch die Eltern der anderen Kinder genau, was auf ihre Kinder zukam. Der Film wurde in einem sicheren Kontext zuhause gezeigt und entsprechend vorbereitet.

Für die Kinder bleibt der Grusel, der wohltuende Schrecken der Bilder so immer noch erhalten; aber mit einem genauen, vorbereitenden Blick der Erwachsenen auf Kind und Film muss daraus weder Angst vor den Bildern an sich noch ein unkontrollierbar marodierendes Monstrum im Kopf werden. Und wer wäre besser für diese Vorbereitung qualifiziert als wir cinephilen Horrorfans?

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