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Interviews

"Ich wollte keinen Film mit Scheißmusik machen." - John Carney im Interview zu "Sing Street"

Ein Beitrag von Anna Wollner

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Sing Street

Mit Once hat er einen der schönsten Liebesfilme der jüngeren Kinogeschichte gedreht, mit Can A Song Save Your Life eine Hipster-Wohlfühl-Romanze in New York. Mit Sing Street kehrt der irische Regisseur John Carney zu seinen Wurzeln zurück und erzählt eine musikalische Coming-Of-Age-Geschichte gepaart mit einer zarten ersten Liebe. „Boy meets Girl“ ist der Untertitel. „Girl Unimpressed. Boy starts Band.“ Anna Wollner traf Carney in London zu Gespräch.

Mr. Carney, inwiefern erzählen Sie in „Sing Street“ Ihre eigene Geschichte?

Der Ausgangspunkt ist natürlich schon mein eigener. Ein Junge, der in den 1980ern in Dublin von einer Privat- auf eine staatliche Schule wechselt. Das ist meine Geschichte. Aber als ich anfing, den Film zu schreiben, habe ich mich schnell von meiner eigenen Biographie verabschiedet und gemerkt, dass das Drehbuch bis zu einem gewissen Grad die Richtung vorgibt. Ich habe mich einfach leiten lassen. Als feststand, dass Ferdia Walsh-Peelo die Hauptrolle Conor spielen wird, war mir eh klar, dass der Film ganz anders wird als meine Jugend. Denn Conor ist ein ganz anderer Typ als ich.

Aber dennoch war es für Sie eine Reise in Ihre Vergangenheit. Wie hat sich die Zeitreise zurück in die Achtziger angefühlt?

Es war erschreckend. Wir haben uns zurück in eine Zeit versetzt, in der Irland im wirtschaftlichen Abschwung war. Es war eine Zeit, in der die Kirche noch viel zu sagen und das gesellschaftliche Leben fest in der Hand hatte. Eine Zeit, in der man sich nicht scheiden lassen durfte, in der Homosexualität strafbar war. Das war also schon mal beängstigend.

Was noch?

Die Mode. Seien wir doch mal ehrlich, klamottentechnisch waren die Achtziger ein katastrophales Jahrzehnt. Da gibt es nichts zu entschuldigen. Nichts Gutes. Kein einziges Teil, kein einziger Look, den ich heute noch durchgehen lassen würde. Maximal für Frauen. Aber für Männer war es echt düster. Wir sollten das Kapitel ganz schnell schließen.

Aber musikalisch waren die Achtziger doch eine gute Zeit.

Musikalisch würde ich sogar so weit gehen und sagen, es war das letzte große Jahrzehnt der Popmusik. Die Neunziger sind für mich schon längst tot. Aus und vorbei.


(Trailer zu Sing Street)

Was war Ihre größte musikalische Inspiration für den Film?

Meine Plattenkisten im Keller. Und die Arbeit mit Gary Clark. Er ist ein großartiger Songwriter und hat in den Achtzigern ein paar echt gute Alben geschrieben.

Wie müssen wir uns Ihre Zusammenarbeit für „Sing Street“ vorstellen?

Wir haben fünf Songs zusammen geschrieben, zwei hat Gary ganz alleine komponiert. Das sind dummerweise auch die beiden Besten. Ich bin ja nur Hobbymusiker. Klar war ich vor ein paar Jahren mal in einer Band, aber das war eine Erfahrung, die ich im Nachhinein bereue. Das ständige Touren, der Umgang mit Plattenfirmen, das war nichts für mich. Deswegen habe ich mich früh dagegen entschieden, Songs für Geld zu schreiben. Ich wollte meine Berufung, mein Talent nicht zur Arbeit machen. Über diese Entscheidung bin ich froh. Musik ist für mich noch immer etwas sehr Heiliges. Ich habe immer nur zum Vergnügen gespielt.

Dennoch haben Sie hier am Soundtrack mitgewirkt?

Ich konnte es einfach nicht lassen. Schon früh bin ich mit Gary Clark mein iPhone-Archiv durchgegangen. Ich hatte über 50 verschiedene Melodien über die Jahre gesammelt. Ein paar waren nur Refrains, ein paar richtig mit Strophen. Ich bin also mit diesen halbfertigen Ideen zu Gary gegangen. Hier mal eine Zeile, da mal ein Vers, den ich mochte und aus dem er dann einen ganzen Song machen musste. Um ehrlich zu sein, blieb die ganze Arbeit an ihm hängen, und er hat dafür gesorgt, dass die Songs gut klingen.


(Bild aus Sing Street; Copyright: Studiocanal GmbH Filmverleih)

Wie schwierig ist es, den Rhythmus der Musik auf den Rhythmus des Films zu übertragen?

Die beiden Sachen kommen eigentlich Hand in Hand, sie entwickeln sich zusammen.  Das ist nicht anders als Frühstück machen. Man stimmt den Orangensaft mit dem Kaffee und dem Obst ab. Kredenzt vielleicht noch ein bisschen Speck und Eier. Das ist beim Film genauso. Du schreibst den Song ja zusammen mit dem Drehbuch und nicht erst am Ende, wenn alles schon steht.

Bei den Aufnahmen zum Film musste das Orchester absichtlich schlecht spielen, um den professionellen Grad der Sing-Street-Band zu treffen. Mussten Sie die Musiker bestechen?

Fast. Denn man bittet ausgebildete Musiker, die Töne absichtlich nicht zu treffen, naiver zu spielen. Nur verbringt ein Musiker den Großteil seines Lebens damit besser zu werden. Das wieder loszuwerden dauert. Um absichtlich schlecht spielen zu können, muss man erstmal überhaupt gut spielen können. Sonst ist es nichts als Krach. Ich wollte auf keinen Fall, dass die Musik schlecht klingt. Das Potential der Band sollte von Anfang an durchschimmern. Die Jungs sollten keine austauschbare, durchschnittliche Schulband von nebenan sein. Ich wollte keinen Film mit Scheißmusik machen. Wir wussten, je besser unsere Musiker sind, desto schlechter wird die Musik, die sie spielen. Und trotzdem noch hörbar.

Ihre drei größten Filme, „Once“, „Begin Again“ und „Sing Street“ kombinieren alle eine Liebesgeschichte mit der Musik. Ein Zufall oder eine Trilogie?

Oh ja, die drei Filme haben natürlich eine offensichtliche Ähnlichkeit, bilden eine kleine Serie. Deswegen wird mein nächster Film auch etwas komplett anderes. Mit Musik bin ich durch.

Würden Sie Ihre drei Filme mit Alben vergleichen? Mit jeweils unterschiedlichen Handschriften anhand der Lebensumstände?

Das ist ein interessanter Ansatz. Ein wenig fühlen sie sich wie visuelle Alben an. Mit drei unterschiedlichen Ansätzen. Wobei ich nicht sagen würde, dass ich einen Besitzanspruch auf die Musik in Once habe. Den hat einzig und allein Glen Hansard. Bei Can A Song Save Your Life war ich schon mehr involviert. Und bei Sing Street eben noch mehr. Jeder Film hat ein eigenes Thema und doch sind sie sich sehr ähnlich. Sie kombinieren die klassische „Boy meets Girl“-Geschichte. Nur eben mit sehr unterschiedlicher Musik.


(Bild aus Once; Copyright: Kinowelt Filmverleih)

Ist „Sing Street“ dabei ihr persönlichster Film?

Nein, das ist Once. Wenn Sie in der Sprache des Musikbusiness bleiben wollen, dann habe ich mit Can A Song Save Your Life wohl bei einem Major unterschrieben. Und Sing Street ist die Erinnerung an meine Kindheit. Klar gibt es auch hier den persönlichen Touch durch die Bruder-Geschichte, aber wenn ich heute wirklich noch einmal einen persönlichen Film machen würde, wäre er traurig und deprimierend. Hätte mehr die Stimmung von Once. Ich bin eher so der melancholische, traurig-depressiv veranlagte Typ.

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