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Interviews

„Was wollen wir uns zumuten?“ - Im Gespräch mit den Machern von "The Cleaners"

Ein Beitrag von Falk Straub

Datenskandal, Fake News, Hatespeech – Facebook, Twitter & Co. geraten unter Druck. Mit The Cleaners über die riesige Schattenindustrie hinter den Unternehmen haben Hans Block und Moritz Riesewieck den Dokumentarfilm der Stunde gedreht. Falk Straub hat sich mit den Regisseuren unterhalten.

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The Cleaners (2018) von Hans Block und Moritz Rieswieck
The Cleaners (2018) von Hans Block und Moritz Rieswieck

Hans Block und Moritz Riesewieck kommen vom Theater. Unter dem Namen „Laokoon“ entwickeln sie gemeinsam crossmediale Erzählformate. Spannend wie einen Thriller erzählen sie auch ihren ersten Dokumentarfilm. The Cleaners begleitet fünf Content Moderatoren, die in der philippinischen Hauptstadt Manila für die großen Social-Media-Plattformen das Sichten und gegebenenfalls Löschen von Bildern und Videos übernehmen. Seit der Premiere beim Sundance Film Festival sind die Debütanten nonstop auf Achse. Falk Straub hat sie am Telefon erwischt und sich mit ihnen über die Verantwortung von Netzwerken und Nutzern unterhalten.

 

Lieber Herr Block, lieber Herr Riesewieck, drei Milliarden Menschen sind weltweit über soziale Netzwerke verbunden. Wie sieht es mit Ihnen aus, nutzen Sie Facebook, Twitter, YouTube & Co.?

Hans Block [HB]: Wir sind tatsächlich zwei der drei Milliarden Nutzer. Wir haben einen Facebook- und einen Twitter-Account. Wir haben darüber nachgedacht, diese Accounts zu löschen, uns letztlich aber dagegen entschieden.

Warum?

HB: Soziale Medien wie Facebook sind längst zu einer digitalen Öffentlichkeit geworden, an der man teilhaben möchte. Wer seinen Account niederlegt, isoliert sich auch sozial. Eine Mitgliedschaft hält einen aber nicht davon ab, die neuen Medien, die zu einer Art Infrastruktur der Welt geworden sind, kritisch unter die Lupe zu nehmen und zu demokratisieren. Soziale Medien sind mittlerweile fast ein öffentliches Gut, aber immer noch in privater Hand von wenigen Leuten, die sehr intransparent sind.

Hans Block; Copyright: Gebrüder Beetz Filmproduktion
Hans Block; Copyright: Gebrüder Beetz Filmproduktion

Ihr Film macht die verborgenen Strukturen ein Stück transparenter. Wer darin fehlt, sind die Verantwortlichen. Zwar kommen einige ehemalige Entscheidungsträger wie Nicole Wong (Google) vor, aktuelle tauchen aber lediglich indirekt in Archivaufnahmen auf. Weshalb kommen keine Gegenstimmen zu Wort?

HB: Das Silicon Valley ist extrem verschlossen. Man spricht dort sehr ungern bis gar nicht mit Journalisten. Es war schlicht unmöglich, aktuelle Vertreter der Unternehmen vor die Kamera zu bekommen. Keine unserer Interviewanfragen wurde beantwortet. Auch zu unserem fertigen Film, den wir an die Unternehmen geschickt haben, wollte keiner ein Statement abgeben.

Moritz Riesewieck [MR]: Erstaunlich war die Stoßrichtung der ehemaligen hochrangigen Mitarbeiter. Sie warnten alle davor, dass sich die sozialen Netzwerke verselbstständigt hätten, kaum noch zu bändigen seien und Demokratien zerstören könnten. In vielen Fällen haben diese Mitarbeiter die Unternehmen ja gerade deshalb verlassen, weil Mark Zuckerberg & Co. nicht bereit waren, die Debatte anzunehmen und zu Richtungswechseln überzugehen, sondern immer nur durch kleine Kosmetik, wie er sie in der letzten Anhörung vor dem Kongress jetzt wieder angekündigt hat, den Status quo zu zementieren. Das wird, so hoffen wir doch, nicht länger möglich sein.  

Wie könnte ein solcher Richtungswechsel, eine Demokratisierung der sozialen Medien aussehen?

MR: Man könnte über eine Dezentralisierung nachdenken und die Organisation in die Hände vieler geben, anstatt sie bei wenigen profitorientierten Unternehmen zu belassen. Vor allem aber stellen wir uns die Frage, was wir auf diesen Netzwerken vorkommen lassen wollen und was nicht. Diese Frage dürfen wir nicht nur den Unternehmen überlassen, wir müssen sie uns auch als Gesellschaften stellen.

Moritz Riesewieck; Copyright: Gebrüder Beetz Filmproduktion
Moritz Riesewieck; Copyright: Gebrüder Beetz Filmproduktion

Diesbezüglich macht Ihr Film die juristische Grauzone zwischen Freiheitsrechten und Zensur besonders anschaulich. Ist dieses Problem, das nicht zuletzt mit unterschiedlichen Gesetzgebungen rund um den Globus zusammenhängt, denn überhaupt in den Griff zu kriegen?

MR: Eine Balkanisierung des Internets kann zumindest nicht die Lösung sein. Nationalstaatliche Regulierungen klingen zunächst einmal gut, sorgen aber auch dafür, dass Regierungen wie die türkische sich dazu berufen fühlen, die Netzwerke aufzufordern, politische Inhalte von den Plattformen zu nehmen. So werden Regierungskritiker mundtot gemacht, bestimmte Gruppen ausgegrenzt. Die Bevölkerung ist sich oftmals gar nicht bewusst, dass die Unternehmen aus Angst vor wirtschaftlichen Verlusten nur eine zensierte Version ihres ach so freien Netzwerks anbieten.

HB: Der eigentliche Skandal ist aber, dass die Gesetzgeber die Verantwortung zurück an die Unternehmen geben, die sie wiederum in Länder wie die Philippinen verlagern. Dort sitzen dann 18-, 19-Jährige, die, nur wenige Tage trainiert, im Sekundentakt entscheiden, was veröffentlicht werden darf und was nicht, was demokratisch möglich und rechtlich angemessen ist und was nicht.

Was also tun?

MR: Die Verantwortlichen denken bislang zu sehr in Oppositionen: Die Entscheidung über die Inhalte liegt entweder bei den Unternehmen oder bei den Regierungen. Stattdessen sollten wir uns als Zivilgesellschaft darüber Gedanken machen, ob wir uns weiterhin wie passive User in diesen Netzwerken verhalten wollen oder sie als digital citizens, als digitale Bürger aktiv mitgestalten wollen. Dafür fehlen natürlich die Institutionen. Diese neu aufzubauen, wird ein längerer Prozess. Aber wir hoffen, ihn durch unseren Film mit anstoßen zu können.

The Cleaners; Copyright: Farbfilm Verleih
The Cleaners; Copyright: Farbfilm Verleih

Sind Sie selbst bereits aktive digital citizens? Hat sich Ihr Nutzungsverhalten durch die Arbeit an Ihrem Film geändert?

HB: Was sich grundlegend verändert hat, ist die Frage, was wir uns eigentlich auf den sozialen Plattformen zumuten wollen. Haben wir als westliche Nutzer das Recht, völlig unberührt von all den Grausamkeiten auf der Welt zu sein? Oder helfen diese in bestimmten Fällen nicht auch, eine Diskussion auszulösen, politisch aktiv zu werden, neu nachzudenken, anstatt nur einen Wohlfühlraum zu schaffen?

MR: Ein berühmtes Beispiel ist das Bild des toten syrischen Jungen Alan Kurdi am Strand von Bodrum, das ja auch extrem grausam anzuschauen ist. Wissenschaftler konnten nachweisen, dass dieses Bild dazu beigetragen hat, die bis dahin abstrakte Debatte um die Geflüchteten auf eine menschlichere Ebene zu hieven.

Das Phänomen ist nicht neu, erinnert etwa an die veränderte öffentliche Wahrnehmung des Vietnamkriegs durch das Foto des von Napalm verbrannten Mädchens Phan Thị Kim Phúc.

HB: Ja, zwei Aspekte sind allerdings neu hinzugekommen. Der erste ist die Reichweite und die Geschwindigkeit, mit der sich Nachrichten in sozialen Medien verbreiten. Der zweite, dass bei klassischen Medien wie einer Zeitung ausgebildete Redakteure anhand eines Ethikkatalogs entscheiden, welches Bild veröffentlicht wird und welches nicht. Diese Entscheidung wird momentan an junge Menschen in Manila outgesourct, die von der Komplexität völlig überfordert sind.

The Cleaners; Copyright: Farbfilm Verleih
The Cleaners; Copyright: Farbfilm Verleih

Wie schwer war es, an eben jene Menschen, die Content Moderatoren, die im Zentrum Ihres Dokumentarfilms stehen, heranzukommen?

MR: Das war extrem schwer. Denn wir haben es hier mit einer versteckten Industrie zu tun, die Codenamen für die sozialen Netzwerke benutzt. Ihre Angestellten haben alle Verschwiegenheitserklärungen unterschrieben, dürfen zum Teil nicht einmal mit ihren Angehörigen über ihre Arbeit reden. Wir mussten also letztlich den Kern dieser Arbeit sichtbar machen, ohne in die Büros zu können oder den Angestellten eine versteckte Kamera mitgeben zu können und ohne die dort noch tätigen Arbeiter zu gefährden.

Wie haben Sie das bewerkstelligt?

MR: Wir zeigen vor der Kamera nur Menschen, die den Job gerade verlassen haben. Das Prozedere dieser Arbeit konnten wir in Originalkabinen einer originalgetreuen Büroetage filmen, die gerade leer stand. Die für die Arbeit nötige Software hatten wir auf Grundlage detaillierter Beschreibungen der Content Moderatoren nachgebaut. Das war ein Riesenglück, weil wir dadurch viel von der Situation transportieren können, in der sich die jungen Menschen befinden, wenn sie im 23. Stock erhaben über diese Metropole blicken und Bilder aus der ganzen Welt auf ihren Desktop schwappen, über die sie weitreichende Entscheidungen treffen.

Diese nachgebildeten Arbeitsprozesse, in denen die Content Moderatoren täglich Tausende, teils extrem gewalttätige oder sexualisierte Bilder und Videos bewerten müssen, zeigen überdeutlich deren Überforderung. Nicht zuletzt, weil die kulturelle und religiöse, vornehmlich streng christliche Prägung der Moderatoren eine ganz andere als die unsere ist. Gab es beim Dreh Momente, wo es auch Ihnen zu viel wurde?

MR: Zunächst einmal war die Büroetage ein Schutzraum, in dem sich viele zum ersten Mal überhaupt öffnen und die Mauer des Schweigens durchbrechen konnten. Dabei gab es aber auch Knackpunkte, an denen wir uns entschlossen haben, Psychologen einzuschalten. Die Symptome der Moderatoren gleichen im Grunde einer posttraumatischen Belastungsstörung, wie sie Soldaten haben, die aus dem Krieg zurückkehren.

HB: Das Perfide daran ist, wie sich der Blick auf das Grausame verändert. Jeder der Moderatoren legt sich eine andere Bewältigungsstrategie zurecht. Viele sehen ihre Arbeit als christlichen Auftrag, in einer Art Nachfolge Jesu die Sünden der Welt auf sich laden. Andere vergleichen sich mit dem philippinischen Präsidenten Duterte und dessen sozialen Säuberungsaktionen. Das ist ja eine andere Ideologie, die gerade weltweit um sich greift: Probleme nicht mehr zu lösen, sondern sie einfach zu löschen.

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Trägt Ihr Film, mit dem Sie seit der Premiere beim Sundance Film Festival auf Tour sind, denn zu einem Umdenken bei? Werden die Probleme wieder gelöst und nicht länger beiseitegeschoben?

MR: Das können wir nur hoffen. Die Kinotour zeigt zumindest, dass ein riesiger Diskussionsbedarf herrscht, der über das Ende der Fragerunden hinausgeht, wenn die Kinos längst abgeschlossen sind. Da haben wir schon das Gefühl, dass wir mit dem Film gerade einen Nerv treffen. Auch wenn der Film schon längst nicht mehr gespielt werden wird, wird die Debatte ein Stück weitergegangen sein.

Werden denn auch Sie weiter zu dieser Debatte beitragen? Weiten Sie beispielsweise Ihre Recherchen zum Thema aus oder haben Sie von Social Media erst einmal die Nase voll?

HB: Wir haben total Lust, weitere Dokumentarfilme zu machen und gesellschaftlich relevante Themen anzupacken, Dinge sichtbar zu machen, die unsichtbar geworden sind. Das sind auch weiterhin digitale Themen, wobei wir uns nicht nur darauf spezialisieren wollen. Aber wir haben definitiv Blut geleckt.

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