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Jahresrückblick

Music Was My First Love

Ein Beitrag von Falk Straub

So verhasst manche Komponisten vielen Zusehenden und -hörenden auch sein mögen, Falk Straub hatte seine schönsten Kinomomente 2018 in Musikfilmen. Drei ähneln einander, einer tanzt aus der Reihe.

Meinungen
Bild zu Cold War von Pawel Pawlikowski
Cold War von Pawel Pawlikowski - Filmbild 1

Was Filmmusik anbelangt, liegt meine Position irgendwo in der Mitte. Manche Filme funktionieren besser ohne als mit. Auf Dauergedudel, das mir meine Gefühle diktiert, kann ich getrost verzichten, einen guten Score – egal ob klassisch oder experimentell – oder einen klug zusammengestellten Soundtrack möchte ich aber nicht missen. Denn Musik löst etwas in mir aus, das Bilder allein nur selten vermögen. In diesem Jahr war das auffallend häufig der Fall.

Es ist Juli, die Fußballweltmeisterschaft steuert ihrem Finale entgegen. Tief im Osten, beim Filmfestival von Odessa, sehe ich ein Liebesdrama, das mich eiskalt erwischt. Draußen glüht die Sonne, drinnen fröstelt mich. Zula (Joanna Kulig) und Wiktor (Tomasz Kot) belauern und belagern sich wie die politischen Blöcke diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs. Jede Einstellung in Paweł Pawlikowskis todtrauriger Romanze gleicht einem Schnappschuss, den ich mir gerahmt an die Wand hängen möchte. Die wahren Höhepunkte sind für mich aber die von Marcin Masecki arrangierten Songs. Cold War – Der Breitengrad der Liebe hat keinen klassischen, außerhalb der Erzählwelt angesiedelten Score. Jede Note entstammt der Geschichte. Egal ob Zula das Titelstück Dwa serduszka (deutsch: zwei Herzchen) als traditionelles Volkslied im Chor auf der Bühne vorträgt oder solo als Jazzballade ins Mikrofon eines Tonstudios haucht, jedes Mal stellen sich mir die Nackenhaare auf, treibt es mir Tränen in die Augen. Warum berührt mich ein Lied so ungemein, dessen Sprache ich nicht verstehe und mit dem ich keinerlei Erinnerungen verbinde? Obwohl ich während der Vorstellung darüber nachdenke, kann ich mich der Wirkung nicht entziehen.

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Am Schwarzen Meer habe ich bereits einen anderen großen Musikfilm des Jahres im Gepäck: Susanna Nicchiarellis Nico, 1988. Auch die Italienerin setzt auf diegetische Musik zwischen West und Ost. Ich begleite Christa Päffgen (Trine Dyrholm), besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Nico, durch die letzten zwei Lebensjahre, sehe einem dunklen Stern beim Verglühen zu. Und obwohl, vielleicht auch weil ich die Songs dieses Mal kenne, bin ich tief bewegt. Erneut geht es um Herzen, dieses Mal um leere. „My heart is empty/ But the songs I sing/ Are filled with love for you“, brummt Nico mit ihrer abgrundtiefen Stimme ins Mikro einer Prager Bühne. Kurz darauf wird das illegale Konzert aufgelöst. Ich bin kein Fan des Reenactment. Nachinszenierte Live-Auftritte fühlen sich oft unecht an. (Bohemian Rhapsody hat das unlängst bewiesen.) Die Performances in Nico, 1988 zählen indes zu den besten, die das Kino zu bieten hat – vielleicht, weil sie klein und intim sind.

Klein und intim geht es im Herbst zurück in die warme Jahreszeit. Kirill Serebrennikovs Leto – Love, Rock & Perestroika trägt all seine Zutaten bereits im Titel und Untertitel. Während eines Leningrader Sommers (russisch: Лето) Anfang der 1980er folge ich einer musikalischen Ménage-à-trois zwischen Mike Naumenko (Roma Zver), seiner Frau Natascha (Irina Starshenbaum) und dem aufstrebenden Talent Viktor Zoi (Teo Yoo). Naumenko und Zoi, die Frontmänner der Bands Zoopark und Kino, prägten die russische Rockmusik. Gemeinsam besingen, träumen und leben sie den Umbau einer Gesellschaft, lange bevor Gorbatschow ihn ausrief. Ihre Götter heißen Dylan und Bowie, Lou Reed und T-Rex, Blondie, Iggy Pop und Talking Heads. Serebrennikov, der den Film unter Hausarrest aus seiner Wohnung heraus fertigstellen musste, überführt die Aufbruchstimmung in kreative Brüche. Dann mischt sich Farbe in die Schwarz-Weiß-Aufnahmen und die Schauspieler steigen aus ihren Rollen mitten hinein in ein Musical. Und auch hier ist die Musik einmal mehr Gefühlstransmitter, Hort innerer Unruhe und politisch subversiven Widerstands.

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Zu guter Letzt muss ich einen Film erwähnen, der in jeder Hinsicht aus dem Rahmen fällt. Wie Pawlikowskis Cold War hat mich auch Panos Cosmatos Mandy überrumpelt. Als Abschlussfilm des Regensburger HARD:LINE-Filmfestivals entließ er das Publikum nach vier tollen Tagen mit einem Paukenschlag in die Nacht. Bei allem, was Cosmatos drogeninduzierte Rachefantasie bedeuten mag (siehe dazu Lars Dolkemeyers These in seinem Jahresrückblick Vom Ende der Zurückhaltung), so sehr der Licht- und Farbrausch auch von der Tonspur ablenkt, sein Film ist ein zutiefst musikalischer. Cosmatos hat Mandy wie einen zweistündigen Track arrangiert. Parallel zur Heldenreise durchleben wir dank einer Mischung aus Originalsongs und eigens für den Film komponierten, dunkeldräuenden Kompositionen des im Februar verstorbenen Jóhann Jóhannsson eine Reise durch die Musikgeschichte – von King Crimsons Stück Starless (1974), das den Film samt Titelcredit eröffnet, bis zum nordischen Black Metal inklusive brennender Kirchen und Zwischentitel, deren Schriftzüge an Plattencover erinnern. Mandy ist auch immer Klangrausch; ein brachiales Werk, das keine Gefangenen macht.

Ein Film fehlt, weil ich ihn bislang noch nicht sehen konnte: Bradley Coopers A Star Is Born. Die Chancen stehen gut, dass auch er es auf die Liste meiner eindringlichsten Kinomomente des Jahres schaffen wird.

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