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Interviews

"Ich plädiere dafür, den Zuschauern mehr zu vertrauen" – Im Gespräch mit Bjarne Mädel

Ein Beitrag von Andreas Köhnemann

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24 Wochen

Man kennt Bjarne Mädel unter anderem als Berthold „Ernie“ Heisterkamp aus der Büro-Sitcom Stromberg oder als titelgebenden Tatortreiniger. Im diesjährigen Berlinale-Wettbewerbsbeitrag 24 Wochen von Anne Zohra Berrached spielt er mit Julia Jentsch das Paar Astrid und Markus. Die beiden müssen erfahren, dass ihr ungeborenes Kind mit dem Down-Syndrom sowie einem schweren Herzfehler zur Welt kommen wird. Nun stehen sie vor der Entscheidung, ob sie eine Spätabtreibung vornehmen lassen wollen. Andreas Köhnemann traf Bjarne Mädel auf dem 12. Festival des deutschen Films in Ludwigshafen zum Interview.

Herr Mädel, in einem Interview erwähnten Sie mal George Taboris Konzept vom „gefährlichen Arbeiten“ – also einer Schaffensweise, die viele Herausforderungen bereithält und somit auch Risiken sowie die Möglichkeit zu scheitern. Wo sahen Sie für sich selbst bei „24 Wochen“ die Herausforderungen und die Gefahren?
Der Film war eine Abschlussarbeit an der Ludwigsburger Filmakademie – ein Low-Budget-Projekt, bei dem man davon ausgehen konnte, dass da sehr viel Herzblut drinsteckt. Das Buch war extrem gut recherchiert, weshalb in dieser Hinsicht schon mal keine Gefahr bestand, zu scheitern. Aber es gibt darin bestimmte Szenen, die so heftig und emotional sind und bei denen es nur sehr schwer vorstellbar ist, wie man solche Situationen als Mensch ertragen kann. Und dafür hatte ich kein Handwerkszeug. Ich konnte nicht sagen: „Ah, da weiß ich, wie ich das spielen kann.“ Es gab keine Tricks, ich musste mich dem einfach aussetzen. Und dabei wusste ich nicht, wie weit ich kommen werde. Solche Momente hatte ich tatsächlich noch nicht oft vor der Kamera gespielt. Wie oft schafft man es, auf Befehl zu heulen – nicht mit dem Pfefferminzstift unterm Auge, sondern wirklich, innerlich, weil die Situation einen so ergreift? In solchen Situationen gab es schon die Möglichkeit, zu scheitern. Aber ich hatte zum Glück mit Anne Zohra Berrached eine tolle Regisseurin und mit Julia Jentsch eine fantastische Kollegin. Wenn die Kollegin mit Leichtigkeit in solche Tiefen eintauchen kann, dann wird man einfach mitgerissen.

Julia Jentsch und Sie spielen ein Paar, das seit acht Jahren zusammen ist und eine Tochter hat. Wie erzeugt man da gemeinsam eine glaubwürdige Vertrautheit und Intimität?
Zum Teil kann man sich so etwas erspielen, aber ein gewisser Teil ist auch einfach die Chemie, die dann stimmen muss. Und bei Julia und mir hat sie gestimmt. Wir mögen und schätzen uns sehr. In der Zusammenarbeit mit Kindern ist es noch schwieriger: Wenn ein Kind dich nicht mag, wird man das immer merken. Aber Emilia Pieske (Darstellerin der Tochter Nele; Anm. d. Red.) ist so eine talentierte junge Schauspielerin, in die ich mich gleich am ersten Tag verknallt habe. Ich glaube, das überträgt sich dann. Johanna Gastdorf als Mutter von Astrid muss ich da auch noch hinzuzählen. Julia und Johanna kannten sich schon aus anderen Arbeiten und Johanna und ich haben uns immer mal getroffen und uns gesagt, wie toll wir uns gegenseitig finden (lacht). Es geht dabei auch um die Art, wie jemand den Beruf begreift – wie jemand arbeitet und ob man das teilt. Wir waren alle sehr unterschiedlich, aber hatten den gleichen Anspruch an diesen Beruf. Wir wollten zusammen etwas erreichen.


(Filmausschnitt aus 24 Wochen)

In diesem Film haben Sie ja auch mit Schauspiel-Laien vor der Kamera zusammengearbeitet, zum Beispiel mit Ärzten. Wie haben Sie das empfunden?
Im ersten Moment dachte ich, dass es extrem kompliziert sein wird. Ich bin jemand, der normalerweise sehr präzise arbeitet und Dinge gern festlegt – zum Beispiel auch in der Arbeit mit Requisiten, damit ich dann im Spiel frei bin. Wenn man mit Laien arbeitet, kann man das allerdings so nicht machen. In diesem Film hatten die Laiendarsteller ja nicht mal einen vorgegebenen Text. Das erwies sich hier aber tatsächlich als große Hilfe: Ein Arzt, der eine Diagnose stellt und weiß, wovon er spricht, erwischt einen damit ganz anders, weil man begreift, dass das jetzt echt ist. Hätte da ein Schauspielkollege gesessen, hätte ich wahrscheinlich – ganz unbewusst – überlegt: „Wie spielt er das gerade? Warum betont er den Satz so komisch?“ Wenn das aber ein Arzt ist, dann ist man dieser Situation so ausgeliefert, dass das sehr dabei hilft, authentisch zu sein. Denn wenn der Arzt echt ist, kann ich nicht ‚unecht‘, mit irgendeiner Spielidee, darauf reagieren. Ich muss mich dem ausliefern und mir sagen: Wir sind jetzt wie ein echtes Paar, dem das passiert – und das würde genau das zu hören kriegen. Besonders herausheben muss ich da auch die Hebamme in unserem Film. Wie empathisch sie in dieser Situation ist und hilft. Man könnte meinen: Das ist die beste Schauspielerin! Aber sie hat eben genau das gemacht, was auch wir Schauspieler im Idealfall tun: Sie hat die Situation als echt anerkannt und ‚vergessen‘, dass dabei eine Kamera läuft. Wir haben Fachkräfte gefunden, die dafür ein Talent hatten.

Es gibt auch eine Sequenz, in der Astrid und Markus eine Gruppe von jungen Menschen mit Down-Syndrom besuchen. Wie haben Sie diesen Dreh erlebt?
Auch da war ich natürlich erst einmal aufgeregt und hatte Berührungsängste. Und es gab erst einmal ein komisches voyeuristisches Gefühl: Wissen sie, warum wir das machen und inwieweit macht ihnen das selbst Spaß? Man stellt sich da als Spieler viele Fragen. Aber bei diesen Menschen – auch unter den Eltern und Betreuern, die wir kennengelernt haben – herrschte eine sehr offene und herzliche Stimmung. Für einige von ihnen war diese Begegnung sehr real, weshalb einige dann auch nur ‚Markus‘ zu mir gesagt haben und mich in den Pausen gefragt haben, was ich beruflich mache oder wann das Baby kommt. Das waren Momente von verwirrender Echtheit.

Und inwiefern fragt man sich als Schauspieler, wie man sich selbst in der Lage des Paars verhalten und entscheiden würde? Kann man überhaupt darüber nachdenken?
Ja, man muss darüber nachdenken. Wenn man so einen Film macht, fängt man damit schon beim ersten Lesen an. Es gibt aber diesen tollen Satz der Hebamme: „Niemand kann diese Entscheidung treffen, der sie nicht treffen muss.“ Und man sollte auch niemanden verurteilen, der diese Entscheidung so oder so trifft. Ich glaube, dass wir als Spieler eine Ahnung davon bekommen haben, was das heißt; aber ich glaube nicht, dass wir wirklich verstehen können, was man da durchmacht. Wir haben versucht, es so authentisch wie möglich zu empfinden. Und jemand, der so etwas in Wirklichkeit durchmacht, wird vielleicht sagen können: „Ja, ihr seid da ziemlich weit gekommen.“ Doch was das eigentlich heißt, wie viel Schmerz – und zwar lebenslangen Schmerz – das wirklich bedeutet, können wir nicht begreifen. Denn den Verlust, den wir in bestimmten Szenen vielleicht ansatzweise gespürt haben, muss ich jetzt nicht mehr empfinden, weil es für mich dann zum Glück doch nur ein Film war, den ich gemacht habe.


(Trailer zu 24 Wochen)

Sie spielen in „24 Wochen“ eine ernste Rolle in einem ernsten Film. Aber trotzdem merkt man, dass Markus auch ein witziger Typ ist. Wie würden Sie die Figur darüber hinaus beschreiben?
Er ist ein sehr optimistischer, positiver Mensch. In gewisser Weise entspricht er auch einem Männlichkeitsklischee: Er versucht, stark zu sein für seine Familie. Aber er ist schon ein moderner Mann, der keine Probleme damit hat, dass seine Frau das Geld mit nach Hause bringt. Er hält ihr den Rücken frei und versucht, alles abzusichern, was so im Hintergrund passiert. Er ist tatkräftig und handelt, ist also eher kein Grübler.

Man kennt Sie in erster Linie durch Rollen, die alle auf ihre eigene Art und Weise skurril sind. Markus ist nun viel bodenständiger. Aber gibt es etwas, worin Sie sich selbst ganz stark von dieser Figur unterscheiden?
Ich persönlich neige viel mehr zum Grübeln und hätte viel mehr Zweifel. Ich hätte auch die Haltung von Julias Rolle haben können in meinem Privatleben – viel zögerlicher und ängstlicher. Ich bin auch verträumter als Markus, nicht so sehr ein Geschäftstyp, kein so klarer Geist, sondern eher zum Nachdenken und Hinterfragen neigend. Aber trotzdem habe ich diesen positiven Kern ebenfalls – ich glaube auch, dass alles am Ende irgendwie gut wird.

Sie haben in einem Interview auch mal von Glücksbegabung gesprochen. Denken Sie, man kann sich dafür entscheiden, glücklich zu sein?
Also ich versuche das einfach immer wieder – schöne Momente wirklich mitzubekommen und zu genießen. Von Voltaire stammt der Spruch: „Ich habe mich entschieden, glücklich zu sein; das ist besser für die Gesundheit.“ Und das stimmt. Im Beruf habe ich früher nach einem Drehtag, mit dem ich unzufrieden war, wahnsinnig lange mit mir gehadert. Am Theater war ich früher extrem überehrgeizig, weil ich immer alles sofort können wollte. Heute bin ich da wesentlich entspannter. Und ich weiß, dass es nichts bringt, zurückzuschauen. Ich versuche, eher nach vorne zu schauen und im Moment zu sein. Und ich finde, es gibt Menschen, die von ihrem Naturell her mehr im Moment sein können, als das meinem Naturell entspricht. Die halte ich dann für glücksbegabter.

Was den beruflichen Ehrgeiz betrifft: Sie haben in Kalifornien unter anderem „Kreatives Schreiben“ studiert. Wenn Sie ein Drehbuch vorliegen haben – inwiefern ist dann der Reiz da, an den Dialogen zu feilen und Dinge umzuschreiben?
Das ist immer eine Notwendigkeit. Gerade im deutschen Fernsehen gibt es Bücher, in denen man sich dramaturgisch absichert. Das kann sehr langweilig und redundant sein. Ich plädiere dafür, den Zuschauern mehr zu vertrauen. Denn sie werden den Plot trotzdem verstehen, auch wenn man nicht alles ausformuliert und eine Szene auch mal mit weniger Worten auskommen lässt.

Können Sie uns abschließend noch etwas über kommende Projekte sagen?
Ja, Der Tatortreiniger geht weiter! Wir schaffen in diesem Jahr leider nur drei Folgen, weil der Regisseur Arne Feldhusen einen Kinofilm – Magical Mystery oder die Rückkehr des Karl Schmidt – gedreht hat, der in diesem Jahr noch fertiggestellt werden soll. Im nächsten Jahr drehen wir dann weiter. Und ich werde in einem Musikvideo mitspielen, was ich auch noch nie gemacht habe – von der Hamburger Band Liedfett. Außerdem werde ich wieder Theater spielen; im November beginnen die Proben im Hamburger Schauspielhaus. Die Tatortreiniger-Autorin Ingrid Lausund alias Mizzi Meyer wird ein neues Stück schreiben und inszenieren, das dann im Februar Premiere haben wird. Da freue ich mich wahnsinnig drauf!

Vielen Dank für dieses Gespräch!

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