zurück zur Übersicht
Interviews

Guillermo del Toro über die Liebe zu Monstern, Donald Trump und Märchen

Ein Beitrag von Anna Wollner

Mit 13 Nominierungen geht Shape of Water als klarer Favorit ins Oscarrennen. Guillermo del Toro hat mit der Liebesgeschichte zwischen einer stummen Putzfrau und einer Unterwasserkreatur einen der schönsten Filme der vergangenen Jahre gemacht. Mit uns sprach er über den Sinn und Unsinn der Liebe.

Meinungen
The Shape of Water - Das Flüstern des Wassers - Bild
The Shape of Water - Das Flüstern des Wassers - Bild

Bilderphantast – das ist wohl die perfekte Beschreibung für den mexikanischen Regisseur Guillermo del Toro. Egal ob Pans Labyrinth, Hellboy oder Crimson Peak – seine Filme bestechen durch ihren visuellen Look und die Liebe zum Detail. Mit Shape of Water – Das Flüstern des Wassers hat er beim Filmfestival in Venedig den Goldenen Löwen für den besten Film gewonnen, es folgten neben zahlreichen anderen Preisen unter anderem der Golden Globe als bester Regisseur. Shape of Water – Das Flüstern des Wassers ist eine phantastische, bildgewaltige und poetische Liebesgeschichte, die zeigt, dass es egal ist, in wen man sich verliebt. Anna Wollner traf del Toro bei den Filmfestspielen in Venedig zum Interview.

Warum haben Sie den Film im Kalten Krieg angesiedelt?

Das war eine ganz bewusste, spielerische Entscheidung. Denn Shape of Water ist nicht nur ein Film über eben diese Zeit, sondern auch ein Film über das Heute. Wenn Donald Trump darüber spricht, Amerika wieder groß zu machen – mit seinem Spruch „Make America great Again“ –, dann träumen er und seine Anhänger von eben jener Zeit. 

Was war 1962 für eine Stimmung im Land?

Im Jahr 1962 hat Amerika an eine große Zukunft geglaubt, es ging ums Wettrüsten im All, die Autos waren tiefer gelegt und hatten Spoiler, die Küchengeräte und Häuser wurden immer moderner, die Ehefrauen wurden als unverdorben und makellos präsentiert. Alles drehte sich um die Zukunft. Kennedy war im Weißen Haus. Für Amerika war das ein goldener Moment. Bis der Präsident erschossen wurde. Dann kamen Vietnam und die Desillusionierung. 1962 war der letzte Moment, in dem Amerika noch an sich und seinen Traum von Größe geglaubt hat. Ich wollte aber auch zeigen, dass 1962 schon die gleichen Probleme existiert haben wie heute: Rassismus, Sexismus, all das. 

Trumps Träume heute sind allerdings schon ein bisschen anders, oder?

Ich verstehe meinen Film als Gegengewicht zu Trump und heute. Es ist so schwierig, über Liebe zu reden und dabei nicht albern zu wirken. Halten Sie mich für naiv, aber ich glaube, dass wir Trump nur mit Zusammenhalt und Liebe etwas entgegensetzen können. 

Reichen Filme da aus?

Sie sind ein Anfang, denn sie haben eine Botschaft. Mein Film ist ein sehr sympathischer Film über Unvollkommenheit und die Schönheit von Demut und Bescheidenheit. Die Hauptfiguren um Elisa und Zelda sind für den arroganten Charakter von Michael Shannon nicht sichtbar. Doch sie kommen und halten zusammen und geben einem Monsterfilm einen märchenhaften Anstrich, sie verdrehen damit die konventionellen Sehgewohnheiten.

Michael Shannon, Sally Hawkins und Octavia Spencer in The Shape Of Water

Nach denen Monster normalerweise negativ konnotiert sind?

Genau. Denn normalerweise ist das Bild von einem Monster, das ein Mädchen trägt, verstörend und dem Horrorfilm entsprungen. Aber hier ist es einfach nur ein schönes Bild. Wenn ich nach den gängigen Regeln gespielt hätte, wäre die Figur von Michael Shannon der Held der Geschichte. In den 1950er Jahren zum Beispiel. Aber genau damit wollte ich brechen.

Wie haben Sie die visuelle Welt des Films erschaffen?

Ich wollte, dass es sich so anfühlt, als würde der Film zu großen Teilen wirklich unter Wasser spielen. Mit ein paar Ausnahmen. Ich habe ganz bewusst nach Kontrasten gesucht. Das Cyan Blau, das für den maritimen Aspekt in Elisas Welt steht, steht im Kontrast zum Rest. Stricklands Wohnung zum Beispiel ist in Goldfarben getaucht. Giles‘ Wohnung ist in Goldfarben. Es wirkt so, als würde Elisa unter Wasser wohnen und auch arbeiten. Ich habe den Film also in diese zwei Welten unterteilt und versucht, die Texturen der Unterwasserwelt trotz allem wie in einem Märchen zu gestalten.

Warum ist es ein Unterwasserwesen und kein Monster aus dem All?

Ich wollte mit dem Element des Wassers spielen. Es ist für mich ein Symbol der Liebe. Wasser ist das stärkste Element, das wir haben. Es hat keine Konturen. Es nimmt die Konturen an, die man braucht. Es ist weich und dehnbar. Genauso wie die Liebe. Liebe hat keine festen Konturen. Die Liebe übernimmt die Kontur der Person, die man liebt. Mir ging es darum, eine Liebesgeschichte zwischen zwei Wesen, zwei Gestalten zu erzählen, die komplett unterschiedlich sind. Denn wenn man sich verliebt, ist es egal, wie der andere aussieht oder für was er steht. Der religiöse Hintergrund ist egal, das Geschlecht ist egal, die Hautfarbe. Wenn man sich verliebt, verliebt man sich. Die Liebe fragt nicht um Erlaubnis.

  • Shape of Water - Das Flüstern des Wassers von Guillermo del Toro
    Shape of Water - Das Flüstern des Wassers von Guillermo del Toro
  • Shape of Water - Das Flüstern des Wassers von Guillermo del Toro
    Shape of Water - Das Flüstern des Wassers von Guillermo del Toro
  • Shape of Water - Das Flüstern des Wassers von Guillermo del Toro
    Shape of Water - Das Flüstern des Wassers von Guillermo del Toro

Ihr Film geht sehr direkt mit einer Masturbationsszene los. Wollten Sie schon gleich zu Anfang provozieren?

Ich wollte für klare Verhältnisse sorgen und nicht den Eindruck entstehen lassen, ich würde hier ein weichgespültes Disney-Märchen erzählen. Elisa ist keine Prinzessin, die Geschichte ist keine Die Schöne und das Biest-Variation. Meine Geschichte ist weder prüde noch puritanisch. Gerade Männer haben oft ein Problem damit, sich vorzustellen, wie Frauen masturbieren. Aber genau damit konnte ich meiner Heldin gleich zu Beginn eine Struktur geben

Sie entdisneyfizieren?

Genau. Sie hat drei Minuten Zeit, um drei Eier zu machen. Sie hat drei Minuten Zeit, um zu masturbieren, und drei Minuten, um die Schuhe sauber zu machen. Dann geht sie zur Arbeit. Schon in der Eröffnungssequenz zeige ich so viel über ihren Charakter, ohne auch nur eine einzige Dialogszene. Ihre Phantasie lebt im Kino unter ihrer Wohnung, sie selbst sieht die Welt wie eine Art Musical. Sie lässt sich einfach treiben, sie träumt von Wasser. Die Essenz der Kreatur wiederum ist sehr demütig. Aber am Ende des Films – Spoileralarm – kommt raus, dass die Kreatur eine Art Gott ist. Aber Michael Shannons Figur ist so ignorant, dass er das nicht erkennt. Das Monster ist für ihn unsichtbar. Alle Leute, die der Kreatur helfen, sind für ihn unsichtbar. Octavia Spencer, eine schwarze Putzfrau – unsichtbar. Er ist ein arroganter Arsch. Er hat die Kreatur nie gesehen. Er hat es als Monster abgetan. Sein großer Fehler und sein Untergang.

Sally Hawkins und Octavia Spencer in The Shape of Water

Ein Film wie Shape of Water ist etwas sehr Seltenes geworden. Wie sehr mussten Sie für die Umsetzung kämpfen? 

Ich habe allen Beteiligten sehr früh klargemacht, dass ich einen Märchenfilm machen will. Einen Märchenfilm mit einer politischen Konnotation. Ich war von Anfang an sehr offen und ehrlich zu Fox, habe alle meine Wünsche und Ideen ehrlich gesagt. Mir war es wichtig, dass jede einzelne Figur ihre eigene Liebesgeschichte bekommt. Octavia Spencer liebt ihren Ehemann, der kaum noch mit ihr redet, der einfach nur eine große Enttäuschung ist. Richard Jenkins ist in diesen attraktiven Mann verliebt, der sich als riesengroßes Arschloch entpuppt.

Ohne diese Nebenschauplätze in der Liebe hätte ich nicht so erzählen können, wie ich wollte. Denn nur dadurch erkennt sie sich in ihm und er sich in ihr. Für mich ist der Akt der Liebe sehr einfach: Ich sehe dich. Wenn du mich siehst, nimmst du mich wahr, in dem Moment existiere ich für dich. Das Gegenteil davon ist, ich sehe dich nicht. Was braucht es, um jemanden nicht zu sehen? Ideologie. Du bist schwarz, du bist Jude, du bist schwul, lesbisch oder Mexikaner. Das ist der Grund, warum es so viel Gewalt auf der Welt gibt. Weil die Leute sich gegenseitig nicht sehen. 

Der Film ist einer der romantischsten Filme der vergangenen Jahre. Erzählt durch die Augen einer Frau. Woher holen Sie die weibliche Sensibilität?

Ich habe den Film zusammen mit Vanessa Taylor geschrieben. Vielleicht daher. Aber lustigerweise hat Vanessa den Thrillerpart geschrieben und ich die romantischen Teile. Natürlich kann man sich aufgrund seines Geschlechts für etwas qualifizieren. Oder aber, weil man den richtigen Geist in sich trägt. Am Ende des Tages sind wir alle nur Menschen, haben die gleichen Gefühle. Die Liebe ist nicht berechenbar. Wenn man jemanden sieht und sich verliebt, kann man nichts dagegen tun. Deswegen wollte ich auch, dass sie stumm ist. Denn wenn man sich verliebt, kann man natürlich den ganzen Tag drüber reden, „Ich liebe dich“ sagen, das Blaue vom Himmel versprechen. Aber am Ende reicht es nicht. Egal wie oft man darüber redet, es wird nie ausreichen. Denn Gefühle lassen sich mit Worten nicht beschreiben. Deswegen gibt es im Film die eine Stelle, an der sie versucht zu sprechen, es nicht kann und deswegen singt. Aber sie ist stumm. Sie stellt sich also nur vor zu singen. Die Liebe ist das kraftvollste überhaupt im ganzen Universum. Und wir haben so große Angst davor. 

  • Shape of Water - Das Flüstern des Wassers - Trailer (deutsch)
  • The Shape of Water - Trailer 3 (englisch)
  • Shape of Water - Das Flüstern des Wassers: Clip 3 "Tanzschritte"

Sie haben schon mehrfach Die Schöne und das Biest genannt. Inspiriert wurden Sie aber von Creature From The Black Lagoon?

Ja, und dazwischen liegen Welten. Wenn man sich Die Schöne und das Biest anguckt, gibt es zwei Interpretationsmöglichkeiten. Die eine ist sehr puritanisch. Sie ficken nie, dann verwandelt er sich in einen Prinzen und vielleicht ficken sie dann, denn dann ist es ok und normal. Die andere Interpretationsmöglichkeit ist ein bisschen perverser und bestialischer. Ich wollte keine davon haben. Ich wollte einfach, dass sie sich ineinander verlieben und miteinander schlafen. Das war alles. Ich bin Mexikaner, bei mir ist alles möglich. Warum nicht! Das ist ein ganz natürlicher Prozess, um den ich kein großes Aufsehen machen wollte. Ich wollte, dass es schön ist. Aber viele Leute missverstehen das und denken. Wenn es Sex gibt, verliert die Geschichte ihre Unschuld, ihre Reinheit. Und eine reine Geschichte muss ohne Sex auskommen. Das ist doch absoluter Quatsch. Beide Sachen können koexistieren und für sich selbst schön sein.

Still aus Creature From The Black Lagoon

Sie sprechen die ganze Zeit schon über die Liebe – erinnern Sie sich daran, wann Sie sich in das Medium Film verliebt haben?

Natürlich. Mit Universal Monsters. Als Kind war ich fasziniert von Monstern. Monster waren für mich wie eine Sucht, sie haben mir etwas gegeben, was mir sonst keiner geben konnte. Als ich das erste Mal King Kong sah, an einem Sonntag, mit einem Eimer Chicken Wings, habe ich aufgehört zu essen. Ich war fasziniert von seiner Schönheit und wollte unbedingt rausfinden, wie sie so etwas machen konnten. Die Liebe zu Monstern zieht sich durch mein ganzes Leben.

Meinungen