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Interviews

Frauen wählen – Ein Gespräch mit Iram Haq

Ein Beitrag von Sonja Hartl

Seit 100 Jahren dürfen Frauen in Deutschland wählen. Zu diesem Anlass beschäftigen wir uns in unserer Jahresreihe „Frauen wählen“ mit Frauen, die die Filmlandschaft beeinflussen und prägen. Dazu gehört die norwegische Regisseurin Iram Haq, deren neuer Film „Was werden die Leute sagen“ am Donnerstag im Kino startet.

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 Iram Haq am Set
Iram Haq am Set

Schaut man auf das europäische Kino, gibt es nur wenige Regisseurinnen mit einem Migrationshintergrund. Eine der wenigen Ausnahmen ist die Norwegerin Iram Haq, Tochter pakistanischer Eltern.

In ihren beiden Langfilmen Ich bin dein (2013) und Was werden die Leute sagen (2017) spielt ihre Erfahrung eine wichtige Rolle: Ich bin dein erzählt von einer Schauspielerin Ende 20, die nach der Liebe sucht und ihrer eigenen Identität näherkommen will, aber zugleich zwischen den Erwartungen oszilliert, die ihre pakistanischen Eltern an sie und die sie an sich selbst stellt. Sie ist eine komplexe Figur, schwierig und widersprüchlich, ihr Migrationshintergrund ist da, aber wird nicht ausgestellt. Und damit ist sie eine Rarität im Kino. In Was werden die Leute sagen wird die Geschichte einer Teenagerin erzählt, die aus Norwegen von ihren pakistanischen Eltern nach Pakistan entführt wird. Diese Geschichte wurde schon im Kino erzählt, aber noch niemals so vielschichtig wie sie Iram Haq erzählt. In Berlin hat Sonja Hartl sie zum Gespräch über ihre Karriere, ihre Filme und die Arbeit als Filmemacherin getroffen.

 

Sie haben Ihre Karriere als Schauspielerin begonnen, haben dann aber gewissermaßen die Seiten der Kamera gewechselt. Warum?

Dafür gibt es mehrere Gründe. Schon als ich jung war, habe ich gerne Geschichte gelesen und erzählt. Als ich 13 Jahre alt war, habe ich angefangen zu schreiben und dachte immer, ich werde Schriftstellerin. Außerdem habe ich Bollywood-Kino geliebt. Die Filme liefen immer bei uns zuhause und ich liebte es, wie alle auf die Filme reagiert haben. Dann habe ich erst einmal als Schauspielerin angefangen, aber es gab nicht viele Rollen für mich – aufgrund meiner Hautfarbe. Daher dachte ich, ich sollte meine eigenen Geschichten schreiben. Also habe ich in meinem ersten Kurzfilm das Drehbuch geschrieben, als Regieassistentin gearbeitet, die Kostüme gemacht und alles. Unfaithful hieß er und lief in Venedig. Ein paar Jahre später habe ich dann bei meinem zweiten Kurzfilm Little Miss Eyeflap auch die Regie übernommen und er wurde in Sundance gezeigt. Das hat mir wirklich Türen geöffnet und ich habe entdeckt, dass mir Regie führen und das Erforschen dieser Seite meiner Persönlichkeit sehr viel Spaß macht.

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Little Miss Eyeflap

 

Sie sind niemals auf eine Filmschule gegangen, sondern haben einfach angefangen, den Film zu drehen.

Ja, genau. Ich bin auf eine Schule für Art Directors gegangen, in der man lernt, wie man Werbung macht, aber das habe ich nie gemacht. Filme zu drehen habe ich mir selbst beigebracht.

Würden Sie diesen Weg empfehlen: einfach zu machen?

Wenn ich es schaffe, schaffen das alle anderen auch (lacht). Aber natürlich ist es ein holpriger Weg. Ich glaube, jeder muss das finden, was für ihn geht. Ich war eine alleinerziehende Mutter und in Norwegen ist die gute Filmschule nicht in Oslo, sondern außerhalb, also kam es für mich gar nicht infrage, dorthin zu gehen.

In Ihren beiden Langfilmen wirkt es auf den ersten Blick so, als würde man die Geschichte, die sie erzählen, schon kennen. Und dann finden Sie einen sehr eigenen Weg, sie tatsächlich zu erzählen. Wie machen Sie das?

Da gibt es sehr viele Ebenen. Sehr wichtig ist zu versuchen, bei den Figuren zu bleiben, ihren Gefühlen zu folgen und an sie zu glauben. Keinen Blick von außen, sondern von innen heraus. Das ist mir sehr wichtig. Und wenn ich schreibe, finde ich Erfahrungen, die ich gemacht habe, und benutze sie, ich fiktionalisiere sie. Außerdem bringen die Schauspieler*innen etwas mit, was sie hinzufügen.

"Was werden die Leute sagen"
Copyright: Pandora Film Verleih

 

Am Anfang beider Filme standen persönliche Erfahrungen. Was ist der schwierigste Teil davon, sie in einem Film zu verarbeiten?

Alles ist hart, gerade bei meinem letzten Film. Der erste war noch etwas entfernter von mir, in dem zweiten Film ist mir zwar nicht alles so geschehen, aber ich wurde nach Pakistan entführt von meinen pakistanischen Eltern. Es gibt vieles hier, was mir passiert ist, und es ist natürlich schwierig, darüber zu reden. Aber es ist wichtig, darüber zu sprechen. Deshalb nutze ich diese persönliche Geschichte, um über das Thema zu reden. Es gibt so viele Mädchen, die durch diesen Schmerz gehen, die entführt und kontrolliert werden.

Ich habe es lange verdrängt, doch dann habe ich mich erinnert und es war wie die Büchse der Pandora zu öffnen. Plötzlich musste ich mich erinnern, darüber schreiben. Auch als ich den Film gedreht habe, war das hart für mich. Aber am schwierigsten ist es, wenn der Film erscheint und ich immer wieder darüber reden muss. Es ist, als hätte man eine schwierige Trennung hinter sich, ein gebrochenes Herz und muss immer und immer wieder darüber reden.

So wie gerade.

Ja (lacht). Aber es ist mir ja sehr wichtig. Ich komme gerade aus Italien, da wurde der Film gezeigt und ich habe gelesen, dass ein pakistanisches Mädchen ermordet wurde, weil sie sich mit einem italienischen Jungen getroffen hat. Das ist natürlich ein extremes Beispiel. Aber es gibt sie – und die Alltagssituationen, in denen man kontrolliert wird und die Mädchen manchmal gar nicht merken, wie sie kontrolliert werden. Dass der Taxifahrer eigentlich Dir folgt und dann Deinen Eltern erzählt, was Du machst.

In dem Film scheint es, als hätten die pakistanischen Migranten in Norwegen eine enge Gemeinschaft.

Diese Geschichte kann auch einem türkischen Mädchen passieren. Oder einem aus dem Irak oder Syrien. Aber Pakistanis waren in den 1970er Jahren die größte Einwanderergruppe. Nun sind wir in der dritten oder vierten Generation, daher gibt es nicht mehr nur konservative Menschen, sondern auch offenere.

"Was werden die Leute sagen"
Copyright: Pandora Film Verleih

 

Ihr erster Film ist ja in der Norwegen durchaus kontrovers aufgenommen worden. Wie ist es bei diesem hier?

Der erste Film war vor allem aufgrund der vielen Sex-Szenen kontrovers, hier nimmt das Publikum und gerade Frauen sehr viel Anteil, weil es Probleme sind, die sie kennen und erlebt haben.

Hat die Arbeit an dem Film Ihre Sichtweise auf Ihre Eltern verändert?

Es war eine interessante Reise. Als ich anfing, den Film zu schreiben, ist mein Vater sehr krank geworden. Er hatte Krebs, ich besuchte ihn im Krankenhaus und wusste, er wird sterben. Für die letzten 10 Monate hatten wir ein sehr enges Verhältnis – 25 Jahre nachdem er mich nach Pakistan entführt hatte. Diese Phase brauchte ich, schon für mich. Es war mir aber auch wichtig zu hören, was er über das denkt, was ich geschrieben habe – und ich hoffte, dass auch er will, dass ich den Film mache. Überraschenderweise tat er das dann auch und er sagte einen Satz, den ich nicht vergessen werde: Es ist wichtig, diese Geschichte zu erzählen, weil sie zeigt, zu welchen Bösartigkeiten Menschen in der Lage sind, wenn sie voller Angst sind. Er war nicht integriert, er handelt aus Angst. Da war die norwegische Gesellschaft, aber er war auch ein stolzer pakistanischer Mann, der tat, was ein Mann für seine Tochter tun sollte.

Nach der Filmpremiere war ich dann auch sehr gespannt, wie meine Familie auf ihn reagiert. Gerade meine Mutter. Aber sie waren sehr stolz auf mich und sagten, ich sei sehr respektvoll mit der Geschichte umgegangen. Sie fanden, dass man alle Personen verstehen kann und dass man sieht, was sie durchmachen.

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Trailer zu Was werden die Leute sagen

 

Glauben Sie, dass man durch die Filme ein falsches Bild von Ihnen hat?

Es ist mir ziemlich egal, was andere über mich denken oder ob ihnen gefällt, was ich tue. Menschen beurteilen einen immer, egal, was man macht. Aber ich glaube, dass es wichtig ist, diese Geschichten zu erzählen. Also erzähle ich sie.

In Deutschland haben wir nur wenige Filmemacher mit einem Migrationshintergrund und noch weniger Filmemacherinnen.

In Norwegen ist es ähnlich, ich bin mehr oder weniger die einzige Frau.

Hat das Ihre Karriere beeinflusst?

Ja, in gewisser Weise schon. Weil ich diesen Hintergrund habe, habe ich Zugang zu zwei Welten und kann von ihnen erzählen. Außerdem kann ich kritisch sein – sowohl gegenüber meiner pakistanischen Herkunft als auch der norwegischen Gesellschaft, weil ich beide so gut kenne. Dadurch habe ich tiefere Einblicke in zwei verschiedene Welten. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir mehr und verschiedene Blickwinkel auf die Welt haben – und dass wir diese reflektieren.

Ist es schwieriger, als Frau einen Film zu drehen als als Mann?

Ich glaube, für Frauen ist es überall auf der Welt schwieriger – und auch in der Filmindustrie, egal in welchem Bereich. Bei meinem ersten Film musste ich mich ständig beweisen, bei meinem Kurzfilm wurde ich teilweise wie ein Witz behandelt. Ich habe sehr lange nach einem Produzenten gesucht, die Filmindustrie ist teilweise noch so altmodisch.

Aber auch darüber hinaus ist es immer noch so, dass viele denken, Frauen erzählen immer Geschichte, in denen es um soziale Dinge geht, während Männer alles machen können – Komödien oder Science Fiction oder was auch immer. Aber wir müssen einfach weiterkämpfen, damit wir Gleichheit bekommen.

Ich habe gelesen, dass das Norwegische Filminstitut beschlossen hat, bis 2020 eine 50/50-Verteilung zu bekommen – in allen Bereichen. Das macht mich sehr neidisch, in Deutschland führen wir noch ganz andere Debatten. Wie kommen wir auch dahin?

Wir haben sehr viel gekämpft und niemals nachgelassen. Sobald wir bemerken, dass es einen Film gibt, an dem keine oder nur sehr wenige Frauen beteiligt sind, machen wir darauf aufmerksam. Sobald wir beispielsweise auf Facebook bemerken, da sind keine Frauen, fragen wir, warum wurden hier keine Frauen beteiligt? Nicht nur Filmemacherinnen, sondern alle anderen Abteilungen auch – Ton usw. Es ist eine große Gruppe auf Facebook, in der wir auch alle Jobs teilen und sich jeder einbringt.

Ist das der Weg zu mehr Gleichheit?

Ich glaube, wir müssen darum kämpfen. Wir können nicht herumsitzen und zweifeln, ob wir gut genug sind oder es jetzt reicht. Nein, wir haben noch keine Gleichheit. Wir haben 2018 und die Dinge stehen nicht so, wie sie stehen sollten. Also müssen wir für die kämpfen, offen und ehrlich sein. Und wir müssen das machen. Die Männer werden es nicht für uns tun.

Glauben Sie, dass die #Metoo-Bewegung hier etwas verändern wird?

Ich hoffe es. Aber in manchen Ländern – beispielsweise in Dänemark – höre ich immer wieder Sätze wie „Ich interessiere mich nicht so für #Metoo“. Warum nur? Das überrascht mich dann sehr, denn so gut wie jede Frau hat sexuelle Belästigung erfahren – und eine der besten Dinge daran, älter zu werden, ist, dass ich mich nun traue, einem Mann zu sagen, er solle aufhören. Aber wenn man jünger ist, ist man verletzlicher, man traut sich nicht immer, sich zu behaupten. Je bewusster wir damit umgehen, desto eher können Frauen sagen, „Hey, das ist nicht okay“. Und auch Männer werden aufmerksamer. Dafür ist #Metoo gut.

Was können wir machen, um Frauen mehr Möglichkeiten in der Filmindustrie zu verschaffen?

Wir müssen immer wieder schauen, wie viele Geschichten eigentlich von Frauen erzählt werden. Und wie viele Frauen beteiligt sind. Nicht nur Drehbuchautorinnen, auch Regisseurinnen. Und wir müssen darüber reden. Ich glaube, wir müssen für das Recht kämpfen, gehört zu werden. Es ist immer wieder schade, wenn Frauen in Machtpositionen nicht für andere Frauen eintreten, denn ich glaube, nur wenn wir uns unterstützen, dann ändern wir etwas.

Hoffen Sie, dass Sie junge Frauen ermuntern oder inspirieren?

Ja, ich hoffe es. Zunächst einmal liebe ich Frauen, ich glaube an sie. Sie haben meine Filme gesehen, ich will wirklich, dass Menschen tun, was sie tun wollen. Dass sie an sich glauben. Und ich hoffe, dass die nächste Generation es einfacher haben wird. Aber dafür muss jemand da sein, der die Türen geöffnet hat.

Als wir in Dänemark Premiere hatten, waren da einige starke Mädchen und Frauen, Feministinnen mit einem arabischen Hintergrund. Es war so spannend, ihnen zuzuhören. Sie erschienen so mächtig. In Norwegen haben wir das auch. Gleichzeitig mit meinem Film ist ein Buch erschienen, es heißt Shameless und ist von zwei jungen Frauen, sie sind 20, 21 und sprechen über ihre Scham. Es ist gut, dass wir nun junge Frauen haben, Feministinnen, die darüber reden. Denn als ich groß geworden bin, gab es niemanden, zu dem ich aufsehen konnte. Ich musste irgendwie meinen eigenen Weg finden.

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