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Interviews

"Es fehlt noch immer an weiblichen Identifikationsfiguren" - Greta Gerwig im Interview

Ein Beitrag von Anna Wollner

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Maggies Plan

Sie ist das Gesicht einer ganzen Bewegung. Spätestens mit der schwarz-weißen New-York-Komödie Frances Ha hat sie sich in unsere Herzen gespielt: Greta Gerwig. Gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Noah Baumbach schreibt sie ein Drehbuch nach dem anderen, bereitet gerade ihre zweite Regiearbeit Lady Bird vor. In Maggies Plan spielt Gerwig an der Seite von Julianne Moore und Ethan Hawke. Anna Wollner hat die in New York lebende Schauspielerin während der Berlinale zum Interview getroffen.

Mrs. Gerwig, der Film “Maggies Plan“ ist eine moderne romantische Komödie. Was halten Sie von dem Genre?

Ach, ich würde den Begriff „modern“ hier gar nicht verwenden wollen. Maggies Plan steht für mich eher in der Tradition der remarriage-Komödien der 1930er und 1940er Jahre. Filme von Regisseuren wie Howard Hawkes, Ernst Lubitsch oder George Cukor. Ich liebe diese alten Filme. Wenn wir doch mal ehrlich sind, haben die meisten romantischen Komödien ihren Biss verloren.

Die alten Filme funktionieren auch heute noch. Komödien aus den Neunzigern wiederum fühlen sich irgendwie falsch an, so unecht. Wird es Zeit, dass wir uns wieder auf die alten Werte besinnen?

Unbedingt. Gucken wir doch einfach mal auf die Struktur dieser Filme. In den alten Filmen geht es um Leute, die sich gerade trennen, die frisch geschieden sind, gemeinsam etwas durchleben, was sie wieder zusammen bringt. Aber irgendwann in der Filmgeschichte gab es diesen Cut und es ging nur noch darum den einen Richtigen zu finden. Als einziges Ziel. Im Film und im Leben. Genau darauf baut alles auf. Der Plot, die Figuren, die Nebenstränge. Und weil einfach jede romantische Liebeskomödie stur diesem Ablauf folgt, wurden sie irgendwann uninteressant. Dabei bin ich verkappte Romantikerin und liebe das Genre eigentlich.

Ihre Figur im Film hat einen Plan, was sie anfangen will mit ihrem Leben, hat sich ein Ziel gesteckt. Können Sie sich mit so einem Lebensplan identifizieren?

Nein, überhaupt nicht. Dabei habe ich mich lange mit Maggie und ihrem Plan auseinandergesetzt, habe beim Erschaffen ihrer Biographie gemerkt, dass so ein Plan für sie unausweichlich ist. Aber ob ich so etwas habe? Nein. Ich bin kein Listentyp. Ich lasse die Dinge einfach passieren.


(Trailer zu Maggies Plan)

Zum Beispiel, dass Sie einen Film machen, in dem ihr Teenie-Schwarm Ethan Hawke auf einmal ihr Ehemann wird?

Das war schon komisch. Ethan ist für mich die Personifizierung von Der Club der toten Dichter. Ein Film, mit dem ich mich als Jugendliche unglaublich identifizieren konnte. Ich wollte wegen ihm unbedingt Schauspielerin und Schriftstellerin werden. Ich war nie wirklich verknallt in ihn, er war eher eine Identifikationsfigur. Aber fragen Sie mal meine Schwägerin. Sie war aufgeregter als ich. Ich musste sogar einen Geburtstagsgruß von Ethan für sie aufnehmen. Das war sogar mir peinlich.

Sie sprechen die Filme ihrer Jugend an – wie sehr haben Ihnen früher weibliche Identifikationsfiguren im Kino gefehlt?

Sehr. Denn wenn wir mal ehrlich sind, gab es da nicht viele. Ein Film über eine junge Frau, die einen künstlerischen Beruf ergreifen wollte und auf Widerstände stieß – wenn es da überhaupt was gab, kann man die Filme wohl an einer Hand abzählen. Diese typische jugendliche Erweckung, diese Coming-of-Age-Reise wurde immer nur Jungen zugetraut. Wenn es denn mal einen weiblichen Coming-of-Age-Film gab, ging es darum, möglichst früh den richtigen Mann fürs Leben zu finden. Deswegen waren mir Filme lange Zeit egal.

Wann hat sich das geändert?

Als ich mit 18 aufs College ging. Da wurde ich süchtig. Ich bin nach New York gezogen, an jeder Ecke gab es ein Kino das Repertoire gespielt hat, Videotheken, die für mich wahre Schätze hatten. In meiner Heimat gab es überhaupt keine Arthouse-Kultur. Deswegen habe ich mich auch erstmal aufs Theater gestürzt. Selbst wenn es keine Inszenierung in meiner Nähe gab, konnte ich die Stücke lesen. Film war für mich einfach zu weit weg. Ich hatte keine Ahnung von dem Medium, wusste eigentlich nur, dass es meistens um Leute geht, die so ganz anders sind als ich. Mein Nachholbedarf auf dem College war immens.

Vor ein paar Monaten gab es auf Twitter einen Account, der sehr genau beschrieb, wie Frauen in Drehbüchern eingeführt werden. Das ist unglaublich, was man da zu lesen bekommt. Sie allerdings haben immer Figuren, die glaubwürdig sind, die normal erscheinen. Woran liegt das? Lehnen Sie viele Angebote ab?

Gar nicht so viele, wie Sie vielleicht denken. Ich hatte bisher immer das große Glück mit Leuten zusammenarbeiten zu können, die komplexe und interessante Figuren erschaffen und meinen Rollen reale Leben, reale Ziele und reale Emotionen geben. Ohne Klischees. Ich habe keine Ahnung, was ich im Leben richtig gemacht habe, dass ich immer und immer wieder die Gelegenheit bekomme, solche Frauen spielen zu können. Ich bin dankbar dafür.


(Bild aus Frances Ha von Noah Baumbach; Copyright: Celluloid Dreams/IFC Films)

Trotzdem ist die Diskussion über Frauenfiguren in Hollywood eine, die sie sich zu Herzen nehmen?

Unbedingt. Denn es geht ja nicht nur um die Figuren, die ich spiele. Es geht mir vor allem auch darum, dass die Drehbuchautoren, die Regisseure, die Produzenten, also all die Entscheidungsträger, auf unsere Situation aufmerksam gemacht werden. Immerhin wird ungefähr die halbe Weltbevölkerung in Filmen nicht angemessen repräsentiert. Da läuft doch etwas schief. Zu denken, das sei egal, ist eine falsche Sichtweise. Jungen Mädchen und Frauen wird konsequent das Gefühl vermittelt, ihr Leben sei weniger wert oder nur dazu da, um die Geschichte von einem Mann weiterzuentwickeln. Es fehlt noch immer an weiblichen Identifikationsfiguren. Als Schauspielerin, Autorin und Regisseurin habe ich die Chance, Frauen im Film ein Gesicht zu geben. Damit der Ball ins Rollen kommt. Ich freue mich über jedes Buch, über jeden Film, der von einer Frau gedreht oder geschrieben wurde. Nicht weil es von einer Frau ist. Sondern weil es zeigt, dass wir genauso viel wert sind wie Männer.

Mit ihrem Einsatz und vor allem mit ihren Filmen werden Sie oft zur Ikone einer ganzen Generation stilisiert. Ist Ihnen das unangenehm?

Nein, überhaupt nicht. Denn erstmal bin ich überhaupt froh, Teil dieser Generation zu sein. Wobei ich eigentlich ein Problem mit dem Begriff „Generation“ habe. Ich betrachte uns eher als eine Gruppe von Frauen, die einen immensen Output hat und Gott sei Dank wahrgenommen wird. Ich selbst sehe mich in der gleichen Generation wie Jill Solloway, obwohl sie 20 Jahre älter ist als ich und wir uns in ganz unterschiedlichen Phasen unseres Lebens befinden. Aber was sie mit Transparent und ihrem Film Love. Sex. Life. geschaffen hat, berührt mich.

Wer gehört noch dazu?

Tina Fey, Amy Pohler, Lena Dunham, Amy Schumer. Das sind wohl die prominentesten. Wir alle sind Schwestern im Geiste. Wir halten zusammen. Und ich liebe ihre Arbeit. Ihre reine Anwesenheit inspiriert mich. Um auf ihre Ausgangsfrage zurückzukommen: Ich bin verdammt froh und stolz, dazuzugehören.

Eine Schattenseite davon ist der ganze Hass, der Ihnen mitunter entgegenschlägt. Wie gehen Sie damit um?

Ich habe weder Twitter noch Instagram.  Das hilft schon mal. Mit Accounts bei sozialen Netzwerken würde ich vermutlich mehr Hass abbekommen, aber ich gucke einfach nicht nach. Deswegen weiß ich das alles gar nicht. Natürlich ist das ein Kopf-in-den-Sand Prinzip. Aber für alles andere bin ich auch einfach zu dünnhäutig. Mir reicht schon negatives Feedback von einer Person und ich will mich verstecken. Lena Dunham ist eine sehr gute Freundin von mir und ich kann gar nicht fassen, was sie sich alles anhören muss. Das ist mitunter schockierend. Ich denke mir immer nur, die Leute müssen Frauen wirklich hassen. Bei Hasskommentaren für Männer geht es nur darum, dass sie ihren Job verlieren sollen oder ihr Geld. Dass sie unter den Stein zurückkriechen sollen, unter dem sie hergekommen sind. Wir Frauen sollen direkt vergewaltigt werden, bis wir sterben. Die Gewalt uns gegenüber hat eine vollkommen neue Dimension erreicht. Deswegen bin ich nicht auf Twitter. Reiner Selbstschutz.

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