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Interviews

"Ich will keine Filme mit politischem Auftrag machen" - Im Gespräch mit Jakob Lass

Ein Beitrag von Andreas Köhnemann

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Jakob Lass

Mit Love Steaks lieferte der 1981 geborene Jakob Lass einen der aufregendsten deutschen Filme des Jahres 2013. Auf die unkonventionelle Liebesgeschichte zwischen zwei jungen Angestellten in einem Luxushotel an der Ostsee folgt nun eine Coming-of-Age-Story in Berlin: In Tiger Girl entwickelt eine schüchterne Sicherheitsdienst-Mitarbeiterin in der Ausbildung durch die Begegnung mit der freigeistigen Titelfigur Selbstbewusstsein sowie eine zunehmend kriminelle Energie. Abermals ließ Lass sein Ensemble lustvoll improvisieren. Andreas Köhnemann traf den Filmemacher in Berlin zum Interview.

Herr Lass, „Tiger Girl“ entstand erneut nach den FOGMA-Regeln. Neben Ihnen werden noch vier weitere Personen als Drehbuchautorinnen und -autoren genannt. Wie lief das Schreiben ab? Und was war vorhanden, als der Dreh begann?

Die Textarbeit ist tatsächlich eine reduktive Arbeit. Am Anfang haben wir mehr Texte, die wir dann bis zum Dreh immer knapper gestalten. Die Unterlagen zum Film werden also immer dünner, je näher der Dreh rückt – weil wir versuchen, wirklich nur noch die Essenz ins sogenannte „Skelettbuch“ zu schreiben, um dann wieder eine neue Freiheit im Dreh zu haben. Und es ist immer schön zu sehen, wie viele von den Gedanken, die wir uns im Vorfeld gemacht haben, beim Dreh wieder ganz frisch zum Leben erwachen – dass sie über diesen Weg also nicht platt oder hölzern werden, was durchaus passieren kann, wenn man lange an einem Projekt arbeitet.

Was mussten denn Ihre beiden Hauptdarstellerinnen Maria Dragus und Ella Rumpf mitbringen, um die Rollen von Vanilla und Tiger spielen zu können?

Natürlich eine Offenheit und die Lust auf diese Arbeitsweise – denn das muss man erst mal wollen, da es einem auch viel abverlangt. Außerdem noch die Lust, sich auf das Kämpfen einzulassen, also das harte, körperliche Training. Beide haben vor dem Dreh und während des Drehs intensiv trainiert, um diese Kampfsequenzen machen zu können. Zwar wurden sie teilweise auch gedoubelt – aber sie haben wirklich viele Kämpfe selbst gemacht.

Und wie viel, würden Sie vermuten, steckt letztlich von Maria Dragus in Vanilla und von Ella Rumpf in Tiger?

Das ist natürlich eine schwierige Frage für mich (lacht). Ich weiß, dass sehr viel von mir selbst in den beiden Figuren drinsteckt – dass ich mich in beiden Figuren wiederentdecken kann. Ich glaube, Ella mochte ihre Figur Tiger mehr als es bei Maria mit ihrer Figur Vanilla der Fall war. Maria hatte eher einen eigenen Kampf mit Vanilla – was aber ja auch interessant ist: dass man sich in einer Rolle von sich selbst wegbewegen und so Bereiche erforschen kann, die man in seiner eigenen Persönlichkeit gar nicht hat.


(Bild aus Tiger Girl; Copyright: Constantin Film)

Würden Sie „Tiger Girl“ als feministischen Film bezeichnen?

Ich kann nur sagen: Ich selbst bin Feminist; das ist mir wichtig. Aber ob Tiger Girl feministisch ist, kann ich nicht beantworten. Auch deshalb nicht, weil ich keine Filme mit politischem Auftrag machen will. Filme sind emotional – und Politik sollte nicht emotional sein!

Eine andere interessante Figur des Films ist Herr Feldschau. Der Laiendarsteller Orce Feldschau spielt sich gewissermaßen selbst als Ausbilder in der Sicherheitsdienst-Schule. Wie war die Arbeit mit ihm?

Großartig! Er war ja auch Gastgeber für uns – er hat uns in seine Schule reingeholt und konnte uns einen Einblick in die wirkliche Ausbildung geben.

Wie kamen Sie auf das Sicherheitsdienst-Milieu?

Wir sind da ganz stark von einem Lebensgefühl ausgegangen. Es ist ja jetzt schon drei Jahre her; damals hatte ich so ein Ohnmachtsgefühl, immer wenn ich mich mit dem Weltgeschehen beschäftigt habe: Ohnmacht und eine Wut, die keinen Kanal hat, – das waren die stärksten Gefühle, die sich da einstellten. Und dann fand ich solche Themen wie Sicherheit und Uniformen interessant – und die Frage, was passiert, wenn man seine unterdrückte Aggression in einer Uniform auslebt. Ich glaube, dass diese Gefühle und Themen jetzt sogar noch stärker und aktueller geworden sind.


(Bild aus Tiger Girl; Copyright: Constantin Film)

Stand auch von Anfang an fest, dass Franz Rogowski und Lana Cooper – das Schauspiel-Duo aus Ihrem Vorgängerwerk „Love Steaks“ – wieder mit dabei sein werden?

Es war mir klar, dass sie mitspielen müssen; ich wollte sie unbedingt dabei haben – denn ich habe sie vermisst (lacht). Aber ebenso war mir klar, dass ich nicht direkt wieder einen Film mit den beiden in den Hauptrollen machen kann. Welche Rollen sie dann in Tiger Girl übernommen haben, hat sich so ergeben.

Lassen Sie uns noch über das deutschsprachige Kino im Allgemeinen sprechen. Wie beurteilen Sie die Situation des deutschsprachigen Films?

Ich habe große Hoffnung, dass sich etwas tut. Ich habe das Gefühl, dass das deutschsprachige Kino lebendiger und mutiger wird – und dass etwas passiert. Es gibt immer mehr Vertrauen in Filmschaffende, die auch formal etwas anderes machen und neue Wege gehen wollen; es gibt Vertrauen in riskantere Themen oder in Themen, zu denen nicht schon zwanzig Filme gemacht wurden, – auch wenn nicht hundertprozentig sicher ist, dass dann jeder in diesen Film gehen wird. Ich bin also tatsächlich sehr zuversichtlich, was das deutschsprachige Kino angeht.

Können Sie drei deutschsprachige Filme aus diesem Jahrtausend nennen, die Sie tief beeindruckt haben?

Zum einen Der Wald vor lauter Bäumen von Maren Ade – wegen der Figurenzeichnung und des Konflikts und weil Maren Ade es geschafft hat, ein Thema, das viele von uns angeht, über das aber niemand spricht, nämlich diese ganz besondere Art von Einsamkeit, in diese Figur zu packen und zu erzählen. Dann fand ich Fack ju Göhte cool – weil es dem Film gelingt, eine ganz klassische Komödie zu sein, ohne dabei ultra-dumm sein zu müssen. Das ist eine Leistung; Bora Dagtekin hat da ein krasses Gespür für Timing und Humor. In dem Genre habe ich schon viel zu viele Filme gesehen, die ich fürchterlich fand – und ich finde es toll, dass er das so gut hingekriegt hat. Der Film ist intelligenter, als er auf den ersten Blick wirkt. Und außerdem würde ich noch Hundstage von Ulrich Seidl nennen – weil er ästhetisch sehr interessant ist: diese Hitze, die da visuell transportiert wird. Aber auch wegen des wahnsinnig schmerzhaften Humors – das finde ich schön.


(Trailer zu Tiger Girl)

Ihr nächstes Projekt „So was von da“ ist bereits in der Mache. Was können Sie uns darüber schon erzählen?

Es wird die erste improvisierte Romanverfilmung der Welt – vielleicht; da müsste man noch mal recherchieren, ob es irgendwann und irgendwo schon mal eine gab (lacht). Ich habe bisher noch keine gefunden – vielleicht aber zur Stummfilmzeit. Es wird ein Ensemblefilm – und natürlich auch wieder sehr musiklastig. Die Dreharbeiten waren sehr spannend und spaßig und jetzt bin ich gerade im Schnitt.

Vielen Dank für dieses Gespräch!

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