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Interviews

„Ich wünschte, ich wäre wie Lady Bird gewesen“ – Im Gespräch mit Greta Gerwig

Ein Beitrag von Anna Wollner

Begeisterte Reaktionen und viel Beifall hat Greta Gerwig für ihren Film Lady Bird bekommen. Im Interview mit Anna Wollner spricht sie über biographische Parallelen und Frauen im Filmgeschäft.

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Lady Bird - Bild
Lady Bird - Bild

It-Girl einer ganzen Generation. Das trifft auf Greta Gerwig wohl zu. Mit Greenberg und Frances Ha, mit Mistress America und Lola gegen den Rest der Welt wurde sie zum filmischen Hipster-Sprachrohr eben jener Anfang/Mitte/Ende der 1980er Jahre geborenen Generation Y, die ähnlich wie Frances Ha ziellos durchs Leben treibt. Mit Lady Bird hat die 34-jährige Wahl-New-Yorkerin ihr Regiedebüt abgeliefert und die Herzen der Filmwelt schon wieder im Sturm erobert. Anna Wollner hat Greta Gerwig im Februar in Berlin zum Interview getroffen.

 

Mrs Gerwig, auch wenn Sie darum gebeten haben, nicht über #metoo, #timesup oder Woody Allen zu reden, steht dennoch ein Thema im Raum. Sie waren als fünfte Frau überhaupt für den Oscar in der Kategorie „Beste Regie“ nominiert. War Ihnen das bei Bekanntgabe der Nominierungen überhaupt klar?

Nicht in dem Ausmaß, denn ich war bewegt genug, überhaupt berücksichtigt worden zu sein. Nicht nur als Regisseurin, auch als Drehbuchautorin. Jetzt mit den Frauen, mit denen ich groß geworden bin, in einer Reihe zu stehen, ist unbeschreiblich. Zwei von ihnen haben mich persönlich bestärkt, überhaupt diesen Weg zu gehen, und mich motiviert, am Ball zu bleiben. Ich hoffe, dass Frauen, egal in welchem Alter, ob jünger oder älter als ich, selbst motiviert werden, wenn sie sehen, dass ich mit meinem ersten Film so weit gekommen bin. Nichts ist unmöglich. 

Welche der Frauen war Ihr Vorbild?

Ich würde nicht von Vorbild sprechen, aber als ich Kathryn Bigelow für The Hurt Locker auf der Oscarbühne sah, als erste Frau überhaupt in der Regiekategorie, bedeutete mir das sehr viel. Diese Art von Sichtbarkeit ist sehr wichtig. Dieses Jahr war ich ja nicht nur als einzige Frau in der Regie-Kategorie nominiert, mit Rachel Morrison war ja auch das erste Mal überhaupt eine Frau in der Kamera-Kategorie nominiert. Das ist besonders und so verdient. Selbst ich wusste nicht, dass in dieser Kategorie bisher noch nie eine Frau überhaupt nominiert war.

Saoirse Ronan und Beanie Feldstein in Lady Bird
Saoirse Ronan und Beanie Feldstein in Lady Bird

Aber sind Sie es nicht ein bisschen leid, dass alle Leute über Sie als Regisseurin diskutieren und nicht über Ihren Film?

Ich bin froh, dass diese Diskussion größer ist als die um den Film. Denn wir haben endlich eine Diskussion und es wird darüber geredet, wie die Rahmenbedingungen vor allem auch für Frauen in der Filmindustrie besser werden können. Mir geht es nicht um mich und meinen Film, mir geht es um das große Ganze. Und da kommt gerade jede Menge Bewegung rein. Es gibt mehr Regisseurinnen, es gibt mehr Frauen in allen Gewerken. Und irgendwann kommen wir einfach an den Punkt, an dem es keine Rolle mehr spielt, ob der Film von einer Frau oder einem Mann gemacht wurde. Aber bis es soweit ist, müssen wir die Konversation darüber am Leben erhalten.

Dann lassen Sie uns über den Film reden. Wie überwältigt waren Sie von dem Erfolg von „Lady Bird“?

War? Ich bin es noch immer. Wie Lady Bird von den Leuten aufgenommen und gefeiert wird, ist wilder, als ich es mir in meinen kühnsten Träumen hätte vorstellen können. Natürlich hofft jede Regisseurin, jeder Regisseur auf den Erfolg seines Filmes. Aber was mit unserem kleinen Ding passiert ist, konnte wirklich niemand vorhersehen. Von unserer Premiere in Telluride bis heute. Ich nehme es einfach als Geschenk, dass ich mit so vielen unterschiedlichen Menschen über den Film sprechen konnte. Obwohl die Geschichte von Lady Bird sehr spezifisch ist, haben Leute ganz unterschiedliche Reaktionen darauf. Aber alle haben eines gemeinsam. Sie fühlen sich berührt. Selbst wenn sie noch nie in ihrem Leben etwas von Sacramento gehört haben. Ich bin überglücklich.

Wenn Sie sagen, dass Sie glücklich sind – sind Sie momentan die beste Version von sich? Oh nein. Vor allem nicht in dieser Minute. Ich habe Jetlag und will eigentlich nur ins Bett. Ich würde sogar weit gehen und sagen, dass ich die beste Version meiner selbst bin, wenn ich Regie führe. Am Set, mit den Schauspielern und dem Team. Dann werde ich größer als die Summe meiner einzelnen Teile. 

Warum ausgerechnet da?

Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es die mir so vertraute Umgebung, vielleicht der kollaborative Gedanke vom Filmemachen. Irgendwie hole ich am Set immer das Beste aus mir raus. Was am Ende allen zu Gute kommt. 

Saoirse Ronan in Lady Bird
Saoirse Ronan in Lady Bird

Wie würden Sie sich selbst als Regisseurin beschreiben?

Ich bin sehr genau, ich weiß, was ich will. In meiner Zusammenarbeit als Schauspielerin und Drehbuchautorin mit Noah Baumbach habe ich viel gelernt. Denn dort haben wir uns immer ziemlich genau an das geschriebene Wort im Text gehalten. Das habe ich hier übernommen. Ich mag es, wenn die Schauspieler die Dialoge so sagen, wie ich sie geschrieben habe. Aber ich will von meinen Schauspielern auch überrascht werden. Ich will, dass sie das Gefühl haben, dass die Rolle zu 100% ihnen gehört. Ich habe – was die Biographie der Figuren angeht – keine Geheimnisse vor ihnen. Ich will, dass sie sich die Figur selbst erschaffen und in ihr aufgehen. Als Regisseurin mag ich Proben, Zeit miteinander warm zu werden. Vor allem die Schauspieler untereinander. In der Zusammenarbeit mit dem Kreativ-Team, meinem Kameramann, meinem Ausstatter und meinem Kostümbildner, geht es mir vor allem um gute Vorbereitung. Ich versuche, so viel Zeit wie möglich mit ihnen zu verbringen und eine Art gemeinsamer Sprache zu entwickeln. Denn wenn wir einmal am Set sind, haben wir keine Zeit mehr für Diskussionen. 

Gibt es Diktatoren-Momente am Set? Was regt Sie auf?

Ich war auf so vielen Sets, dass ich schon vorher wusste, was mich aufregen wird. Ich habe bei der Zusammenstellung meines Teams darauf geachtet, dass ich mit jedem einzelnen über einen längeren Zeitraum mehr als 14 Stunden Zeit am Tag verbringen will. Ich habe ganz klare Regeln: keine Handys am Set! Denn die lenken nur ab. Vor allem Schauspieler. Die sollen sich aufs Drehbuch konzentrieren und nicht auf Instagram.  Ich habe durch meine Regeln also schon im Vorfeld vermieden, jemanden anschreien zu müssen. 

Saoirse Ronan und Lucas Hedges in Lady Bird
Saoirse Ronan und Lucas Hedges in Lady Bird

Zu Beginn Ihrer Karriere, der Mumblecore-Strömung, haben Sie erste Erfahrungen als Regisseurin gesammelt. Wie hat Sie das bis heute beeinflusst?

Ich habe mit den Duplass Brüdern gearbeitet, mit Joe Swanberg und Andrew Bujalski, Josh und Benny Safdie. Die Filme waren alle unterschiedlich, wurden aber alle in einer Art Do-It-Yourself gemacht, mit wenig Budget. Ich habe dort eine Menge gelernt, denn jeder musste alles machen. Ich habe dort gelernt, wie Filme aufgebaut sind, welche Einstellungen man braucht und welche nicht, wie sich am Ende alles zusammenfügt. Das hat sehr geholfen und war befreiend. Denn wir konnten viel ausprobieren. Ohne den Druck zu spüren, alles richtig machen zu müssen. Ich habe mich dann einfach ein bisschen weiterentwickelt, weg von der Improvisation. Hin zu mehr Stringenz. Keine Handkameras mehr, sondern etwas geplanter und organisierter. Aber um mich in jungen Jahren auszuprobieren und auch zu scheitern, hätte es besser nicht sein können.

„Lady Bird“ wirkt wie eine Symphonie des Storytellings. War das alles so schon im Drehbuch oder hat sich das erst im Schnitt ergeben?

Zu 95% stand alles, was Sie auf der Leinwand sehen, so auch schon im Drehbuch. Selbst die Überlappungen vom Voice-Over in die nächste Szene. So etwas schreibe ich tatsächlich schon ins Buch. Ich wollte ganz bewusst, dass der Film sich anfühlt, als würde er von Szene zu Szene stolpern. Dass die Zeit sich schneller bewegt als der Zuschauer. Ich mag es, aus Szenen rauszugehen, bevor es überhaupt eine Art Lösung gibt. Der Film gewinnt dadurch an Emotionen. Durch den Moment. 

Macht das den Schnitt einfacher?

Nein, nicht wirklich. Aber mein Schnittmeister Nick Houy hat ein sehr gutes Gespür für den Rhythmus der Dialoge. Es scheint alles synchronisiert zu sein. Die Schnitte mit den Wörtern. Im Theater schafft man den Rhythmus durch die Sprache. Im Film durch den Schnitt. Aber ich wollte, dass die beiden hier zusammenspielen. Der Rhythmus kommt durchs gesprochene Wort und wird durch den Schnitt noch einmal verstärkt. 

Saoirse Ronan und Laurie Metcalf in Lady Bird
Saoirse Ronan und Laurie Metcalf in Lady Bird

Wie viel von Ihnen steckt in Lady Bird?

Sie ist eigentlich das genaue Gegenteil von mir als Teenager. Ich habe nie jemanden gezwungen, mich bei einem anderen Namen zu nennen, habe mir nie die Haare gefärbt, habe jede Regel befolgt und wollte nicht auffallen. Beim Schreiben kam mir dieses Mädchen in den Sinn, die auf der einen Seite voller Fehler und auf der anderen Seite sehr mutig und bewundernswert war. Für mich war das der ideale Weg endlich das auszuleben, was ich selbst mit 17 nie war. Ich wünschte, ich wäre gewesen wie sie. Es gibt aber auch Parallelen, die ich nicht leugnen kann. Ich bin aus Sacramento und war auf einer katholischen Mädchenschule. Das Setting ist real. Aber Lady Birds Wesen ist nur eine Wunschvorstellung.

Wie sieht es mit der Mutter-Tochter-Beziehung aus?

Die Figur der Mutter hat mit meiner eigenen nicht viel zu tun. Ich sage immer, die Figur der Mutter ist die Interpretation einer allumfassenden Wahrheit. Meine Mutter und ich, meine Mutter und meine Schwester. Meine Schwester mit ihren Kindern. Meine Freunde mit ihren Kindern. Es mangelt mir wahrlich nicht an Inspirationen für Mutter-Tochter-Beziehungen. Ich sage immer, egal welche Frau Sie auf der Straße ansprechen und nach der Beziehung zu ihrer Mutter fragen, Sie kriegen nie nur einen Satz als Antwort. Niemand wird sagen „gut“. Das existiert einfach nicht. Es ist immer komplex und nuancenreich. Ich wollte eine gewisse Dualität erreichen. Im Kino sind Mütter meist Monster oder Engel. Aber nie einfach nur Menschen, die versuchen, ihr Bestes zu geben. Ich wollte eine Mutter erschaffen, die Fehler macht, aber bei der man weiß, dass sie ihre Kinder über alles liebt. 

Haben Sie Reaktionen aus Sacramento auf den Film bekommen?

Wir hatten in Sacramento eine sehr emotionale Premiere. Meine ganze Familie war da, selbst der Bürgermeister kam, mein Lehrer aus der zweiten Klasse. Leute, mit denen ich groß geworden bin und ihre Familien. Es war sehr bewegend. Sacramento liebt den Film und das ist mir sehr wichtig. Denn ich habe Lady Bird immer als Liebesbrief an die Stadt verstanden. Obwohl Lady Bird die Stadt verlassen will. Sie hat die Schönheit der Stadt einfach noch nicht erkannt. In Sacramento gibt es mittlerweile sogar Anstecker mit „I love Lady Bird“. 

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