zurück zur Übersicht
Interviews

"Wir leben in sehr angespannten Zeiten" - Ein Interview mit François Ozon

Ein Beitrag von Anna Wollner

Meinungen
Francois Ozon

In seinem neuen Film Frantz erzählt François Ozon von einer jungen Deutschen und einem jungen Franzosen nach dem Ersten Weltkrieg, die beide mit Trauer, Verlust und Schuld umgehen müssen. Anna Wollner hat den französischen Regisseur zum Interview getroffen.

Warum haben Sie sich bei „Frantz“ dazu entschieden, die Geschichte über Trauer und Verlust aus der deutschen Perspektive zu erzählen?

Wir leben in einer von Transparenz und Wahrheit besessener Epoche. Eigentlich wollte ich eine Geschichte über Geheimnisse und Lügen in einer schmerzlichen Zeit erzählen. Das Geheimnisse und Lügen in solch einem Lebensabschnitt auch durchaus etwas Gutes, etwas Heilsames haben können. Ein Freund von mir erzählte mir von dem Theaterstück von Maurice Rostand, schnell fand ich raus, dass auch Lubitsch schon einen Film daraus gemacht hat: Broken Lullaby. Anfangs hat mich das irritiert. Das es da schon einen Film gab. Dann habe ich das Stück noch einmal gelesen und den Film noch einmal gesehen und gemerkt, dass beide aus der Sicht des jungen Franzosen erzählen. Mich aber interessierte viel mehr die Sicht des Deutschen. Ich wollte auf der Seite der Verlierer stehen und habe deswegen die Perspektive geändert.

Schon in ihrem Film „Tropfen auf heiße Steine“ spürt man eine Faszination für Deutschland. Woher rührt die?

Faszination ist mir fast schon ein zu starker Begriff. Aber ein Interesse ist auf jeden Fall da. Deutschland war das erste Land, das ich als Kind außerhalb Frankreichs besucht habe. Ein wenig war ich wie Adrian bei der Familie Hofmeister. Für jemanden, der die Sprache nicht spricht, ist erst einmal alles bizarr. Ich stamme aus einer typischen Pariser Familie. Wir fuhren nach Hamburg zu einer deutschen Familie. Sie lebten in einem tollen Haus – für mich hatte das schon fast etwas Amerikanisches. Die Kinder lebten viel freier als wir, kamen schon zur Mittagszeit nach Hause, hatten keine Schule mehr, konnten Sport machen, aßen belegte Brote. Bei uns gab es immer nur richtig schweres Essen mit Soßen. Das sind Details, auf die man als Kind sehr achtet. Natürlich habe ich Deutschland seitdem etwas besser und ambivalenter kennengelernt.

Welche Rolle spielt die Zeit Ihres Films?

Ich kann Sie beruhigen, ich habe kein gesteigertes Interesse an der geschichtlichen Epoche, ich bin kein Kriegsfanatiker. Mir waren und sind die Figuren viel wichtiger. Die Intimität zwischen ihnen. Natürlich habe ich viel recherchiert um den historischen Rahmen korrekt darstellen zu können, das brauchte ich allein für die Glaubwürdigkeit meiner Geschichte.


(Bild aus Frantz; Copyright: Warner Bros./X-Verleih)

Warum die Spielerei mit der Farbe, der Wechsel von schwarz-weiß zu bunt?

Mir ist bei den Recherchen einfach aufgefallen, dass alle Referenzen schwarz-weiß waren. Alle Bilder, alle Kinobilder, die wir heute noch haben, sind schwarz-weiß. Das Spiel damit führt zu mehr Realität. Als Filmemacher habe ich per se eine Neigung, mit Farben zu spielen und zu arbeiten, selbst wenn ich eine Kleinstadt im Jahr 1919 zeige. Ich wollte nicht gänzlich auf Farbe verzichten, gerade zum Beispiel bei dem Spaziergang von Adrian und Anna orientiere ich mich ganz bewusst an einem Gemälde von Caspar David Friedrich. Deswegen wollte ich mir die Freiheit nehmen an einigen Stellen doch mit der Farbgestaltung spielen zu können. Die Farbe führt ja dazu, dass das Leben wiederentdeckt wird. Schwarz-Weiß hingegen steht schon ästhetisch für Trauer.

„Frantz“ ist auch ein Film über eine große Leerstelle. Frantz eben. Wie schwer war es, diese Leerstelle filmisch zu bebildern?

Schon beim Schreiben des Drehbuchs stellte ich mir die Frage, ob ich Frantz zeigen soll oder nicht. Ob ich mit Rückblenden arbeiten kann oder nicht. Ich habe mich dafür entschieden, aber diese Rückblenden stellen sich als Fake heraus. Ich spiele an diesen Stellen ganz bewusst mit dem Zuschauer. Mir war wichtig, dass Frantz von einem Schauspieler verkörpert wird, man sollte ihn sehen, seine Stimme hören. Die Leerstelle, wie Sie sagen, sollte ein Gesicht haben.

Neben Frantz, Anna und Adrian spielt der Vater eine wichtige Rolle. Nach dem Tod seines Sohnes flüchtet er sich in die Verhärtung. Erst durch den Besuch von Adrian bekommt er eine ganz eigene Weichheit und erkennt seine eigene Schuld am Tod seines Sohnes. Liefert dieser damals selten stattgefundene Erkenntnisprozess eine Erklärung, warum es einen Zweiten Weltkrieg gegeben hat?

Anna und der Vater sind die beiden Figuren, die die größte Entwicklung durchmachen. Zu Beginn steht der Vater für die deutsche Strenge, für eine gewisse Härte. Erst langsam kommt das Schuldgefühl dazu. Er ist derjenige, der seinen pazifistischen Sohn in den Krieg geschickt hat. Mit dieser Schuld muss er lernen zu leben. In Adrian findet er zunächst einen Ersatzsohn. Eine der schönsten Szenen des Films ist für mich die im Gasthof. Als er mit den anderen Vätern über Schuld redet. Auf beiden Seiten der Grenze haben Väter ihre Söhne in den Krieg geschickt und verloren. Die Szene habe ich aus Lubitschs Film übernommen. Weil sie für mich eine unglaubliche Schönheit ausstrahlt.


(Trailer zu Frantz)

Der Film zeigt natürlich, was Schuldgefühle mit einem Menschen anstellen können, wie sie langsam seine Seele zersetzen. Aber eben auch, dass sie etwas Positives in Gang bringen können. Der Umgang mit Schuld ist bis heute ein zentrales, auch widersprüchliches Thema in Deutschland. Ist „Frantz“ für Sie ein Beitrag zu diesem Diskurs?

Michael Haneke zum Beispiel hat mit Das weiße Band versucht zu zeigen, wie das Nazitum langsam in Deutschland aufgestiegen ist. Ich zeige lediglich gewisse Prämissen, die 1919 stattgefunden haben. Ich zeige ein Land, das den Krieg verloren hat, ein Land, das kurz vor dem Versailler Vertrag von 1919 steht, ich zeige den deutschen Nationalismus in seinem Entstehen. Ich zeige aber eben auch den französischen Nationalismus, den Hass der Franzosen auf die Deutschen. Hätte ich einen Film gedreht, der in den 1930ern spiele würde, wäre es eine ganz andere Geschichte geworden.

Warum?

Weil die Wunden 1919 noch frisch waren. Wir haben auf der einen Seite das deutsche Volk, sie haben den Krieg verloren, leiden unter der Niederlage, sind verletzt. Die Deutschen fühlten sich verraten. Auf der anderen Seite steht Frankreich. Die Franzosen haben den Krieg gewonnen, aber auch über zwei Millionen Tote zu beklagen. Sie haben ebenso gelitten, sind traumatisiert und fühlen sich dennoch als Sieger. Dieses Revanchistische auf der französischen Seite wollte ich zeigen. Ich steige ein mit der Phase der Trauer. Und gehe dann über zu den politischen Entwicklungen danach. Aber die zeige ich nicht mehr, die deute ich nur an.

Jeder historische Film hat einen Gegenwartsbezug. Worin sehen Sie den Ihres Films?

Meine Produzenten waren am Anfang sehr skeptisch. Nicht noch ein Film über den Ersten Weltkrieg. Wer soll das denn sehen. Aber Frantz hat viel mehr mit dem Heute zu tun, als Sie denken. Wir leben in sehr angespannten Zeiten. Grenzen werden wieder hochgezogen, Nationalismen kommen wieder auf. Die Angst vor dem Fremden erlebt ein Comeback. Geschichte ist oft tragisch und wiederholt sich. Mir ging es darum eine Perspektive zu zeigen, mit der ich ein neues Bewusstsein genau dafür schaffen kann.

Meinungen