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Interviews

„Frances McDormand ist eine Naturgewalt”

Ein Beitrag von Anna Wollner

Seit der Weltpremiere bei den Filmfestspielen in Venedig ist Three Billboards Outside Ebbing, Missouri auf einem Siegeszug durch die Herzen der Kritiker. Regisseur Martin McDonagh erzählte uns, warum er den Film ohne Frances McDormand nicht gemacht hätte und was der Film mit Trump zu tun hat.

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Three Billboards Outside Ebbing, Missouri - Trailer (deutsch)

„Raped While Dying“, „Still No Arrests?“ und „How come, Chief Willoughby”. Das reicht für einen der Filme des Jahres. Three Billboards Outside Ebbing, Missouri ist der Film der Stunde. Vier Golden Globes, sieben Oscarnominierungen (bitte am Dienstag nachtragen), eine weibliche Hauptfigur für die Kinoewigkeit. Der irische Dramatiker und Filmregisseur Martin McDonagh, bekannt für 7 Psychos und Brügge sehen … und sterben liefert mit Three Billboards Outside Ebbing, Missouri seinen bisher besten Film ab. Anna Wollner traf ihn in London zum Gespräch.

Mr. McDonagh, gab es den Moment, in dem die Produzenten auf Sie zu kamen und sagten: „Wir lieben deinen Film, aber bitte ändere den Titel“?

Nein, das hätte ich nicht zugelassen. Natürlich ist der Titel ungewöhnlich und etwas hölzern. Aber deswegen bleibt er eben auch im Gedächtnis.

Was hat Sie zu „Three Billboards Outside Ebbing Missouri“ inspiriert?

Drei Werbetafeln am Straßenrand. Vor 20 Jahren war ich mit dem Bus in den Südstaaten unterwegs und habe etwas ganz Ähnliches gesehen. Zumindest was das Schmerzlevel des Verfassers angeht. Aber sie standen fernab der Straße, irgendwo mitten in einem Feld. Und es waren auch nur zwei. Der Bus ist dran vorbeigerast, aber irgendwie hat sich diese absurde Szene bei mir eingebrannt. Ich war mir für den Moment nicht sicher, ob ich mir das nicht alles eingebildet habe. Die Idee hat sich bei mir festgesetzt, aber ich habe zehn Jahre lang nichts mit ihr gemacht. Der Schmerz und die Wut haben mich nicht mehr losgelassen.

Und dann?

Ich wollte unbedingt eine starke weibliche Frauenfigur für einen Film schreiben. Ich habe die beiden Ideen kombiniert. Ich habe einfach beschlossen, dass die Person, die die Werbetafeln aufgestellt hat, eine Mutter gewesen sein muss. Eine starke, wütende Mutter. Ich hatte ihren Charakter sofort vor Augen.

Die Figur kam vor der Geschichte?

Wenn Sie so wollen, ja. Es ging mir gar nicht so sehr um den Plot, sondern vielmehr um die Situation als solche. Ich habe die Figur erschaffen und einfach in die Welt hinausgeschickt. Die Welt meiner Drehbuchseiten. Ich habe die anderen Figuren auf sie reagieren lassen. Der Film ist nichts anderes als eine Aneinanderreihung von Reaktionen. Die Wendungen und Überraschungen im Film funktionieren so gut, weil ich selbst nicht wusste, wann sie stattfinden werden. Sie sind eine organische Reaktion auf die Figur der Mildred Hayes.

Wann kam Frances McDormand an Bord?

Bevor sie es überhaupt wusste, denn ich habe die Rolle für sie geschrieben. Wir haben uns vor über zwanzig Jahren bei einem meiner Theaterstücke kennengelernt. Wie das immer so ist, haben wir uns kurz unterhalten und dann wieder aus den Augen verloren. Ein paar Jahre später trafen wir uns zufällig wieder. Sie behauptet heute noch, dass sie damals gesagt hat: „Schreib eine Rolle für mich“. Ich habe ihr vorgeschlagen, ein Theaterstück für sie zu schreiben, aber sie wollte unbedingt einen Film. Das ist hängen geblieben.

Und dann kam Ihnen die Idee zu „Three Billboards“ …

Ich hatte beim Schreiben immer ihre Stimme, ihr Gesicht, ihre Haltung vor Augen. Wenn sie nein gesagt hätte, hätte ich den Film vermutlich nicht gemacht. Außer ihr gibt es niemanden, der die Rolle hätte tragen können. Niemanden mit ihrer Integrität, ihrer Intelligenz, ihrer Komik. Jeder andere hätte die Figur verurteilt und sentimentalisiert. Wir wollten sie aber eben nicht liebenswürdig machen, nicht zu mutterhaft. Eher im Gegenteil. Genau deswegen funktioniert die Figur so gut. Mildred Hayes ist kein Hollywoodklischee. Und Frances McDormand ist eine Naturgewalt.

Frances McDormand

Ein bisschen erinnert Mildred Hayes an Marge Gunderson, McDormands Figur aus „Fargo“.

Ja, diese Parallelen ziehen viele. Wenn Marge ein bisschen weitergegangen wäre und etwas schiefgelaufen wäre, wäre sie wie Mildred geworden. Aber um das klar zu stellen: Ich habe keinen der Filme der Coen-Brüder als Vorlage genommen. Ich weiß natürlich, dass die Figur der Marge Gunderson die ist, mit der die Leute Frances assoziieren und dieser Name eines Tages auf ihrem Grabstein stehen wird. Ich habe allerdings ein kleines bisschen Hoffnung, dass Mildred Hayes auf ihrem Grabstein stehen wird. Oder zumindest die beiden. In 100 Jahren.

Mildred haben Sie für Frances McDormand geschrieben. Wie steht es um die Rolle des Dixon und Sam Rockwell?

Genauso. Ich habe auch schon 7 Psychos für ihn geschrieben. Wir haben vor sieben Jahren ein Theaterstück zusammen gemacht. Ich wollte unbedingt wieder mit ihm zusammenarbeiten. Er ist einer der besten, wenn nicht sogar der beste Schauspieler seiner Generation. Wir sind ungefähr gleichalt. Wenn ich eine Figur schreibe, schreibe ich meistens für ihn. Das heißt jetzt nicht unbedingt, dass er das Drehbuch am Ende auch mag oder die Rolle bekommt, aber ich höre seine Stimme beim Schreiben.

Hat er etwas für die Rolle mitgebracht, was sie nicht erwartet hätten?

Sam ist so ein netter Typ und als Schauspieler gut genug, um so einen fiesen Typen zu spielen. Er verleiht der Figur – und das mag jetzt komisch klingen – einen ganz eigenen Anstrich von Menschlichkeit. Er hat all meine Erwartungen übertroffen. Ohne Frage — Three Billboards ist Frances’ Film. Aber er kommt gleich danach. Wegen seiner Menschlichkeit. Das hat mich überrascht, denn ich selbst dachte, es sei Mildreds Film. Und dann wurde es der von beiden.

Sam Rockwell & Woody Harrelson

Waren Sie beim Schreiben viel in den USA unterwegs?

Das war unumgänglich. Ich habe natürlich viel Zeit in New York verbracht, vor allem wenn ich am Theater gearbeitet habe. Immer wenn ich auch nur den Hauch von Freizeit hatte, bin ich irgendwo hingeflogen, in einen Zug oder Bus gesprungen und habe die Orte besucht, von denen ich als Kind so viel gehört habe. Ich kannte und mochte die Namen, wusste aber nicht, wie es da aussehen wird. Wie Albuquerque zum Beispiel. Atlanta, Athens. Solche Städte. Ich habe die Leute beobachtet und ihnen einfach zugehört.

Mögen Sie Amerika?
Ich liebe Amerika und ich liebe Amerikaner. Und vor allem auch amerikanische Filme. Sobald ich in einer Kleinstadt bin, denke ich an Badlands oder Days of Heaven. Ich habe bei allem immer einen kinematographischen Anspruch. Ich höre den Leuten gerne zu. Gar nicht zwangsläufig so, dass ich sie von Anfang an in einen meiner Filme packen will oder nur eine potentielle Filmfigur in ihnen sehe. Ich interessiere mich für ihren Alltag. Three Billboards allerdings sollte keine Außenaufsicht eines Fremden auf Amerika sein. Ich wollte mitten hineinspringen und ein Teil der Figuren werden. Ich wollte sie, ihr Leben und die Umstände gar nicht verurteilen.

Ebbing, Missouri ist eine fiktive Stadt. Warum?

Ich wollte keinen Film über eine bestimmte Stadt machen. Ich mochte einfach den Klang des Namens. Ebbing. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Und dann auch noch Missouri. Ich wusste vor allem früh, dass die Stadt in den Südstaaten liegen muss. Allein aufgrund der Geschichte um Rasse, Gewalt und Polizeieskalation.

Wie hat sich Amerika durch Trump verändert?

Ich war seit Trump nur in Los Angeles und New York. Meine Freunde sind alle linksliberal. Ich spüre sehr viel Wut und Unglaube. Wie sich das Land an sich verändert hat, kann ich gar nicht sagen. Wir haben den Film vor zwei Jahren gedreht, vor Trump. Es ist also gar kein Kommentar auf Trump. Also nicht mehr, als der Film auch als Kommentar auf Obama gelesen werden kann. Denn in diesem Amerika haben wir den Film ja gemacht.

Woody Harrelsons Figur sagt an einer Stelle des Films: „Wenn sie alle rassistischen Polizisten feuern, bleiben am Ende nur drei übrig“. Teilen Sie diese Meinung?

In erster Linie glaube ich, dass die Dialogzeile sehr lustig ist. Ich selbst würde vielleicht vier Polizisten draus machen. Aber nein, Spaß beiseite. Ich glaube ja noch nicht mal, dass seine Figur das selbst glaubt. Auch wenn sicherlich ein Fünkchen Wahrheit darin liegen wird. Ich hoffe aber, dass es in Wahrheit besser darum bestellt ist. Aber wenn ich als Schwarzer in Missouri groß geworden wäre, hätte ich vielleicht eine andere Meinung.

Woody Harrelson und Frances McDormand

Der Film ist düster, traurig und gewalttätig – und dennoch kommt man aus dem Film und fühlt sich großartig. Wie schaffen Sie das?

Das war der Plan! Nein, um ehrlich zu sein, versuche ich das schon beim Schreiben zu kreieren. Die Düsternis steckt schon in den Drehbuchseiten. Um mich davon nicht runterziehen zu lassen, habe ich als Gegengewicht den Humor. Wir haben hier einen sehr tragischen Ausgangspunkt. Wir brauchten etwas Kathartisches, etwas, das einen durch die Geschichte durchträgt. Und das ist eben der Humor und Frances’ Entrüstung. Es war eine bewusste Entscheidung, den Humor als Vehikel zu nehmen. So bin ich eben. Durch und durch schwarzhumorig. Ich könnte nie in meinem Leben eine romantische Komödie schreiben.

Wie und wo finden Sie die Balance? Entsteht das schon im Drehbuch oder erst im Schneideraum?
Sowohl als auch. Es ist immer schon auch im Drehbuch verankert, aber der richtige Rhythmus kommt im Schneideraum. Es sind drei, vier richtig gute, lustige Szenen der Schere zum Opfer gefallen. Vor allem mit Sam und seiner Mutter im Bett. Das packen wir auf die DVD. Aber das hätte den Film einfach zu weit getrieben. Es gibt also durchaus die Momente im Schnitt, in denen wir den Ton und die Haltung noch mal überprüfen müssen. Die Frau des Kameramanns hat eine frühe Rohfassung des Films gesehen und etwas sehr Wichtiges gesagt: „Habt keine Angst davor, dass der Film eine Tragödie wird“. Ab da wussten wir, worauf wir achten mussten. Die tragischen und komischen Elemente sind immer noch gleichberechtigt, aber eben mit einer anderen Prämisse. Wir haben eine Tragödie mit humoristischen Elementen und eben nicht andersrum.

Es gibt viele Themen im Film, die angerissen werden, der Zuschauer muss viel ertragen. Was soll er mitnehmen?

Hoffnung und Veränderung. Die Menschlichkeit der Leute. Ich glaube Three Billboards Outside Ebbing, Missouri ist einer meiner menschlichsten Filme. Normalerweise kann ich das ganz gut verstecken. Aber Frances, Sam und Woody haben das einfach aus mir rausgekitzelt.

Natürlich machen Sie einen Film nie für die Award Season. Nun sind wir mittendrin und Sie wurden schon mehrfach bedacht. Wie fühlt sich das an?

Es ist immer besser, wenn über einen geredet wird als nicht. Vor ein paar Monaten wusste ich noch nicht mal, ob sich überhaupt jemand für den Film interessieren wird. Weil er eben so düster ist. Darüber muss ich mir jetzt keine Sorgen mehr machen. Als wir mit dem Film fertig wurden, vor genau einem Jahr, konnte ich mir nur schwer vorstellen, dass irgendein Schauspieler in diesem Jahr eine bessere Performance als Frances, Sam und Woody abliefern würde. Irgendwie habe ich recht behalten. Wenn ich einen Film schreiben würde, der viele Auszeichnungen bekommen soll, würde ich definitiv nicht so etwas schreiben.

Sondern?
Naja, es gibt genug Leute, die Filme nur für die Oscars machen. Harvey Weinstein zum Beispiel. Weinstein ist ein Schwein. Privat und beruflich. Er hat Filme gemacht, nur um Preise zu gewinnen und bei den Oscars rumzuhängen. Aber die Zeiten sind ja Gott sei Dank vorbei.

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