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Interviews

„Liebe kann sehr chaotisch sein“ - Paweł Pawlikowski im Gespräch

Ein Beitrag von Paul Katzenberger

In Cold War – Der Breitengrad der Liebe findet ein Paar einfach nicht zusammen, obwohl die gegenseitige Anziehungskraft enorm groß ist. Das hat mit den komplizierten Zeiten des Kalten Krieges zu tun, aber nicht nur. Paweł Pawlikowski hat in dem Film die Geschichte seiner Eltern verarbeitet.

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Bild zu Cold War von Pawel Pawlikowski
Cold War von Pawel Pawlikowski - Filmbild 1

„Ich werde überall und bis in alle Ewigkeit bei Dir sein“, versichert sie ihm, als ihre Liebe noch ganz frisch ist, und sie einen Abstecher in die Idylle des nächstgelegenen Sees unternehmen. Nichts scheint dieses Paar jemals wieder auseinanderbringen zu können. Aber fast im selben Augenblick fügt Zula hinzu: „Ich verpfeife Dich.“ Sie (Joanna Kulig) und Wiktor (Tomasz Kot) haben sich Ende der 1940er Jahre in der polnischen Provinz kennengelernt. Er – der respektierte Musiker – soll dort im Staatsauftrag ein Folkloreensemble gründen. Sie singt vor, und wird vor allem wegen seines sofortigen persönlichen Interesses an ihr aufgenommen – weniger wegen ihrer Sangeskunst. Und nun beichtet sie, dass sie ihn auf Anordnung seines Vorgesetzten (Borys Szyc) bespitzeln soll.

Das ist die erste Widersprüchlichkeit im Ringen der zwei Liebenden um Gemeinsamkeit in Paweł Pawlikowskis neuem Film Cold War – Der Breitengrad der Liebe. Als die Truppe mehr und mehr für politische Ziele eingespannt wird, hat Wiktor irgendwann die Nase voll und nutzt einen Auftritt in Ostberlin für die Flucht in den Westen. Doch Zula, die eigentlich mit ihm fliehen wollte, erscheint nicht am vereinbarten Treffpunkt. Und so stoßen die beiden erst viele Jahre später in Paris wieder aufeinander, doch auch in der vermeintlichen Freiheit finden sie ihr gemeinsames Glück nicht.

 

Zula und Wiktor können nicht ohne einander sein, aber auch nicht miteinander. Welches Problem haben die beiden mit dem jeweils anderen?

Paweł Pawlikowski: Es gibt viele Gründe dafür, warum ihre Beziehung so kompliziert ist. Das geht los damit, dass sie sich kennenlernen, als sie an sehr unterschiedlichen Punkten ihrer persönlichen Entwicklung stehen. Sie ist sehr jung und kommt aus sozial schwierigen Verhältnissen, während er deutlich älter und ein angesehener Musiker ist, dem ein ganzes Folklore-Ensemble untersteht. Zunächst blickt sie zu ihm auf, und er verliebt sich in ihren Charme, ihre Spontanität und Energie. Doch mit der Zeit ändert sich ihre gegenseitige Wahrnehmung.

In welcher Weise?

Sie stellen fest, dass sie sehr unterschiedliche Wesen sind. Das geschieht in Beziehungen ja sehr häufig, dass sich Menschen im Lauf der Zeit gegenseitig entdecken, und dabei nicht nur auf Stärken, sondern auch auf Schwächen des Partners stoßen. Es kommt hinzu, dass sie in einem stalinistischen Polizeistaat leben, worunter ihre Beziehung in bestimmter Weise leidet.

Cold War; Copyright: Neue Visionen
Cold War; Copyright: Neue Visionen

Das kann man sagen, sie horcht ihn halb gezwungen, halb eigennützig für den SB aus, die damalige Geheimpolizei der sozialistischen Volksrepublik Polen. Wobei sie nichts über ihn aussagt, was ihm schaden könnte und sich ihm gegenüber sogar offenbart. Eigentlich entsteht dadurch kein Schaden.

Man könnte vielleicht sogar sagen, dass ihre Bespitzelung Wiktors und die anderen Beschwernisse etwas Würze in die Beziehung bringen. Allerdings ist ihr Verhältnis ständig neuen Belastungen ausgesetzt. Durch seine Flucht in den Westen werden sie auseinandergerissen, was dazu führt, dass sie sich vom jeweils anderen eine Vorstellung machen müssen. Als sie sich dann wieder treffen, stellen sie fest, dass wie sie sich an den anderen erinnern und wie sie ihn sich ausgemalt haben, nicht mit der Realität übereinstimmt.

Heißt das, dass ihre Schwierigkeiten vor allem durch die externen Faktoren hervorgerufen werden, die in der Zeit des Kalten Krieges herrschten?

Zum Teil sicher, aber nicht nur. Es gibt auch interne Faktoren, die man von den externen Faktoren nicht fein säuberlich trennen kann. Das Leben spielt sich ja nie im Vakuum ab. 

Und doch ist ihre Faszination für einander stets deutlich spürbar. Warum reichen diese Gefühle trotz ihrer offensichtlichen Intensität nicht für eine glückliche Beziehung aus? Es tut manchmal geradezu weh, dass sie ihr Glück nicht zu fassen bekommen.

Weil die ganzen Faktoren, die hier zusammenkommen, eine harmonische Romanze verhindern. Liebe kann sehr chaotisch sein. Erst am Ende des Lebens kann man möglicherweise das Fazit ziehen: ‚Das war Liebe.‘ Während man in einer Beziehung drinsteckt, kann es darin aber wüst zugehen und sich manchmal sogar wie das Gegenteil von Liebe anfühlen. Cold War – der Titel des Filmes soll das mit seiner Zweideutigkeit zum Ausdruck bringen.

Cold War; Copyright: Neue Visionen
Cold War; Copyright: Neue Visionen

Sie haben gerade schon angesprochen, dass er auf einer Tournee in den Westen flieht. Warum folgt sie ihm entgegen der gemeinsamen Vereinbarung nicht? So richtig deutlich kommt das im Film nicht zum Ausdruck.

Kein Protagonist in Cold War erklärt irgendetwas ganz genau. Denn der Film handelt von der Ambivalenz menschlicher Beziehungen, die selten allein rational oder eindeutig sind. Aber Andeutungen gibt es schon: Sie fragt ihn: ‚Wer würde ich dort sein? Was würde ich dort machen?‘ Und er antwortet: ‚Mach‘ Dir keine Sorgen! Du wirst mit mir sein.‘ Diese Deklaration der Zweisamkeit ist aber kein ausreichender Grund für sie, um alle Brücken hinter sich abzureißen.

Weil sie instinktiv spürt, dass von ihm mit seiner Gebildetheit und Weltläufigkeit in einem fremden Umfeld noch abhängiger würde?

Damit hat es sicher auch etwas zu tun. In erster Linie geht es aber darum, dass sie sich in Polen ausgesprochen wohl fühlt. Für sie ist ihr Job in dem Folklore-Ensemble die Erfüllung eines Traumes. Sie bekommt zu essen, wird bezahlt, ist auf Tourneen, und sie ist der Star eines funktionierenden Teams. Warum soll sie das alles aufgeben? Für ein Leben, von dem sie nicht weiß, welche Rolle sie darin spielen wird?

Dabei könnten seine Gründe zu fliehen auch ihre sein. Die Propaganda, zu der das Ensemble von den Machthabern bei seinen Aufführungen gezwungen wird, könnte auch ihren künstlerischen Widerwillen provozieren. Und eine angepasste Sozialistin ist sie ja auch nicht.

Sein Antrieb zu fliehen, ist vollkommen nachvollziehbar. Aber für sie gilt das nicht. Sie ist sicher keine glühende Kommunistin, aber auch keine Anti-Kommunistin. Ihre Haltung ist eher: ‚Stalin? Wo liegt das Problem?‘ Sie braucht keine Freiheit, und auch keinen modernen Jazz, wie ihn der Westen verheißt. Sie ist keine Künstlerin, die ihre Ambitionen auslotet, und keine Intellektuelle. Der einzige Grund für sie, das Land verlassen zu wollen, bestünde darin, dass Wiktor offenbar die große Liebe ihres Lebens darstellt. Aber das allein reicht nicht aus.

Cold War; Copyright: Neue Visionen
Cold War; Copyright: Neue Visionen

Als sie ihm Jahre später dann doch nach Paris folgt, sagt sie dort einmal: ‚In Polen warst Du ein anderer Mann.‘ Sie bringt damit zum Ausdruck, dass der Wiktor, wie sie ihn in Polen kannte, ein richtiger Kerl mit männlichem Auftreten war, der er aus ihrer Sicht nun nicht mehr ist. Warum hat er im Westen diese männliche Selbstsicherheit verloren? 

Sie sieht das so. Aber ich bin mir gar nicht unbedingt sicher, ob sie ihm damit nicht unrecht tut, denn er ist in Paris ja nicht mehr Herr im Haus. Als sie sich kennenlernen, ist er der Chef des Folklore-Ensembles – ein Mann mit aristokratischer Noblesse, ein hervorragender Musiker und in diesem Kontext eine beeindruckende Persönlichkeit. Im Vergleich dazu wirkt er sehr gehemmt, als er bei der After-Work-Party seines Filmemacher-Freundes Michel (Cédric Kahn, Anm. d. Red.) auftaucht. Da hat er plötzlich eine ganz andere Körpersprache, was sie natürlich bemerkt. Er hat sich zwar verändert, aber sie hält ihm zu wenig zugute, dass er sich anpassen musste. Es war mir wichtig, diese Ambivalenz aufzuzeigen.

Zula und Wiktor versuchen in den 15 Jahren, in denen „Cold War“ spielt, auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs ihr gemeinsames Glück zu finden. Doch es gelingt ihnen weder im Osten noch im Westen. Kann man das so interpretieren, dass sowohl der Sozialismus als auch der Kapitalismus einem das Leben auf die eine oder andere Weise schwer machen?

Diese Interpretation wäre mir zu allgemein. Die Geschichte, die ich erzähle, handelt von zwei Individuen, die sich in einer spezifischen Situation begegnen – in einem diktatorisch regierten Land – mit all den Repressalien, die damit einher gehen. Im stalinistischen Polen konnte man ziemlich leicht im Gefängnis landen oder sogar sein Leben verlieren. Die Menschen haben sich gegenseitig bespitzelt, und da geriet man recht schnell ins Fadenkreuz der Machthaber. Solche existenziellen Probleme hatte man im Westen eher nicht.

Trotzdem haben beide Sehnsucht nach Polen.

Das stimmt. Das ist eben die Heimat. Und natürlich ist keiner von ihnen beiden in Paris wirklich zuhause, auch wenn das bei ihm eher der Fall ist als bei ihr: Er spricht die Sprache, hatte zwischendurch eine Freundin und soziale Kontakte. Sie empfindet die Vorurteile, die die Menschen in Paris gegenüber Polen haben, hingegen als Degradierung ihrer eigenen Person. Um ihre Selbstachtung zu bewahren, muss sie sich entweder über andere erheben oder sich vergessen und betrinken. Das heißt nicht, dass das Paris der Fünfzigerjahre generell eine Stadt mit schweren Lebensbedingungen war, doch ihre Liebe zu einander ist dort bedroht.

Sie unternimmt aber auch nicht den geringsten Versuch, sich auf Paris einzulassen. Dabei strahlt die Stadt in Ihrem Film durchaus einen großen Charme aus — mit ihrer inspirierenden Künstlerszene und der Musik.

Sie ist in erster Linie sauer auf ihn. Er lebte in einer Beziehung mit dieser geheimnisumwitterten Schriftstellerin Juliette (Jeanne Balibar, Anm. d. Red.), bei der sie instinktiv spürt, dass diese Intellektuelle besser zu Wiktor passen könnte als sie selbst. Von der Künstlerszene fühlt sie sich angewidert, was ich nachvollziehen kann. Ich habe selbst in Paris gelebt, und die Art und Weise, wie die Leute dort auf sich aufmerksam machen, ist für jemanden von außen gewöhnungsbedürftig.

Wie darf man das verstehen? 

Denken Sie etwa an die Szene, in der Wiktor Michel hinter Zulas Rücken all diese vertraulichen Infos über sie erzählt, etwa dass sie für den SB spioniert hat. Dabei meint er es sogar gut. Er glaubt, dass sie so für Michel interessanter wird. Ihr Ärger, als sie mitbekommt, was Wiktor über sie herumerzählt, ist vollkommen nachvollziehbar, doch so funktioniert das in Paris tatsächlich.

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Sie haben diesen Film Ihren Eltern gewidmet, weil sie zu der Geschichte Zulas und Wiktors zumindest teilweise durch die Erfahrungen Ihres Vaters und Ihrer Mutter inspiriert wurden, die auch von Polen ins westliche Exil ausbrachen. Wie haben Ihre Eltern das Leben in der Fremde empfunden?

Cold War handelt viel davon. Ich kann mich zum Beispiel daran erinnern, dass mein Vater immer äußerst liebenswürdig auftrat – nicht etwa, weil ihm danach war, sondern schlicht deswegen, weil er die Sprache nicht sehr gut beherrschte. 

Liebenswürde also als Weg des geringsten Widerstands?

Genau. Er war lange nicht so selbstsicher wie in Polen, und darin ähnelt ihm die Figur Wiktor. Andererseits betrank er sich ab und zu und mokierte sich dann über die Leute und bezeichnete sie als einen ‚Haufen Idioten‘, das wiederum steckt in Zulas Figur. Sein Empfinden war sehr widersprüchlich. Es schwankte zwischen Selbsterhaltungstrieb und Aggression, doch das ist meiner Wahrnehmung nach typisch für Exilierte.

Aber ist es nicht auch sehr reizvoll, ein neues Land entdecken und ständig neu dazulernen zu können?

Das mag so sein, wenn man sich seiner eigenen Rolle sicher sein kann. Doch meine Eltern flohen unter der Vorspiegelung falscher Tatsachen aus Polen und mussten sich neu definieren. Man möchte meinen, dass ein Arzt wie mein Vater überall über ein hohes Sozialprestige verfügt, doch ganz so einfach war es doch nicht. Er musste darum kämpfen, seine polnischen Abschlüsse anerkannt zu bekommen, und die Sprachbarriere behinderte ihn in der Berufsausübung.

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