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Interviews

"Leiden ist mein großes Thema" - Im Gespräch mit Mel Gibson

Ein Beitrag von Anna Wollner

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Mel Gibson

Während die Amerikaner euphorisch sind, ist die deutsche Presse reserviert. Mel Gibsons neuester Regiefilm, zehn Jahre nach Apocalypto und 21 nach Braveheart, ist ein brutaler Kriegsfilm, der nur schwer zu ertragen ist. Nicht aufgrund der drastischen Bilder, sondern seines religiös-fundamentalistischen Tons. Es ist der Tag der Weltpremiere bei den Filmfestspielen in Venedig. Mel Gibson gibt das Interview nicht alleine. Er hat seinen Hauptdarsteller Andrew Garfield an seiner Seite. Als eine Art Aufpasser. Zu oft hat sich Mel Gibson schon mit der Presse angelegt. Aber Garfield hat einen ruhigen Job. Er schweigt, guckt gelangweilt aus dem Fenster und beobachtet die vorbeifahrenden Boote auf der Lagune. Die beiden unterhalten sich beim Reinkommen über die Qualität des Omelettes beim Frühstück. Es hat wohl gut geschmeckt.

Mister Gibson, ist „Hacksaw Ridge“ Ihr Comeback als Regisseur?

Ich würde nicht unbedingt von einem Comeback sprechen. Ich war ja nie wirklich weg, habe Filme als Schauspieler gemacht. Ich hoffe in erster Linie, dass es ein guter Film ist. Ich war immer ein guter Regisseur. Daran hat sich nichts geändert. Den Fakt, dass ich zehn Jahre nichts gemacht habe, müssen die Leute einfach hinnehmen. Aber Regie führen ist wie Fahrradfahren. Das verlernt man nicht. Ich versuche einfach, nicht zu viel hineinzulesen und konzentriere mich aufs Hier und Jetzt. Was passiert ist, ist passiert. Lassen Sie uns nach vorne blicken.

Es scheint, als würden Sie als Regisseur dramatische Überhöhung und den körperlichen Schmerz suchen?

Wenn Sie so meinen. Das ist einfach Teil der menschlichen Kondition. Wenn man eine Geschichte erzählen will, neigt man dazu, seine Charaktere durch Extreme zu schicken und zu testen. Normale Menschen in extremen Situationen. Wie verhalten sie sich? Leiden ist mein großes Thema. Keiner leidet gerne. Aber mir geht es darum zu ergründen, wie man damit umgeht.

Wie haben Sie den Stoff für „Hacksaw Ridge“ gefunden?

Ich finde in der Regel nicht den Stoff. Der Stoff findet mich. Klar, oft widme ich mich den Themen, die kein anderer anpacken würde. Braveheart, Apocalypto, Die Passion Christi, das sind alles Filme, die sonst keiner machen wollte. Wirklich niemand. Das kann auf Dauer ermüdend sein. Bei Hacksaw Ridge ist es ausnahmsweise mal anders. Die ursprüngliche Idee kam nicht von mir, sondern vom Produzenten Bill Mechanic. Ich habe das Drehbuch gelesen, die Geschichte hat mich direkt angesprungen und wollte einfach von mir erzählt werden.

Was hat Sie daran so angesprochen?

Die drei „E“: Entertainen, also unterhalten, erziehen und emporheben. Der erste Punkt ist obligatorisch. Die Leute wollen im Kino unterhalten werden. Selbst wenn die Geschichte so hart und düster ist wie unsere. Aber die Erziehung und die Emporhebung sind genauso wichtig. Eins davon reicht im Notfall schon aus, aber Hacksaw Ridge hat alle drei. Man lernt, was der menschliche Geist in der Lage zu tun ist. Was ein Individuum wie Desmond Doss in der schlimmsten aller vorstellbaren Situationen schafft.


(Bild aus Hacksaw Ridge; Copyright: Universum Film GmbH & Co. KG)

Wie schwierig war es, die Balance zwischen der Unterhaltung und dem Porträt der Kriegsszenen zu halten?

Man braucht schon ein Auge für die Balance. Man will ja niemanden verstören und dafür sorgen, dass die Zuschauer in Scharen und schreiend das Kino verlassen. Für ein paar Leute wird es definitiv zu viel sein. Es ist hart, das gebe ich zu. Aber zur gleichen Zeit muss man die Leute auch mit den Bildern konfrontieren, Ihnen sagen, dass alles gut wird. Es ist die Sache wert.

Hatten Sie Filme im Hinterkopf, die Ihnen als Referenzen gedient haben?

Nicht im Speziellen. Dafür gibt es einfach zu viele gute Kriegfilme. Gerade von den Alten. Sands of Iwo Jima mit John Wayne, Objective, Burma! mit Errol Flynn von Raoul Walsh. Das war kein reiner Propagandafilm, sondern vielmehr ein Nachkriegsfilm. Der Film zeigt eindrucksvoll den Horror des Krieges und was er mit den Leuten macht. Aber er war eben nicht so drastisch. Nur in der Vorstellung der Zuschauer.

Würden Sie sagen, dass Ihr Film ein Antikriegsfilm ist?

Ja. Man kann gar nicht anders als Krieg zu verabscheuen. Aber man muss den Krieger verehren. Die Leute, die für uns in die Schlacht ziehen.

Wie schwer fiel es Ihnen, die Bilder der Schlacht entstehen zu lassen?

Das ist alles eine Frage der Inszenierung, der Choreographie. Es gibt ja keine genauen Aufzeichnungen über den Ablauf der Schlacht. Wir haben viel improvisiert. Zum Beispiel die Szene, in der Andrew Garfield den japanischen Soldaten verarztet. Das stand so gar nicht im Skript.


(Trailer zu Hacksaw Ridge)

Wie sind Sie die Darstellung der Japaner angegangen?

Natürlich sind die Japaner erstmal der Feind. Aber ich wollte sie nicht nur als Bösewicht zeigen, sondern so, wie sie in der Situation waren. Der Krieg lässt Menschen schreckliche Dinge tun.  Er macht aus Menschen Tiere. In unserer Geschichte gibt es eben jemanden, der sich nicht wie ein Tier verhält. In einer animalischen Situation.

Zwingen solche Dinge Sie dazu, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und die Frage aufzuwerfen, wie Sie in einer solchen Situation reagieren würden?

Darum geht es mir in dem Film. Herauszufinden wer ich bin. Zu zeigen, was einige Leute leisten können. Sie sind für mich Helden. Sie bringen eine gewisse Spiritualität mit. Ihr Glaube lässt sie große Dinge vollbringen. Da stellt sich mir automatisch die Frage, ob ich so jemand sein könnte. Und ich weiß es nicht. Nicht viele können so etwas. Aber es lohnt sich, genau das herauszufinden.

Konnte Desmond Doss nur durch seinen Glauben diese Taten verbringen?

Absolut. So war er einfach. Er schwebte auf einer höheren Sphäre. Er war wie von einem anderen Planeten. Sein Leben lang. Typen wie er sind selten. Er hat sich aufgeopfert für die Sache, sein Leben immer und immer wieder aufs Spiel gesetzt, um andere zu retten.

Sehen Sie ihn als eine Art Superheld?

Unbedingt. Desmond war – auch wenn er das anders gesehen hat – ein Held. Ein Superheld. Er hat etwas auf sich genommen, was größer war als er selbst. Sein Handeln hat auf andere Menschen ausgestrahlt. Der Unterschied zwischen echten Superhelden und Comichelden ist der, dass echte Superhelden keine hautengen Ganzkörperanzüge tragen. Dr. Strange kann also einpacken.

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